Kontinuierlicher Verbesserungsprozess : Betriebliches Vorschlagswesen: Preis ab Werk

Feinste Prosa war die halbe Miete. Zumindest auf der Jagd nach einer Geldprämie: Wer die Schreibarbeit liebte, hatte beim Faserhersteller Lenzing bisher bessere Karten, den KVP-Jackpot zu knacken. Auszufüllen war nur ein Formuar – mit Beschreibung des Ist-Zustands und der ausgetüftelten Verbesserung. Mittels Hauspost erreichte das Schreiben einen von 150 Gutachtern – nicht selten jedoch den Vorgesetzten auf Meisterebene. „Ein Problem“, sagt KVP-Beauftragter Manfred Altmann.Denn nicht jeder blendende Maschinenbediener ist ein Dichterfürst, nicht jeder routinierte Instandhalter greift gern in die Tasten. Im Vorjahr setzte der Faserhersteller zwar 300 Vorschläge um – doch „viele weitere Vorschläge“, so vermutet Altmann, wurden nur aus einem Grund zurückgewiesen: „Wegen ihrer mangelhaften Präsentation“. Mitunter sogar schroff beim Morgenmeeting – so nach dem Motto: „Was schreibst du denn da zusammen...“. Volle Fettnapfgefahr also für die Belegschaft. Mit der Einführung einer Verwaltungssoftware für Ideenmanagement (Koblank „ideeNet“) wollen die Oberösterreicher nun für mehr Chancengleichheit sorgen. Jeder kann nun per Computer Ideen einbringen – und eine Rechtschreibprüfung hilft dem, der sich „unsicher fühlt“, so Altmann. Er rechnet mit einem guten Drittel zusätzlicher Ideen. Nebeneffekt: Allzu kecke Gutachter kommen „nicht mehr um eine schriftliche Stellungnahme herum“. Über Bord. Ein ungewöhnlicher Ansatz der Oberösterreicher. Und der Zeitpunkt überrascht. „Betriebe werfen gerade alles über Bord, was sie sich mühsam in der Krise aufgebaut haben“, schlägt Manfred Pfeiffer von der Unternehmensberatung Kaizen Institute Österreich, Alarm. Produktionsstandards? Würden einschlummern. Ideenmanagement? Würde weiter zurückgefahren. Jürgen Zinka teilt Pfeiffers Unzufriedenheit. Der Consulter und Vorstand des Forums KVP & Innovation beim Österreichischen Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitszentrum ÖPWZ geht sogar weiter. Er stellt der Industrie ein vernichtendes Zeugnis aus. „Jeder zweite Industriebetrieb hat kein funktionierendes KVP-System“, zieht der erfahrene Innovierer seine Schlüsse. Ein Aspekt: KVP gelange häufig gar nicht bis auf Vorstandsebene – selbst der beste KVP-Manager sei dann “machtlos“, meint Zinka. Von 1999 bis 2003 selber KVP-Leiter bei Magna Steyr, steckten Zinka und der damalige Vorstand Wolf-Dieter Schulz praktisch täglich die Köpfe zusammen: „Schulz hat die Themen promotet“, so Zinka.Ernüchternd dagegen aktuelle Schilderungen von Betrieben: „Wir haben KVP im Haus installiert und arbeiten die Vorschläge mit einer Datenbank ab“, erzählt Werksleiter Franz Massak. Punkt. Prämien gebe es nicht, auch keine sonstigen Anreize für einen KVP-Vorschlag“, sagt Massak. Für ÖPWZ-Mann Jürgen Zinka, der Belohnungen für wesentlich erachtet, alles andere als ein Königsweg. “0815-Konzepte” in der Mitarbeitermotivation hätten schlicht versagt. “Ohne Zeichen von Wertschätzung geben Mitarbeiter keine ihrer Ideen preis”, weiß er. Prestiggeschenke, kuriose Firmenevents, monetäre Anreize: INDUSTRIEMAGAZIN sah sich die originellsten KVP-Strategien der Industrie an.
