Anlagenbau : Die Aufholjagd

Marc Deimlings Gemüt war erhitzt. Die Tarifverhandlungen der Metaller nagten an den Nerven des Geschäftsführers der TMS Transport- und Montagesysteme GmbH. Als Spezialist für den Rohanlagenbau von Karosserieteilen ist seine Branche zwar relativ krisenresistent, trotzdem wartete er gespannt auf den Ausgang der Verhandlungen. „Es gibt nichts Wichtigeres als Arbeitsplätze zu erhalten und Österreich mit seinen überdurchschnittlichen Steuerabgaben macht es uns nicht gerade leicht.“

Die Stierkämpfer sind zurück

TMS ist Anlagenbauer für die Automobilindustrie und in keiner anderen Branche lässt sich so gut nachvollziehen, wie es um den Markt steht. „Wir Automobiler wandern immer den besten Konditionen hinterher“, so Deimling. Im Moment richten sich die Augen nach Spanien und Russland. Warum? Weil genau dort die Regierung entsprechende Maßnahmen gesetzt hat, die das Land wieder interessant für die Industrie machen. Kündigungen nach 15 Tagen und die Erhöhung des Pensionsalters über 55 holen die angeschlagen Stierkämpfer wieder zurück in die Arena. Auch Russland weiß wie die Not zur Tugend gemacht wird. 2011 erhöhte das Land seine Importzölle. „Bis zu 20 Prozent der Neuwagen werden in Zukunft in Russland produziert werden“, erklärt Deimling. Damit zwingt Putin die Automobilindustrie in seinem Land Werke zu errichten und die Anlagenbauer folgen. Verstecktes Engineering-Potenzial sieht Deimling in Rumänien. „Rumänische Ingenieure weisen einen sehr hohen Bildungsgrad auf und sind wegen dem vielseitigen Einsatz ihrer Sprache unschlagbar“, so der TMS-Chef. Es ist also nicht nur der Osten, der Österreich Konkurrenz macht, sondern auch die unmittelbaren Nachbarn.

Die Leiden der Siemens VAI

Trotz des zweiten Platzes (gemessen am Umsatz 2012) hat die Siemens VAI dieses Jahr nicht gut Kirschen essen. Die Auftragslage ist miserabel und 150 Leute sollen gehen. Der Grund der Misere: Weltweit zögern die Stahlkonzerne, in neue Anlagen zu investieren. Überkapazitäten sorgen dafür, dass ganze Anlagen stillgelegt werden. Die Münchner Konzernführung leitet ein und löst Branchenurgestein Werner Auer ab. Peter Neumann ist der Neue und hat sicher kein leichtes Spiel. Er sieht einen Rettungsanker im After-Sales-Bereich und hofft als Dienstleister für Industrieanlagen der angeschlagene VAI wieder Nährboden zu geben. Die Gerüchte um einen Verkauf der Industrieanlagensparte dementiert er. Dass die VAI gut daran tut, sich auf Wartung und Instandhaltung zu konzentrieren, kann auch Axavia-Geschäftsführer Walter Burgstaller bestätigen. „Die klassischen Instandhalter für den Anlagenbau werden heute ersetzt durch den Anlagenbauer selbst“, so Burgstaller. Er bemerkt bei seinen Kunden verstärkt einen Hang zu mitgelieferten Wartungsverträgen. „Seit den letzten fünf Jahren nimmt deren Anzahl stetig zu“, bemerkt er. „Hier liegt großes Potenzial.“

Gregor Kremsmüller blickt positiv in die Zukunft. Von einer Auftragsschwäche kann der Mitbesitzer und Geschäftsführer der Kremsmüller Gruppe nicht berichten. Im Gegenteil: Er glaubt sogar an eine Verbesserung. “Im Moment tun sich einige interessante Nischen für uns auf“, so Kremsmüller. Das Erfolgsgeheimnis des Komplettanbieters für Industrieanlagen: Kooperation. „Kooperationsmodelle sind nicht nur Arbeitsgemeinschaften. Das ist das ganze Know-how in einem Topf“, so Kremsmüller. „Das Risiko muss vernünftig aufgeteilt werden und ebenso das Fachwissen.“ Zusammen mit der Andritz Hydro hat Kremsmüller ein 90 Millionen Projekt im Kaunertal in Angriff genommen. 2016 soll die Wasserkraftanlage in Betrieb gehen. Das Großprojekt unterscheidet sich sehr von anderen. So spielt der Auftraggeber, die Tiwag, eine besondere Rolle. „Es ist ungewöhnlich, dass der Kunde so viel Fachwissen mitbringt. Es ist beinahe, als ob man beim Autokauf jedes technische Detail direkt im Werk besprechen würde“, erklärt Kremsmüller.

