Strategie : Bei RWE geht es "ums Überleben"

Bei einer Veranstaltung hat RWE-Kraftwerkschef Matthias Hartung klare Worte gefunden: "Unabhängig von Länder- und Spartengrenzen: Es geht ums Überleben", sagte er über die RWE-Gewinne aus den Kohle- und Gaskraftwerken. Denn der bisher wichtige Ertragsbringer für den ganzen Konzern könnte sich bis 2017/2018 der Nulllinie nähern. Deshalb verdient der deutsche Energiekonzern unter dem Strich kaum noch Geld und muss dringend seine Struktur straffen, um sich fit für die Zukunft zu machen. Dazu arbeitet RWE-Chef Peter Terium an letzten Details einer Radikalkur: RWE will Teilgesellschaften bündeln und ihre Zahl deutlich reduzieren, heißt es aus Konzernkreisen.

Etwa ein Drittel der rund 100 Töchter und Einheiten sollen dabei gebündelt oder verschmolzen und die Essener Zentrale gestärkt werden. Denn die rund 100 Teilgesellschaften und Gremien, sogenannte Legaleinheiten, oft mit Führungsstäben, eigenen Vorständen und allein 10 Aufsichtsräten in Deutschland existieren bei RWE bisher nebeneinander. Alle tagen, beschließen, protokollieren - ein gewaltiger Bürokratieaufwand. Vor allem dauert es mit der dezentralen Struktur viel zu lange, bis Entscheidungen etwa über neue Produkte oder Investitionen vom Spitzenmanagement in der Praxis ankommen. Weiterer Arbeitsplatzabbau ist nicht geplant. RWE beschäftigte zum Jahresende 2014 noch rund 60.000 Mitarbeiter. Somit geht es bei "Parent" nicht um Personalabbau, sondern vor allem um schnellere Entscheidungswege. "Das wäre eine Revolution für RWE - und die ist lange überfällig", sagen kritische Beobachter wie Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Dass RWE die Energiewende verschlafen hat, wie dem Konzern immer wieder vorgeworfen wird, und beim Anteil der Erneuerbaren weit hinter den Konkurrenten Eon und EnBW liegt, ist für Kritiker eben auch ein Strukturproblem. "Unter zwei oder drei Teilnehmern stimmen Sie sich schneller ab als unter zehn", heißt es aus dem Unternehmen. Später - noch nicht im August - sollen bei RWE möglicherweise zusätzliche Vorstandsmitglieder benannt werden. "Der Umbau ist Pflichtprogramm", sagt Aktionärsschützer Tüngler, "dezentrale Strukturen klappen in guten Zeiten, jetzt in der Krise muss der Vorstand durchregieren können."

Beim "Durchregieren" hat RWE allerdings historisch bedingt enge Grenzen: Dass dabei der wichtige RWE-Standort Dortmund nicht zu kurz kommt, darüber wacht schon Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD), der mit im Aufsichtsrat sitzt. RWE hatte nach der Fusion mit VEW in Dortmund im Jahr 2000 garantiert, Tausende Jobs in der Stadt zu belassen. Das dürfte beispielsweise für den RWE-Vertrieb gelten.

Die Kommunen - mit rund 24 Prozent mächtigster RWE-Einzelaktionär - sehen noch erheblichen Klärungsbedarf. "Die Branche wird zunehmend dezentral - warum setzt Terium da auf eine zentrale Struktur", sagt der Geschäftsführer des Verbandes der kommunalen Aktionäre, Ernst Gerlach. "Ist RWE damit noch nah genug an den Kunden?" Gerlach erwartet Antworten vom Management noch vor der Sitzung. Die Gewerkschaftsseite im Aufsichtsrat trägt dem Vernehmen nach Teriums Pläne grundsätzlich mit.

Der Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe und der abgestürzte Börsenstrompreis wegen der Energiewende haben das Geschäft von RWE durcheinandergewirbelt. Der betriebliche Gewinn sackte seit 2010 von 7,7 Milliarden Euro auf vier Milliarden 2014 ab. RWE reagierte unter anderem mit Sparprogrammen wie "Neo". Die Mitarbeiterzahl ging - auch durch verkauftes Geschäft - von 71.000 im Jahr 2010 auf knapp 60.000 Ende 2014 zurück. Im laufenden Jahr hat sich an dem Trend nichts geändert. Die Gewinne aus der Stromerzeugung gehen weiter zurück. Bis 2017/2018 nähern sie sich laut RWE der "schwarzen Null". (apa/dpa)