Die Menschheit ist in Gefahr – höchste Zeit, dass die Rosenbauer-Agenten in Aktion treten: Nur sie können Mitteleuropa noch retten. Eingeschüchtert? Alles nur Spaß. Denn der stand im Vordergrund, als der Leondinger Feuerwehrausstatter Rosenbauer 2011 seine acht besten KVP-Teams an einem – bezahlten – Arbeitstag ausgelassen feiern ließ. Die Teilnahme an der James Bond Trophy im Waldviertel (inklusive Bogenschießen und weiteren Geschicklichkeitsstationen) hatten sich die Mitarbeiter redlich verdient – denn 2010 rissen sie die Latte: „Die Teams trugen mit mindestens einem umgesetzten Vorschlag erheblich zur Steigerung unserer Produktivität bei“, erzählt Vorstandsmitglied Gottfried Brunbauer. Die Oberösterreicher setzen am Standort Leonding auf ein differenziertes KVP-System für 650 Mitarbeiter (insgesamt: 900) – das auch Jürgen Zinka vom ÖPWZ ein Lob abringt: „Die sind ganz vorne mit dabei“, sagt er. So schaffen Prämien in der Höhe von zehn Prozent des Erstjahresnutzens eines Vorschlags monetäre Anreize – damit ist es aber noch nicht getan. Erst mit einmaligen Events wie der James Bond Trophy setzen die Mitarbeiter „zu Höhenflügen an“, erklärt Edith Fritz aus der Personalabteilung. Ein einheitliches Schlauchhalterungssystem fürs Fahrgestell mit mehreren Verstellmöglichkeiten brachte so schöne Einsparungen in der Höhe von 11.000 Euro im Jahr. „KVP bedarf einer ständigen Energiezufuhr – auch in der Hochkonjunktur“, erkannte Brunbauer. Ungewöhnlich: Die KVP-Teams in Leonding schlüpfen auch in die Rolle des Controllers und bewerten selber Material- und Arbeitsaufwand eines Vorschlags. So sei der echte Controller am Ende “nicht immer der Buhmann“, lacht Brunbauer. Ruhm und Ehre. Andere Industriebetriebe führen ihrem Ideenmanagement über die Prestigeschiene Kraftnahrung zu. So verleiht der Pettenbacher Schweißtechnikhersteller Fronius in einem feierlichen Zeremoniell alljährlich in drei Kategorien (darunter Poka Yoke) spezielle KVP-Oscars im Stammwerk. Ein fixes Prämiensystem gibt es aber nicht. Innovativen Wienerberger-Mitarbeitern winkt indes ein Qualitätsmanagementpreis. Der Wettbewerb wird seit 2009 auf Werksebene ausgetragen. In erster Linie ist es eine schöne Auszeichnung inklusive Wanderpokal – „die Arbeiter des Siegerwerks waren zur Angestellten-Weihnachtsfeier in der Steiermark eingeladen“, erzählt Stefan Steinlechner, seit 2006 Qualitätsmanagementbeauftragter beim Ziegelhersteller. Die Herrschaften machten sich den Spaß. Und kamen geschlossen in Tracht.
Jürgen Zinka vom ÖPWZ findet nicht, dass der Betrieb seine Leute der Lächerlichkeit preisgab. „Damit fällt man auf“. Fest steht: Das KVP-Konzept bei Wienerberger geht auf. Heuer hätte der tolle 3. Rang beim QM-Preis 2009 nur mehr für den letzten Rang gereicht. Ein Indiz dafür, dass die Mitarbeiter mit Feuereifer zur Sache gehen. Noch erstaunlicher: Die Zahl der Produktreklamationen. Die habe sich seit 2009 “halbiert”.Opel Wien: Sonderbehandlung für Produktions-VIPs.Eine Klasse für sich laut ÖPWZ-Vorstand Jürgen Zinka: Automobilzulieferer. Sie wurden von den OEM´s immer schon geknebelt. So sei KVP klarerweise “hoch im Kurs”. Ein Beispiel ist das Asperner Motoren- und Getriebewerk Opel Wien. 52 mal im Jahr wird dort ein Leihwagen unter die Mannschaft gebracht. Für eine Woche gehört das Fahrzeug aus dem gehobenen Segment dann "ganz dem Mitarbeiter", streicht Personalchef Manfred Bauer hervor. Als Zuckerl winkt dem jeweiligen Wochensieger – aus neun Nominierungen gewählt – ein VIP-Parkplatz am Firmengelände. Zusätzlich gibt es 15-Prozent-Prämien für umgesetzte Vorschläge. Die Instrumente ergänzen sich gut: Auf einen Mitarbeiter entfallen im Schnitt zehn eingereichte Vorschläge pro Jahr, der Betrieb konnte im Vorjahr so 2,6 Millionen Euro einsparen. Was überrascht: Die Umsetzungsrate liegt bei bärenstarken 90 Prozent – die Opelianer reichen also fast ausschließlich hieb- und stichfeste Ideen ein.
