LKW-Kartell : Zur Kasse!

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Die Dimensionen sind furchteinflößend. Dauer des Kartells: 14 Jahre. Daran beteiligt: MAN, Volvo, Daimler, Iveco und DAF, gegen Scania laufen Untersuchungen. Gemeinsamer Marktanteil der Kartellanten in der EU: rund 90 Prozent. Möglicherweise entstandener Schaden nach Experten-Schätzungen: um rund 15 Prozent erhöhte Verkaufspreise. Verhängte Kartellstrafe: 2,93 Milliarden Euro – mit Abstand bisheriger Rekordwert.

Im Sommer 2016 wurde das Lkw-Kartell publik. Teilnehmer MAN hatte es selbst gegenüber der Europäischen Kommission aufgedeckt und dafür die Kronzeugenregelung gezogen. Die Kartellanten hatten zwischen 1997 und 2011 nicht nur die Bruttolistenpreise mittelschwerer und schwerer Lkw abgesprochen, sondern auch den Zeitplan für die Einführung von Emissionssenkungstechnologien und die Weitergabe der Kosten an die Kunden. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager bezeichnet die Höhe der Strafe als bewusst gesetztes „Ausrufezeichen“.

Einzeln oder gemeinsam?

Der Saal in der Wirtschaftskammer war zum Platzen voll. Transporteure, Juristen, Prozessfinanzierer und Vertreter von Lkw-Herstellern wollten Mitte Jänner wissen, wie es nun weitergehen kann. Die Informationsveranstaltung des Fachverbands Güterbeförderungsgewerbe zu Chancen und Risiken von Prozessen gegen die Kartellanten verlief teilweise durchaus emotional. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Causa Lkw-Kartell jetzt erst richtig beginnt. Fachverbands-Geschäftsführer Peter Tropper erwartet jedenfalls, „dass zumindest die großen Fuhrparkbetreiber das jetzt durchziehen. Ich bin sicher, dass einige der Großen bald vorpreschen werden.“

Dass es nach dem Sommer recht ruhig darum wurde, hat vor allem formale Gründe: Die für Februar 2017 angekündigte Veröffentlichung der detaillierten Bußgeldbescheide inklusive Zustellung an die Kartellanten verzögert sich und wird nun eher für Mitte des Jahres erwartet. Das wird der Startschuss sein für den nächsten Akt: die zu erwartende Welle an Kartellrechtsklagen.

Zwei Stoßrichtungen zeichnen sich ab. Der deutsche Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) propagiert derzeit das so genannte „Abtretungsmodell“: Mit Unterstützung von Juristen und eines Prozessfinanzierers will der Verband eine Bündelung von Klagen betreffend mindestens 100.000 Lkw erreichen. Die Daten der Unternehmen sollen gesammelt an einen Schadensgutachter gehen, die im Erfolgsfall erstrittene Summe anteilig verteilt werden.

Genau daran glaubt Hannes Eisner nicht: „Unsere Juristen sind davon überzeugt, dass Sammelklagen nicht erfolgreich sein werden“, sagt der Österreich-Vertreter des deutschen Prozessfinanzierers Creditale. Abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen in Österreich rechtlich nur mit Mühen möglich ist, lautet sein Hauptargument: Gutachten, deren Ergebnis Durchschnittswerte sind, würden Richter nicht überzeugen. „Gutachten werden aber natürlich der Schlüssel zum Erfolg sein. Und zwar solche Gutachten, die für jeden Mandanten einen individuellen Schaden nachweisen können. Jede klagende Partei hat unterschiedliche Zugänge, alleine schon, weil sie Lkw verschiedener Marken gekauft hat. Das Gericht kann bei einer Kartellschadenersatzklage den Schaden zwar innerhalb gewisser Grenzen nach richterlichem Ermessen festsetzen, aber auch dafür braucht es eine Bescheinigung, in welcher Größenordnung der konkrete Schaden sich überhaupt bewegt. Deshalb finanzieren wir ja auch die Erstellung eines Gutachtens über die konkrete Schadenshöhe für jeden Kläger.“ Unbedingte Voraussetzung für den Erfolg ist jedenfalls ein belastbarer Nachweis der für die Lkw bezahlten Preise. Peter Tropper weist im übrigen darauf hin, dass das von der Kommission verhängte Bußgeld keinesfalls mit dem Nachweis eines Schadens verwechselt werden dürfe: „Ein Schaden muss individuell durch ein Gutachten nachgewiesen werden. Dabei kann sich auch herausstellen, dass die Schadenssumme Null ist.“

