IM-Expertenpool: Pricing : Digital Pricing – Allheilmittel für die B2B-Industrie?

Pricing in der B2B-Industrie lässt sich derzeit grob in drei Evolutionsstufen einteilen: Am Anfang steht unstrukturiertes Cost-plus-Pricing. Beispielsweise bei Ersatzteilen, wo mittels eines einzigen Aufschlagsfaktors allen Teilen – ungeachtet Teileart, USP, Life Cycle etc. – ein rein kostenbasierter Preis zugewiesen wird. Oder man erlebt eine unstrukturierte Kundenpreis- bzw. Konditionenvergabe, die weitestgehend auf Bauchgefühl basiert und nichts mit dem eigentlichen Wert des Kunden für das eigene Unternehmen zu tun hat. Sollte das bei Ihrem Unternehmen noch der Fall sein, gehören Sie eindeutig zu den Nachzüglern in der Industrie.

Auf der nächsten Stufe findet man einen systematisch strukturierten und differenzierten Pricing-Ansatz vor. Einige B2B-Unternehmen sind bereits die ersten Schritte in diese Richtung gegangen, aber nur wenige verfolgen hierbei wirklich einen durchgehenden Ansatz. Ziel ist es, die Vertriebs- und Pricing-Expertise des Unternehmens in ein Preismodell zu gießen und ggf. sogar neue Muster durch Datenanalysen und Simulationen mittels statistischer Methoden zu erkennen. Beispielsweise lassen sich damit zusätzliche Kriterien für eine Kundensegmentierung finden, die über die klassische ABC-Analyse auf Basis des Umsatzes hinausgehen, indem man den Einfluss möglicher Kriterien aus zusätzlichen Datenquellen wie CRM und Co. auf die Preisbereitschaft des Kunden misst. Das kann zum Beispiel die physische Entfernung des Kunden zum Wettbewerb oder der Kostenanteil des eigenen Produkts im Endprodukt des Kunden sein.

Durch neue Algorithmen werden die Vorhersagen und Entscheidungen für einen differenzierten Pricing-Ansatz immer genauer, aber speziell durch die Limitation der Daten- und Transaktionsvielfalt in vielen B2B-Industrieunternehmen sind diesem Aspekt deutliche Grenzen gesetzt.

Bei der dritten Evolutionsstufe handelt es sich um dynamisches bzw. automatisiertes Pricing. Dies ist in der klassischen B2B-Industrie für die meisten Unternehmen noch komplettes Neuland. Dabei birgt es viele neue Chancen. So können sich Preise dynamisch externen Gegebenheiten bzw. Veränderungen im Marktumfeld anpassen bzw. an (öffentlich zugänglichen) Preisen von Wettbewerbern orientieren. Des Weiteren können intern verfügbare Faktoren automatisch und dynamisch berücksichtigt werden. So können sich Preise beispielsweise dynamisch an der eigenen Auslastung orientieren oder auch auf die Anzahl von internen Preiseskalationen reagieren. Boomt der Markt und tut sich der Vertrieb leichter Preise durchzusetzen, sinkt die Preiseskalationsrate mit den Vorgesetzten – das System bzw. der Algorithmus erkennt das und setzt die (Ziel-)Preise für bestimmte Fälle automatisch hoch.

Um die Möglichkeiten des „Digital Pricings“ für Ihr Unternehmen nutzbar zu machen, sind folgende Voraussetzungen unabdingbar:

1. TopLine Preisstrategie

Definieren Sie Ihre Preisstrategie basierend auf Marktattraktivität (Größe, Preislevel, etc.) und Wettbewerbsstärke (Produktportfolio, Servicegrad, etc.), differenziert nach Regionen, Industrien und Produkten. Diese bildet den Rahmen und die Leitplanken für jegliche Preisentscheidungen (egal ob digital oder analog). Unternehmensstrategie kann auch sein, kein dynamisches Pricing und somit stabile Preise als USP gegenüber der Konkurrenz zu haben.

2. Datenintegration statt Datenfriedhof und Silos

In einer kürzlich von uns durchgeführten Studie zeigt sich, dass nahezu alle Industrieunternehmen Daten zu Kunden und Markt sammeln, aber nur rund die Hälfte diese auch nutzt! Oft liegt es an Systembrüchen und fehlender Integration der Daten. Dies ist aber eine grundlegende Voraussetzung für digitales Pricing.

3. Kombination von Algorithmus und Expertenwissen

Verknüpfen Sie das Kunden- und Produktwissen des Vertriebs mit Big Data-basierten Algorithmen, um geeignetes wertbasiertes Preissystem zu identifizieren. Hierbei ist auch der strategische Blick nach vorne ein wichtiger Faktor – und eine der größten Schwachstellen von rein mathematisch optimierten „Preismodellen“. Zusätzlich sollten im B2B die Preise für den Kunden vom Vertrieb auch „erklärbar“ bleiben.

4. Verankerung in der Organisation (Change Management)

Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Pricingprojekts ist die Verankerung in der Organisation. Nur wenn alle relevanten Stakeholder abgeholt wurden und klare Verantwortlichkeiten, KPIs und Prozesse (inkl. Systemintegration) definiert wurden, werden Sie Erfolg haben. Mit einer „Blackbox“ werden Sie spätestens bei der Akzeptanz im Vertrieb scheitern!

Als Fazit lässt sich festhalten, dass digitale Möglichkeiten wie Big Data, Machine Learning und künstliche Intelligenz mit Sicherheit einen Mehrwert zur Preisgestaltung beisteuern können – Allheilmittel sind sie allerdings auch nicht! (Digital) Pricing muss neben Fakten, Markttrends und Risiken immer auch die Strategie bzw. Sicht eines Unternehmens berücksichtigen und sollte nie „blind“ mathematischen Formeln folgen.

Wie Sie Digitalisierung in Marketing und Vertrieb für Ihr Unternehmen nutzen, um damit effektiver, effizienter und auch profitabler zu werden, und was am Ende Science oder doch eher Fiction ist, erfahren Sie in dieser Blogserie und natürlich im Rahmen der "4. Power Pricing & Sales Konferenz" vom INDUSTRIEMAGAZIN gemeinsam mit Simon-Kucher & Partners am 23. Oktober im Park Hyatt Vienna.

Über die Autoren

Othmar Schwarz, Partner und Gesellschafter bei der globalen Strategie- und Marketingberatung Simon-Kucher & Partners, und Christoph Franke, Manager bei Simon-Kucher & Partners, sind Experten für den Bereich B2B, Industrie und Technologie und beraten österreichische und internationale Marktführer.