Maschinenbau : Die zweite Welle aus China rollt an

Asien China Asiatin Reis Essen Stäbchen
© Zoe - Fotolia

Sogar der Big Boss aus China kommt. Doch wenn Guan Xiyou im September auf der Maschinenbaumesse EMO sicheren Schritts die Hallen abgeht, wird es nicht nur Sympathien für ihn geben. Denn Xiyou ist nicht nur ein begnadeter Ingenieur, sondern auch Vorstandsvorsitzender des chinesischen Maschinenbauers SMTCL. Und als ob das noch nicht reichen würde: In Hannover wird er nicht nur übers Wetter, sondern neue Ziele reden – die vielen hier nicht schmecken werden: SMTCL plant für 2014 einen massiven Ausbau der europäischen Marktpräsenz. Für ein deutliches Plus bei den Stückzahlen sollen Maschinen sorgen, die hinsichtlich Verfügbarkeit „deutschen Standards entsprechen“, heißt es bei SMTCL. Zusätzlich baue man ein Händlernetz auf. Auch das Thema Ersatzteile sehen die Chinesen cool: In Aschersleben plant SMTCL ein Ersatzteil-Center. Ein Flughafen „ohne Nachtflugverbot“ sei in Reichweite. Damit gebe es „binnen 24 Stunden“ Service-Support, heißt es bei den Chinesen.

Alles nur Show?

Das typische Messegeplänkel, bei dem viel versprochen wird? Mitnichten. Asiatische Anbieter von Werkzeugmaschinen sind erneut am Sprung, in Europa massiv Marktanteile dazuzugewinnen. Dafür sprechen die nackten Zahlen. Bei der weltgrößten Maschinenbaumesse, der EMO, stellen heuer im September 442 asiatische Firmen ihre Waren aus – jeder fünfte Aussteller kommt aus Fernost. Kamen 2007 aus China 85 Aussteller, sind es heute 130. SMTCL – einer der größten (staatlichen) Werkzeugmaschinenbauer der Volksrepublik – fand einen Auftritt 2007 nicht der Mühe wert. Heuer ist er gesetzt.

Wie auch andere: Der südkoreanische Hersteller Doosan belegt gleich üppige 1600 Quadratmeter Stellfläche – DMTG angelte sich 680 Quadratmeter. Die Absatzzahlen zeigen noch drastischer, wie sich die Chinesen am europäischen Kuchen laben. Auch wenn Deutschland eine Drehscheibenfunktion für den Reexport asiatischer Maschinen nach Mittel- oder Osteuropa nachgesagt wird: 2012 kamen mehr chinesische Maschinen bei deutschen Fertigungsbetrieben an als je zuvor: Ein Fünftel mehr Maschinen als 2011 (Gegenwert: 104 Millionen Euro) presste China in den Markt. Aktuell noch gefragter: Maschinen aus Taiwan. Sie kamen auf ein Plus von 24 Prozent. Nur eine harmlose Zahlenspielerei – zumal europäische Hersteller schon mit den Japanern fertig wurden, als die den Machtanspruch stellten?

180-Grad-Drehung

Ein anderer Schluss liegt nahe. Qualitätsprobleme, ein inferiorer Service, dazu die kulturellen Reibereien: Die ersten Europa-Niederlassungen waren noch ein hilfloser Versuch, Europa eine asiatische Markenstrategie überzustülpen. Doch die letzten drei Jahre drehten die Asiaten ihre Strategie um 180 Grad: Auf einmal wurde Personal von der europäischen Konkurrenz abgeworben. Von den Japanern schaute man sich ab, wie hocheffiziente Produktionswerke funktionieren. Und die Händlernetze in Europa wachsen tüchtig. Zugleich fahren die Anbieter aus Fernost – vor allem aus China und Taiwan – mit Kampfpreisen in den Markt. Sie locken mit zwanzig bis vierzig Prozent Ersparnis bei einfachen Dreh- oder Fräsmaschinen – und europäische Maschinenbauer müssen sich langsam Sorgen machen. Droht dem Maschinenbau gar ein Schicksal wie der deutschen Solarindustrie, in der das aggressive Preisdumping chinesischer Hersteller das Aus unzähliger europäischer Firmen bedeutete? So viel ist klar: Die Chinesen haben noch eine Rechnung zu begleichen. Eine Analyse in drei Kapiteln.

Vielleicht hielten die Chinesen das Völkerverbindende für ein gutes Omen. Das italienische Städtchen Tortona, direkt an der 500 Kilometer langen Römerstraße gelegen, brachte dem Werkzeugmaschinenbauer DMTG aber nachweislich kein Glück. Obwohl die Idee auf dem Papier nicht schlecht aussah. Eine Europa-Niederlassung auf italienischem (also maschinenbauaffinem) Boden – Tortona schien perfekt für eine erste Angriffswelle. Heute müssen sich die Chinesen Realitätsferne vorwerfen lassen. Viel zu blauäugig betrat DMTG den Markt.