Dass die Tiwag fester Bestandteil während des Fertigungsprozesses ist, sieht der Chef der Kremsmüller Gruppe als durchaus positiv. „So lässt sich gegenseitiges Wissen perfekt ergänzen“, erklärt er. Die größte Herausforderung im Kaunertal, war aber die Verwendung eines völlig neuen Werkstoffes. In Zusammenarbeit mit der Andritz Hydro wurde daraufhin mit „WIG-HD Engspalt“ ein völlig neues Schweißverfahren für diese Materialien entwickelt. „Sogar die Schweißzusatzhersteller mussten für dieses Projekt neue Werkstoffe entwickeln, um mit dem hochentwickelten Grundmaterial Schritt halten zu können“, erklärt Kremsmüller. Für den Geschäftsführer ist klar, dass zukünftig neue Materialien eine große Herausforderung für den Anlagenbau darstellen. „Wir erweitern die Grenze des Machbaren. Und das hält noch einige Herausforderungen bereit“, so Kremsmüller.

Das Sorgenkind der Andritz

Rankingsieger und unbestrittener Platzhirsch im Anlagenbau ist die Andritz AG. Zu Anfang des Jahres musste aber auch der Größte unter Österreichs Anlagenbauelite eine deutliche Ergebnisverschlechterung bekannt geben. Sorgenkind war der Bereich Pulp & Paper. Dort sorgte eine Lieferung von Produktionstechnologien und Ausrüstungen für ein Zellstoffwerk in Südamerika für erhebliche Kostenüberschreitungen. „Zukünftig werden wir bei derartigen Projekten noch selektiver vorgehen und das Ertrags-, Risikoprofil jedes Projekts noch stärker berücksichtigen“, so Wolfgang Leitner, Vorstandsvorsitzender der Andritz AG. Satte 23, 7 Milliarden Euro kostete der Verlust. Aber Andritz besetzt nicht umsonst seit Jahren Platz 1. Bereits die Ergebnisse des zweiten Quartals zeigten eine erfreuliche Umsatzentwicklung. Immerhin stiegen die Aufträge um satte 15,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Konzernchef bleibt aber nüchtern. „Angesichts des insgesamt sehr schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds müssen wir mit der Geschäftsentwicklung der Andritz-Gruppe zufrieden sein. Für die verbleibenden Monate im Geschäftsjahr 2013 gehen wir davon aus, dass die Investitionsaktivität in unseren Hauptabnehmerindustrien weltweit verhalten bleibt“, so Leitner.

Natürlich wird bei TMS noch vor Ort optimiert, aber in Zukunft könnte man stärker im Büro bleiben. Was so salopp klingt, ist der neue Trend im Anlagenbau schlechthin: die virtuelle Planung. „Eine Anlage wird vollständig in 3D am Computer geplant und simuliert“, kennt auch Axavia-Mann Burgstaller die Vorstellung vieler seiner Kunden. TMS geht sogar noch einen Schritt weiter. „Wir könnten heute ganze Anlagen vom Bürosessel aus in Betrieb nehmen“, erklärt Deimling. Bei der virtuellen Inbetriebnahme wird heute eine Anlage mit realer Steuerung und Offline erstellten Roboterprogrammen mit simulierten mechanischen Komponenten vom Büro aus in Betrieb genommen. Wo früher der Roboter umständlich vor Ort optimiert werden musste, würde heute im Idealfall ein Knopfdruck reichen.

„Ob die Maschine sich anders verhält, als die ursprüngliche Offline-Programmierung vorsah, kann heute in Echtzeit vom Büro aus getestet werden“, erklärt Deimling. Die Inbetriebnahmezeit verkürzt sich extrem, und Planungsfehler fallen sofort auf. „Der ROI ist gewaltig “, gibt der TMS-Chef bekannt. Immerhin Kosteneinsparungen um mehr als die Hälfte bei der Inbetriebnahme, die einen Anteil von bis zu 15 Prozent des Projektvolumens hat, verzeichneten die Linzer in den ersten Pilotprojekten. „Die zusätzlichen Software-Tools dafür sind zwar extrem kostspielig, aber sie amortisieren sich bereits nach einem Projekt“, so Deimling.

Bis zu 70.000 Euro je Arbeitsplatz ist man bei TMS bereit an Steuerungshersteller zu bezahlen. „Das kommt einen immer noch billiger, als Kräfte vor Ort zu schicken.“ Deimling ist davon überzeugt, dass die virtuelle Inbetriebnahme in Zukunft verpflichtend werden wird, da der Kunde dadurch enorme Vorteile genießt. „Es ist auch eine große Chance für den Westen.“ Der TMS-Chef sieht hier einen wichtigen Wettbewerbsfaktor. Bei den Linzern wird inzwischen die virtuelle Inbetriebnahme für komplexe Anlagenprojekte angewandt.