Interview : „Die Post wird ihre Netze öffnen müssen“

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Auf einer Beliebtheitsskala von 0 bis 10 muss man schön langsam negative Zahlen bemühen, um die Zufriedenheit der Menschen mit KEP-Diensten darzustellen. Besonders die Zusteller stehen massiv in der Kritik. Warum ist das so?

Rainer Schwarz Das Thema Fahrermangel beschäftigt die gesamte Transport- und Logistikbranche. Mit jedem zusätzlichen Marktteilnehmer verschärft sich die Situation. Es wird immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden, wir müssen ständig neue Fahrer einschulen. Die Fluktuation ist sehr hoch, im zweistelligen Bereich. Wir versuchen so gut es geht über technische Hilfsmittel unseren Fahrern die Arbeit zu erleichtern. Etwa mit dem Projekt „Smart Driver“. Das ist eine spezielle Software, die die optimale Route berechnet. Ebenso vermerkt sind alternative Zustellorte, falls der Kunde nicht daheim ist. In einem nächsten Schritt wollen wir daraus eine App entwickeln, die von Scannern unabhängig ist. Damit können auch Studenten, die nur stundenweise für uns tätig sind, rasch auf dieses selbsterklärende System zugreifen.

Die KEP-Branche verzeichnet sagenhafte Umsatzzuwächse und Sie müssen sich mit Studenten behelfen?

Schwarz Sie finden zum Beispiel in Westösterreich kein Personal mehr. Gegen die Schweiz sind wir chancenlos. Wir kommen aus dem B2B-Bereich, seit knapp fünf Jahren sind wir jetzt im Privatkundenbereich. Die Paketzahlen haben sich seither vervielfacht, die Schwankungen sind enorm. Phasenweise müssen wir das Zehnfache der üblichen Paketmenge bewältigen. Damit muss man organisatorisch erst einmal fertig werden. Zumal das Preisniveau ja nicht steigt, ganz im Gegenteil: Das sinkt kontinuierlich. Zahlreiche Anbieter im Onlinehandel sind einfach Marktgiganten, die bestimmen die Preise. Der Druck ist hoch, wir gehen in Vorleistung und hoffen, dass wir am Ende des Tages vielleicht doch noch ein Geschäft machen.

Kritiker sagen, dass es der KEP-Branche viel zu gut gehe, als dass sie bereit wäre, in neue, innovative Ideen in puncto Last Mile zu investieren...

Schwarz Es ist kühn zu behaupten, dass es der KEP-Branche viel zu gut gehe. Wachstum ist ja lieb und nett, aber das bedeutet noch lange nicht, dass man damit wahnsinnig viel Geld verdient. Und trotzdem investieren wir, vor allem in unseren Service – indem wir etwa Wunschzustellungstermine anbieten, man kann seinen Wunschnachbarn angeben, der das Paket übernehmen soll, man kann kurzfristig eine andere Adresse angeben und man hat schließlich auch noch den Paketshop, bei dem man sich sein Paket abholen kann, zur Auswahl. Man kann sich sein Paket auch am Samstag zustellen lassen. Da haben wir bislang allerdings die Erfahrung gemacht, dass das die meisten nicht wollen. Die wollen am Wochenende ihre Ruhe haben. Überhaupt ist das ein österreichisches Spezifikum, dass man sein Paket nach Hause geliefert bekommen will. Das rührt vermutlich noch aus den guten alten Postzeiten. In Frankreich zum Beispiel ist das ganz anders. Dort bevorzugen 80 Prozent den Paketshop, in Österreich sind es 80 Prozent, die auf Hauszustellung bestehen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Schwarz Mittelfristig wird man die Paketbox-Netze zusammenführen müssen. Es macht aus Unternehmens- und aus Konsumentensicht wenig Sinn, wenn jetzt jeder sein eigenes Verteilsystem aufbaut. Das macht die Sache nur unübersichtlich. Derzeit geht jedes 5., 6. Privat-Paket über DPD, der Rest geht über die anderen. Warum sollte man Kunden zumuten, für jedes Paket einen anderen Abholungsort aufsuchen zu müssen?

Wie soll die Zusammenführung dieser Paketbox-Netze konkret aussehen?

Schwarz Ich denke, das ist durchaus vergleichbar mit den Entwicklungen, die bei den Energieversorgern oder den Telekommunikationsbetreibern stattgefunden haben.

Das heißt in dem Fall, dass die Österreichische Post ihre Netze öffnen soll?

Schwarz Ja, der größte österreichische Anbieter im KEP-Bereich wird sich öffnen müssen. Die Post genießt derzeit enorme Wettbewerbsvorteile, sowas gibt man naturgemäß nur ungern aus der Hand. Deshalb wird es entsprechende Regelungen brauchen, politische Maßnahmen, etwa eine Regulierungsbehörde, die hier lenkend eingreift. Die Post hält das größte Netz an Paketboxen und Schließfächern. Freiwillig wird sie das sicher nicht aus den Händen geben, das kann ich aus unternehmerischer Sicht auch verstehen.

Gab es dazu schon Gespräche?