Es waren nicht die schlechtesten Drehmaschinen, die es zu kaufen gab. Auch ausgestattet waren sie mit brauchbaren Fanuc-Steuerungen – „die hier gut angenommen wurden“, sagt ein Händler. Als DMTG aber auf eine Fließfertigung umsattelte, machte sich das auch im Lager der Italiener bemerkbar: Die Lieferzeiten wurden plötzlich „extrem schlecht“, erinnert sich ein Händler. Aber schon zuvor hatte das Image der Chinesen Risse. Der mangelhafte After Sales sorgte immer wieder für Gerede beim Kunden – „und die Zimmermann-Episode war auch nicht sonderlich hilfreich“, so ein Händler. Denn die Probleme mit dem Exoten aus China machten schnell die Runde. Von den hundert neuen Dalian-Maschinen, die schon vor 2010 im italienischen Lager standen, „brachten wir nur 20, 30 Maschinen an den Mann“, erinnert sich Nils Rückert, Geschäftsführer des Maschinenhändlers GK Werkzeugmaschinen. Ein Teil der Maschinen landete deshalb wieder in China – schon länger kursieren deshalb Gerüchte über eine Schließung des Lagers.

Seit den späten 80er-Jahren stemmen sich Denkmalpfleger, Immobilienentwickler und die Politik gegen die Tristesse: Die Naxoshallen in Frankfurt, einst der ganze Stolz des Schleifmittelherstellers Naxos-Union, sind heute, mehr als zehn Jahre nach Abzug der Produktion, ein hoffnungsloser Fall für Stadtverschönerer. Was noch nicht abgerissen wurde, liegt leblos in der Landschaft. Ausgerechnet dieser totgeglaubte Standort könnte nun zum großen Einfallstor des chinesischen Maschinenbaus werden. Im Februar 2011 siedelte sich hier die chinesische SMTCL mit ihrer Deutschlandtochter (Stammkapital: 500.000 Euro) an. Das europäische Headquarter – inklusive Service- und Schulungszentrum – fungiert seither als verlängerter Arm Shenyangs – und die Dimensionen hier erreichen locker europäische Maßstäbe: Die Chinesen richteten sich auf mehr als 7000 Quadratmeter Fläche ein. „Das sind Ausmaße, die auch beim Kunden ziehen“, meint ein Händler. Und trotzdem ist das alles hier nur ein kleiner Teil der Angriffsstrategie Chinas. Auch bei DMTG werden nach der Italien-Schlappe die Pläne für eine Deutschland-Repräsentanz wieder konkreter. „Man will es hier noch einmal versuchen“, berichtet ein Händler.

Besseres Paket

Diesmal freilich mit dem Anspruch, mehr Erfolg zu haben. Für den Ausbau der chinesischen Montagewerke 2010 und 2012 investierte SMTCL Millionen. Auch die Koreaner – qualitativ mindestens zwei Stufen über die Chinesen zu stellen – legen nach: Bis 2016 will der Hersteller Doosan die Produktion in den Produktionsstätten in Korea und Yantai (China) auf 23.000 Maschinen pro Jahr hochfahren (aktuell: 15.000 Maschinen). Ein Werk für Großmaschinen ist in Namsan, Seoul, in Bau. Zugleich wird die Europa-Offensive nun auch personell abgesichert. „Die Asiaten angeln sich die besten Köpfe“, beobachtet ein Händler. So schlüpfte ein Mann namens Ömer Sahin Ganiyusufoglu nach Dienstjahren in Europa – etwa beim Hersteller Traub – in die Rolle des Beraters bei der chinesischen SMTCL.

Und auch ein Mann vom deutschen Lean-Management-Spezialisten Staufen AG gibt dem Hersteller aus Shenyang neuerdings Ezzes. Zugleich drehen die Asiaten europäischen Vertragshändlern die Daumenschrauben an: Mit immer strengeren Umsatzvorgaben sieht sich etwa Alexander Planche konfrontiert. Seine Firma – ein kleiner österreichischer Familienbetrieb, zwölf Mitarbeiter –, ist seit zwölf Jahren Service- und Vertriebspartner eines chinesischen Großkonzerns. Jetzt werden die Vorgaben von Jahr zu Jahr strenger. „Schon im Halbjahr ruft man an und teilt uns mit, dass wir Gas geben müssen“, schildert der Händler. Dass sich der Hersteller jederzeit eine neue Vertretung suchen kann, „wird uns durchaus zu verstehen gegeben“, so der Händler. Ein Indiz dafür, dass Europa – wie oft behauptet wird – nicht nur ein Hobby der Asiaten ist. Auch das Marketing der Anbieter aus Fernost nähert sich immer mehr westlichen Maßstäben an. Doosan hat sich jüngst – pünktlich zur EMO in Hannover – eine größere Designauffrischung verpasst. Dazu gibt es eine Modelloffensive, die frappant an die Kampagnen des Gildemeister-Konzerns erinnert. „Es wird ganz klar der europäische Markt adressiert“, beobachtet ein Experte.