Prämien für umgesetzte Vorschläge „haben wir derzeit nicht im Programm, nicht mal ansatzweise“, heißt es beim steirischen Analogchiphersteller austriamicrosystems. Argumentativ am anderen Ende des Tischs sitzen europäische Autobauer wie der Volkswagenkonzern. 25-Prozent-Prämien gibt es dort immer noch allenthalben für untadelige KVP-Vorschläge. In Österreich liegt das BMW Motorenwerk Steyr in Sachen Großzügigkeit vorn. Auffallend generös zeigt sich auch der Autozulieferer Magna Steyr Fahrzeugtechnik: Seit 1999 wird einem Fabrikmitarbeiter für den besten KVP-Vorschlag jedes Jahr der Schlüssel eines nagelneuen Autos ausgehändigt. Jürgen Zinka vom ÖPWZ erinnert sich genau, war er doch Geburtshelfer der Aktion, die “schon damals gut ankam”. Im Vorjahr war es ein kleiner Peugeot, der Freude brachte. Dennoch sind solche Aktionen ein Trapezakt: Im Werbemittel der Gewinnaktion war der Vermerk „Symbolfoto“ abgedruckt – hinterher durfte sich also keiner wundern, dass das Auto nicht mit 19-Zöllern, “sondern Winterreifen ausgestattet war“, erzählt Magna Steyr-KVP-Profi Peter Tüchler. Und nimmt man Mitarbeitern eine solche einmalige Gewinnmöglichkeit wieder weg, kann das ins Auge gehen. „Das wirkt extrem demotivierend“, weiß Jürgen Zinka. Groß die Trommel rühren will Peter Tüchler von Magna Steyr deshalb nicht für die letztjährige Aktion – in der Form könnte es nämlich die letzte gewesen sein: „Möglicherweise müssen wir neue Themen setzen“, so Tüchler.Dabei denkt er einerseits an die Elektromobilität. Anderseits ist die Ausbeute mit einem Gesamtsieger nach Tüchlers Meinung eher gering. Vielleicht sollte man “die Gewinnchancen erhöhen“. Auch Dichterfürsten im Magna-Werk würde das vielleicht freuen. Daniel Pohselt
Besser zu werden sei doch ureigenster Teil der Arbeit – wozu dann noch ein Prämiensystem? So spaßbefreit nüchtern sehen es japanische Produktionsexperten. Auch hierzulande verzichten einige auf Bonifikationen für gute Ideen in der Produktion. “Große einmalige Belohnungsaktionen geraten „sofort wieder in Vergessenheit“, meint Andreas Fill. Der Chef des gleichnamigen Sondermaschinenbauers in Gurten darf sich im Schnitt über anderthalb eingebrachte Team-Ideen pro Tag freuen – ein Geldregen erwartet seine ideenreichen Mitarbeiter dennoch nicht. Bei einer Mitarbeiterfluktuation von unter 3,5 Prozent erzeugt der Maschinenbaubetrieb Erfolg lieber durch Nestwärme. So gibt es neben Skitagen und vielen kleinen Benefits – etwa Geschenkgutscheinen – auch einen Willkommensgruß in Form einer Glückwunschkarte für Mitarbeiter-Babys. „Dann steht der Storch in der Firma“, erzählt Fill. All dies zu administrieren falle „unendlich einfacher“ als ein zentrales, “faires Belohnungssystem hochzuziehen”. Bewusst küre man deshalb auch nicht mehr den “Mitarbeiter des Jahres”: (Verdientes) Einzellob schürte schon einmal Missgunst in der Belegschaft.