Schwarz Ja, Vorgespräche gab es. Unsere Vorschläge stießen auf Ablehnung. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass daran kein Weg vorbeiführt. Die Post wird – zu vernünftigen Marktpreisen – ihr Netz öffnen müssen. Genauso wie das in der Energie- und Telekommunikationsbranche schon seit geraumer Zeit der Fall ist. Ich denke, dass Kooperation künftig ein entscheidender Faktor sein wird. Man denke nur an Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Innenstädten. Das trifft dann die gesamte Branche, auch die Post. City-Hubs sind eine gute Alternative, weil man von denen aus ganz andere Möglichkeiten der Last-Mile-Zustellung hat, etwa mit kleinen, wendigen Elektrofahrzeugen. Allerdings kosten solche Hubs Geld, viel Geld. Die Grundstückskosten im innerstädtischen Bereich sind enorm, da macht es durchaus Sinn, seine monetären Kräfte zu bündeln und diese Hubs gemeinschaftlich zu errichten und zu betreiben. Gleichzeitig erwarten wir uns auch ein Entgegenkommen der Kommunen, schließlich könnte dadurch das Verkehrsaufkommen drastisch gesenkt werden, und umweltfreundlich sind derartige Hubs auch. Wir betreiben österreichweit derzeit drei kleine Hubs, einen in der Seestadt (Anm. d. Red.: Aspern, Wien), einen in Linz und einen in Salzburg. Wir haben damit bislang beste Erfahrungen gemacht.

Und was sagt die Stadt Wien zu diesen Vorschlägen?

Schwarz Es gibt bereits einige Projekte, in deren Rahmen man am grünen Tisch darüber nachdenkt, auch über Alternativen. Es gibt da ein Projekt in Hamburg, wo man mittelfristig nur noch mit E-Cargo-Bikes zustellen will. Parallel wurden an zahlreichen Stellen in der Stadt einfach Container aufgestellt, einer benötigt in etwa den Platz von zwei bis drei Parkplätzen. Das ist eine extrem kostengünstige Lösung für Micro-Hubs, man braucht keine teure Miete für Innenstadtflächen bezahlen. In Wien haben wir da mal zart angefragt, also bezüglich der Container. Antwort: Nein! In anderen europäischen Großstädten ist es mittlerweile so, dass die Kommunen auf die KEP-Dienstleister zukommen, sich gesprächsbereit zeigen und auch bereit sind, finanzielle Verantwortung zu tragen. In Österreich ist man davon leider noch weit entfernt.

Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um das etwas ramponierte Image der KEP-Branche zu verbessern?

Schwarz Ich denke, dass wir hier eine Reihe von Maßnahmen setzen, etwa durch unser Serviceangebot, das wir ständig erweitern. Bis Jahresende wollen wir zudem rund 30 Millionen Euro in den Kapazitätsausbau investieren. Das betrifft sowohl Flächenerweiterungen als auch Investitionen in moderne Technik, die uns in unseren Depots kürzere Umschlagzeiten ermöglicht. Für den Ausbau unserer Lkw-Flotte haben wir 450 neue Wechselbrücken angeschafft. Kostenpunkt: über drei Millionen Euro. Wir sind aber in der absurden Situation, dass man von uns erwartet, dass der Transport nichts bzw. fast nichts kosten darf. D. h. wir verdienen nicht genug, um all diese Maßnahmen, die angesichts des starken Wachstums beim Paketexport und -import notwendig wären, zu ergreifen – Stichwort Personalmangel, Stichwort Frachtraumverknappung. Wir sind mit unseren Kapazitäten am Limit. Unsere Dienstleistung muss wieder einen vernünftigen Preis haben. Das heißt, es müssen für die gesamte Branche Preissteigerungen durchgesetzt werden. Geschieht das nicht, wird man sagen müssen, dass man das gewünschte Service um diesen Preis nicht mehr leisten kann. Diese Situation wird eintreten, sollte nicht rasch gegengesteuert werden.

Inwieweit wird dabei die Digitalisierung bzw. Automatisierung der Branche hilfreich unter die Arme greifen?

Schwarz Natürlich werden uns Automatisierung und Digitalisierung in Zukunft dabei helfen, unsere Arbeit zu vereinfachen. Es wird eine Optimierung stattfinden, sowohl was zeitliche als auch was personelle Ressourcen betrifft. Alle Pakete verfügen bereits im Vorfeld über Daten, die uns übermittelt werden, noch ehe uns die Lieferung erreicht. Also Informationen wie: Wohin geht das Paket? Wie schwer ist es? Welche Zustellzeit ist für den Kunden am idealsten etc. Wenn wir frühzeitig wissen, was reinkommt, ermöglicht uns das eine ganz andere Planung unserer Touren. Und je mehr wir über den Empfänger wissen, desto effizienter können wir die Zustellung gestalten. In Zukunft werden alle Pakete mit einer Fülle an Informationen ausgestattet sein. Das klingt jetzt zugegebenermaßen eher unsexy – also keine Drohnen, die irgendwo in der Gegend herumschwirren, aber das wird die Zukunft der KEP-Branche sein.