Gerhard Hein ist der Mann mit den Zahlen. Er ist Bereichsleiter Wirtschaft und Statistik beim Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken VDW – und kann alles Invasionsartige, das sich im Osten zusammenbraut, relativieren. Dem Absatzplus der Chinesen in Deutschland im Vorjahr (plus 20 Prozent) hält er das Minus der Koreaner (minus 12 Prozent) entgegen. „Von einem Überspülen mit asiatischer Ware ist Deutschland weit entfernt“, ist Hein überzeugt. Er glaubt außerdem, dass es die chinesischen Maschinenbauer in Europa eher nur auf Referenzkunden abgesehen hätten. „Es geht um klingende Namen, mit denen der Hersteller dann groß in China werben kann“, sagt der VDW-Mann.

Eine Qualitätssteigerung bei Maschinen aus China will Hein aber nicht in Abrede stellen: Die Fünfjahrespläne der Volksrepublik hätten Chinas Maschinenbauer massiv unter Druck gesetzt: „Sie müssen die Wandlung vom reinen Umsatzwachstum zum qualitativen Wachstum schaffen“, so Hein. Einen tadellosen Ruf müssen sich Maschinen koreanischer Hersteller erst gar nicht mehr erarbeiten. „Sie werden nicht nur für niedere Tätigkeiten eingesetzt“, weiß Maschinenhändler Alexander Planche. So gehen koreanische Fräs- als auch Drehmaschinen längst in die Flugzeugindustrie. Einem von Planches Kunden, dem Wolkersdorfer Lohnfertiger CNC-Maschinenbau, wird im Herbst die siebte Doosan-Maschine in die Werkshalle gestellt – ein horizontales Zentrum für anspruchsvolle Großteile. Der Tiroler Lohnfertiger Dummer hat ebenfalls Maschinen von Doosan in Betrieb. Es sind die kleinen Händler wie Planche, die Doosan dem Ziel der Umsatzverdoppelung bei 23.000 produzierten Einheiten 2016 näherbringen sollen.

Abstand verkleinert

Was der Offensive der Asiaten zusätzliche Dynamik geben könnte: Der sich eintrübende Konjunkturhimmel. Die Maschinenindustrie in Österreich rutschte – ganz ähnlich dem deutschen Nachbarn – bei Absatz als auch Aufträgen tief ins Minus (Auftragseingänge erstes Quartal: minus 4,6 Prozent, Absatz: minus 3,6 Prozent). „Kunden reflektieren seit der Krise nicht mehr so stark auf große Namen“, beobachtet Anton Köller, Geschäftsführer precisa CNC-Werkzeugmaschinen. Der Wiener Händler ist auf Maschinen des taiwanesischen Herstellers Quaser spezialisiert – und profitiert ein Stück weit davon, dass die Überzeugung, „unbedingt in wertvolle europäische Maschinen investieren zu müssen“, schwindet. Auch Maschinenhändler Nils Rückert glaubt, die wirtschaftlichen Turbulenzen könnten den Abstand asiatischer Hersteller zu den europäischen Big-Names „eher verkleinern“.

Die Sorge, dass es weite Teile des deutschen (und österreichischen) Maschinenbaus dahinrafft, ist vorerst aber unbegründet. Die Asiaten würden zwar verstärkt ins „höhere Maschinensegment“ vorstoßen, beobachtet Martin Baminger, Konjunkturexperte vom Fachverband Maschinen und Metallwaren. Doch wirklich konkurrenzfähig sind die Chinesen da noch nicht. Vorerst zumindest: Eine Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, die im September auf der EMO präsentiert wird, zeigt das ganze Ausmaß der Bedrohung, das von asiatischen Maschinenbauern ausgeht: In fünf bis sieben Jahren stünden sie aus technologischer Sicht da, wo die Deutschen heute stehen, heißt es in der Studie. Dann könnten auch Hersteller teurer Zentren Probleme kriegen. Für Standardmaschinenbauer wird es freilich jetzt schon eng. Bei Drehmaschinen fahren die Chinesen in Deutschland heute mit Kampfpreisen von 33.000 bis 88.000 Euro in den Markt. VDW-Mann Gerhard Hein weiß, wem da Gefahr droht: Herstellern, die „unterkritisch groß sind oder unterkritisch spezialisiert“. Der Portalfräsmaschinenhersteller Zimmermann gehört offenbar nicht dazu.