„Nicht unbeantwortet lassen“

Die Rechtsabteilungen der Spediteure und Transporteure – und aller Betreiber von schweren Lkw-Firmenflotten – haben derzeit also gut zu tun. Wenig überraschend sind die vom Kartell potenziell Betroffenen kaum bereit, sich dazu öffentlich zu äußern. Fritz Müller befindet sich in einer besonders spannenden Lage: Der Eigentümer der Wiener Neustädter Müller Transporte betreibt einen Scania-Fuhrpark, „ob wir vom Lkw-Kartell betroffen sind, ist also noch nicht ganz klar.“ Die schwedische Volkswagen-Tochter bestreitet ja vehement eine Teilnahme am Kartell, hat allerdings nach dessen Auffliegen schon mal rund 400 Millionen Euro zurückgestellt.

Von der Existenz des Kartells nicht grundlegend überrascht („Dafür bin ich einfach schon zu lange in diesem Geschäft“), zeigt sich Fritz Müller prinzipiell kampfbereit. „Die Kartellanten behaupten ja, es sei bei den Absprachen nur um die Bruttopreise gegangen. Das halte ich für unglaubwürdig – ich habe jedenfalls noch nie den Bruttopreis eines Lkw gesehen. Wenn es einen Schaden für die Kunden gab, dann muss es meinem Rechtsempfinden nach auch eine Entschädigung geben. Unsere Branche ist bekanntlich hart, und die Margen sind dünn, daher können wir das nicht einfach unbeantwortet lassen“, sagt Müller. Der sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen kann: „Genau die Konzerne, die permanent auf Compliance pochen, die sich in immer dicker werdenden Verträgen jede Kleinigkeit drei Mal unterschreiben lassen – genau die treffen dann Preisabsprachen. Das finde ich besonders ärgerlich.“

Und was machen die Kleinen?

In einer Hinsicht wären Unternehmen wie Müller Transporte im Ernstfall im Vorteil. Der Fuhrpark übersteigt bei weitem die Zahl von 50 Lkw, die Creditale-Vertreter Hannes Eisner als attraktiv für einen Prozessfinanzierer benennt. Angesichts zu erwartender „strategischer Hartnäckigkeit der Anspruchsgegner“ dürfte sich die Vertretung kleinerer Fuhrparkbetreiber eher nicht lohnen – was die Frage aufwirft, welche Möglichkeiten den anderen bleiben. „Ich muss leider zugeben, dass die Struktur der österreichischen Transportbranche wohl eher den Kartellanten entgegenkommt als etwa jene in Deutschland“, sagt Hannes Eisner. Peter Tropper erwartet jedenfalls „eine jahrelange Materialschlacht. Da stellt sich für kleinere Fuhrparkbetreiber natürlich die Frage von Kosten und Nutzen.“

Ein Ratschlag für die Kleineren? Eingehende Beratung durch einen gestandenen Kartell-Rechtler, empfiehlt Peter Tropper. Der Fachverband hilft gerne bei der Suche, denn: „Wie viele Kanzleien in den vergangenen Monaten plötzlich zu Kartellrechtsexperten wurden, ist schon erstaunlich.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Betroffene Schadenersatzansprüche geltend machen können.

Wer?

Ansprüche geltend machen können Käufer von neuen oder gebrauchten mittelschweren und schweren Lkw, ebenso Leasingnehmer und Mieter.

Gegen wen?

Die Unternehmen MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF haben ein Preiskartell gebildet. Die Angebotspreise wurden also unter den Kartellanten abgesprochen. Soweit bekannt, waren keine Händler am Kartell beteiligt.

Wann?

Der vom Kartell betroffene Zeitraum reicht von 1997 bis 2011.

Wo?

Maßgeblich ist der gesamte Europäische Wirtschaftsraum.

Wie?

Für schadensbegründende Ereignisse vor dem 11.1.2009 sind KartG 1988 bzw. KartG 2005 maßgeblich, danach die ROM II-Verordnung.

Bis wann?

Nach derzeitiger Rechtslage beginnt die Verjährungsfrist von drei Jahren zu laufen, sobald der Geschädigte „Kenntnis von Schaden und Schädiger“ hat. In diesem Fall also ab Veröffentlichung der rechtskräftigen Kartellentscheidung im Juli 2016. Die Verjährungsfrist soll demnächst auf fünf Jahre verlängert werden. Unabhängig davon verjährt der Ersatzanspruch erst 10 Jahre nach Schadenseintritt (z.B. Kauf des Lkw).