Automotive : "Die USA sind unberechenbar geworden"

Herr Pollmann, Sie steuern aus dem kleinen Waldviertler Ort Karlstein ein Unternehmen mit Produktionsniederlassungen in China, den USA und Tschechien. Sind Sie der Gegenbeweis für die Behauptung, dass Unternehmen außerhalb der Ballungsräume keine Wachstumsperspektiven haben?

Robert Pollmann Wir sind ja nicht die einzigen, die wirtschaftlich im Waldviertel erfolgreich sind. Das Waldviertel und seine Einwohner haben Stärken und Schwächen, mit denen man umgehen muss. Aber die Loyalität der Waldviertler geht sehr weit. Wenn man seine Mitarbeiter ehrlich behandelt und mit ihnen geradeheraus spricht, dann werden Dinge in Notsituationen erledigt, wo man woanders achselzuckend den Feierabend in Angriff nimmt.

Ist das ein Grund, warum Sie ein neues Werk im 30 km entfernten Vitis planen?

Pollmann Ganz sicher. Wir setzen, wenn Sie so wollen, auf Waldviertel 4.0. Wir sind im Werk in Karlstein an der Obergrenze unserer Kapazitäten angelangt. Die Platzmöglichkeiten sind nahezu ausgereizt und vor kurzem haben wir ein 65.000 Quadratmeter großes Gewerbegrundstück in Vitis gekauft.

Gab es Alternativen zum Waldviertel?

Pollmann Nicht für uns. Das Projekt ist sehr dringend. Das Werk muss in einem Jahr stehen und die Maschinen müssen laufen. Die Aufträge dafür sind schon im Haus. Bei möglichen Standorten in Karlstein, die wir auch in Betracht gezogen haben, wären die Vorlaufzeiten deutlich länger gewesen. Daher haben wir uns in der näheren Umgebung umgeschaut und mehrere Gemeinden kontaktiert.

Von welchem Investitionsvolumen sprechen wir für Werk II?

Pollmann Wir werden 15 Millionen Euro investiert haben, bis das Werk in seiner letzten Ausbaustufe läuft. Über Jobs will ich nicht reden. Da sind die Dinge noch im Fluss.

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Sie waren 1992 mit einer Werkseröffnung im 60 km entfernten tschechischen Jindrichuv Hradec einer der ersten Unternehmer, die in Richtung Osten gingen. War das die Initialzündung für die Globalisierung des Unternehmens?

Pollmann Aus damaliger Sicht war es ein kleiner Schritt, der nach und nach größer wurde. Wir haben ja zu allererst mit einer Kooperation begonnen, indem wir ein Lada-Werk mit Lohnarbeiten beauftragt haben. Als die Zeit reif war, haben wir das Unternehmen gekauft, die Mitarbeiter übernommen und einen sehr fähigen einheimischen Werksleiter gefunden. Tschechien war so etwas wie der Anfang unseres Wachstums, aber noch nicht der Beginn der Internationalisierung.

Weshalb?

Pollmann Weil damit meiner Meinung nach auch eine Änderung in der Unternehmenskultur einhergehen muss. Diese hat sich erst ab dem Millenium mit unserem Werk in den USA verändert. Da wurde es für alle spürbar, dass wir einen großen Schritt getan haben. Ein Kollege ist mit seiner Familie nach Illinois/Chicago gegangen, um für uns Nordamerika aufzubauen. Dieser Schritt hat den Charakter unseres Unternehmens stärker beeinflusst als alles, was wir vorher gemacht haben. Dazu kam, dass die Wertschöpfung durch die Vor-Ort-Produktion stark gestiegen ist.

Diese Globalisierung hat jetzt einen Dämpfer erlitten: Die Errichtung eines neuen Werks in Mexiko, dass Sie seit 2016 planen, wurde abgesagt. Warum?

Pollmann Ich war zur Vorbereitung in den USA. Genau zur Zeit, als die Inauguration von Präsident Trump stattgefunden hat. Wir hatten bereits ein Grundstück gekauft und Pläne entwickelt. Damals waren die Schlagzeilen voll von Aussagen über den Mauerbau an der mexikanischen Grenze, dessen Finanzierung und das Ende des Freihandelsabkommens. Das hat uns sehr zu denken gegeben, aber nicht zum Abbruch veranlasst. Heute sehe ich: Die USA sind einfach unberechenbar geworden. Wenn der NAFTA-Raum zerbricht, ist unsere Investition wertlos.

Sind die Mexiko-Pläne damit endgültig vom Tisch?

Pollmann Die Entscheidung ist vorerst aufgeschoben. Im kommenden Jahr bewerten wir die Situation und entscheiden neu.

Herr Pollmann, das Phänomen der Shared Economy wird das menschliche Mobilitätsverhalten verändern. Denken Sie darüber nach, ob man in Zukunft Ihre Produkte, Luxusausstattung wie etwa Schiebedächer, noch in vollem Umfange brauchen wird?

Pollmann Wir denken darüber intensiv nach. Wir sind sicher, dass es das Türschloss auch in kommenden Mobilitätsentwicklungen immer geben wird. Schiebedächer, unser zweites großes Standbein, hingegen sind aufpreispflichtig und werden in einem Auto, das geteilt wird, wohl weniger gefragt sein. Dabei wird es sich aber um eher einfacher gehaltene Modelle handeln, die auch heute schon auf ein Schiebedach verzichten. Die Frage ist, ob das Segment der Premiumautos überhaupt jemals Teil der Shared Economy werden wird. In den Gesprächen, die ich mit unseren Kunden aus der Tier 1-Ebene und den OEMs führe, spüre ich in diesem Punkt keine Unruhe. Wenn ich eine Abgasanlage oder ein Teil eines Verbrennungsmotors bauen würde, würde ich mir größere Sorgen machen.

Eine ketzerische Frage: Wird Automotive weiterhin das Hauptstandbein der Pollmann-Gruppe sein?

Pollmann In den nächsten 10 bis 15 Jahren sicher. Was danach kommt, kann ich heute nicht sagen.

Hat die Digitalisierung und Automatisierung Ihre Arbeitsprozesse bereits verändert?

Pollmann Wenn Sie einen Blick in unsere Produktion werfen, sehen Sie, dass wir in weiten Bereichen bereits mit Automaten und Robotern arbeiten. Die Spritzgusstechnik ist vollautomatisiert. Für uns sind Digitalisierung und Industrie 4.0 nichts Besonderes. Die Automatisierung bestimmt seit etlichen Jahren unseren Alltag. Heute stehen in einer Halle nicht nur Maschinen, sondern komplexe Spritzgussanlagen mit kombinierten Prüf- und Montageanlagen. Dazwischen gibt es die vom Menschen gemachte Qualitätskontrolle, aber sonst ist alles vollautomatisch. Vorne rein, hinten raus – dazwischen macht alles die Maschine. Und dennoch sehen Sie bei uns keine menschenleeren Hallen. Im Gegenteil.

Herr Pollmann, Ihre Gruppe wurde von der Krise 2008/2009 schwer durchgeschüttelt. Lernt man daraus etwas?

Pollmann Diese Zeit hat mich ordentlich getroffen. Es war damals nicht sicher, ob wir es schaffen oder nicht. Wir haben unser Werk in China neu errichtet und dabei unsere Finanzkraft praktisch zur Gänze ausgereizt. Als es dann im Winter und Frühjahr 2009 die Stornos gehagelt hat, hatten wir nichts mehr zum Nachlegen. Meine Erkenntnis aus den Ereignissen ist eindeutig: Es schadet nicht, immer auf einen Notgroschen zurückgreifen zu können. Die Gewinne aus China, die wir schon nach einem Jahr einfahren konnten, zeigten den Banken, dass wir wieder in die Spur kommen. Ohne dieses Signal bin ich mir nicht sicher, ob sie weiter ruhig zugesehen hätten. Wenn Sie so wollen: Unsere Investition in China hat dazu geführt, dass wir 2009 überlebten. Seither hat das Thema Liquidität einen besonderen Stellenwert bei uns.

Im Firmenbuch stehen Sie und Ihr Cousin Markus jeweils als Hälfteeigentümer Ihres Unternehmens. Wenn Sie in den Zeitungen von Steueroptimierung, Briefkastenfirmen und „Paradise-Papers“ lesen, ist es für Sie verlockend, sich auch einmal in Richtung der Steuerparadiese und Stiftungsräte zu verändern?

Pollmann Ich muss gestehen: Wir haben uns mit dieser Frage nicht beschäftigt. Wir zahlen einfach nicht so viel Steuern, weil viel wieder ins Unternehmen geht. Zumindest rechnen sich bei uns derartige Konstruktionen nicht. Dass die großen Digital-Konzerne immer weniger Steuern bezahlen und der Mittelstand die Last alleine trägt, das zählt sicher zu den Gerechtigkeitsverschiebungen, mit denen die Gesellschaft in den Industrieländern vermehrt zu kämpfen hat.

Wie werden Sie und Markus Pollmann die Nachfolgefrage regeln? Riskieren Sie künftige Verwandtschaftsfehden wie bei Porsche-Piech oder der Familie Albert bei Aldi Nord?

Pollmann Wir sind gerade in einem Moderationsprozess, in dem wir uns dieser Frage stellen. Bei uns tritt gerade die fünfte Generation auf den Plan, die ihre Position noch nicht gefunden hat. Sie ist noch so jung, dass für die fixen beruflichen Entscheidungen noch Luft bleibt. Aber wir suchen nach Rahmenbedingungen, die Streitereien vermeiden. Für eine Familiennachfolge ist die Situation heute schwieriger als zu jenen Zeiten, als Markus und ich in Verantwortung gekommen sind. Bei uns war alles klein und überschaubar. Das geht heute so nicht mehr. Die Fußstapfen sind deutlich größer geworden. Wir haben noch keine Lösung. Aber wir denken darüber nach.

Mexiko on hold

Das in Mexiko geplante Pollmann-Werk in San Miguel de Allende im Bundesstaat Guanajuato, etwa 4 Autostunden nordwestlich von Mexico City, sollte Anfang 2018 seine Produktion aufnehmen. Daraus wird vorläufig nichts. Die unsichere Handelspolitik der USA unter ihrem Präsidenten Donald Trump hat die Firmenleitung in Karlstein bewogen, das 11 Mio.-Projekt bis auf weiteres auf die lange Bank zu schieben. Im Herbst 2016 war bereits ein 15.000 m2 großes Grundstück erworben worden, auf dem ein 4.500 m2 großes Produktions- und Bürogebäude geplant war. Der mexikanische Standort sollte 200 Mitarbeiter beschäftigen und laut Pollmann in den ersten fünf Jahren 20 Mio. Euro umsetzen.