Konzernstrategie : VW steht vor dem radikalsten Umbau seiner Geschichte

Der deutsche Autobauer Volkswagen steht vor dem radikalsten Einschnitt seiner Unternehmensgeschichte: Bei der Kernmarke VW streicht der Konzern in den nächsten Jahren 30.000 Stellen, davon 23.000 in Deutschland. Das ist ein zentrales Ergebnis des sogenannten Zukunftspakts, den Unternehmensleitung und Betriebsrat am Freitag vorstellten.

Milliardeninvestitionen in Elektroautos, selbstfahrende Autos und digitale Fabriken

VW hinkt der Konkurrenz bei Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit seit längerem schon hinterher. Parallel zum Stellenabbau wird VW rund 3,5 Milliarden Euro in Zukunftsfelder wie Elektromobilität, Digitalisierung und Autonomes Fahren investieren. An den deutschen Standorten der Kernmarke mit ihrer Belegschaft von rund 120.000 Mitarbeitern wird eine Fertigung von Elektroautos, Elektroantrieben und Batterien aufgebaut. Wolfsburg soll Digitalisierungs-Zentrum des Unternehmens werden.

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"Der Zukunftspakt ist das größte Reformprogramm in der Geschichte der Kernmarke unseres Konzerns. Es wird Volkswagen effizienter, produktiver und wettbewerbsfähiger machen", sagte VW-Konzernchef Matthias Müller in Wolfsburg. Monatelang hatten Unternehmensspitze und Arbeitnehmervertreter über den Pakt verhandelt.

"Arbeitsplätze in der Stammbelegschaft sind sicher"

Der Jobabbau soll für die Stammbelegschaft ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen, etwa indem freiwerdende Stellen nicht nachbesetzt werden und Beschäftigten Altersteilzeitregelungen angeboten wird. Für die mit Leiharbeitern besetzten Stellen gilt diese Garantie nicht.

"Die Arbeitsplätze in der Stammbelegschaft sind sicher", betonte VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh. Betriebsbedingte Kündigungen seien bis 2025 ausgeschlossen. Der Pakt habe "Licht und Schatten", sei insgesamt aber ein "Ergebnis der Vernunft". "Ein unkontrollierter Stellenabbau" sei damit vom Tisch.

Das Schrumpfprogramm soll Einsparungen und Effizienzsteigerungen ermöglichen, durch die zugleich Mittel für Investitionen in neue Forschungs- und Produktionsbereiche verfügbar werden. Nach VW-Angaben soll es das Ergebnis des Unternehmens ab 2020 um 3,7 Mrd. Euro pro Jahr verbessern. 3 Mrd. Euro sollen die deutschen Standorte beisteuern.

Kein direkter Zusammenhang mit der Abgasaffäre

Der Volkswagen-Konzern mit seinen insgesamt zwölf Marken kämpft aktuell mit den Folgen der Dieselaffäre um manipulierte Abgaswerte. Der Zukunftspakt der Kernmarke steht damit nicht in direktem Zusammenhang: VW liegt mit Blick auf wichtigen Produktivitäts- und Renditekennziffern hinter anderen Herstellern zurück. Die im Zukunftspakt skizzierte technologische Umorientierung ist eingebettet in die Strategie 2025 des VW-Gesamtkonzerns.

Die gesamte Branche werde sich in den kommenden Jahren durch neue technologische Trends und neue Wettbewerber radikal verändern, sagte VW-Markenchef Herbert Diess. "Volkswagen muss schnell wieder Geld verdienen und sich für den kommenden Sturm wappnen."

Unterschiedliche Pläne für einzelne Standorte

Parallel zum geplanten Jobabbau will VW 9.000 neue Arbeitsplätze in neuen Betriebsfeldern schaffen. Die Werke in Wolfsburg und Zwickau sollen künftig Elektroautos bauen, die in Braunschweig, Salzgitter und Kassel steigen in die Fertigung der dazugehörigen Antriebe und Getriebe ein. In Salzgitter startet eine Pilotanlage zur Batteriezellenproduktion.

Der Hauptsitz in Wolfsburg soll zum Zentrum der Digitalisierungsbemühungen von VW werden. Der Ministerpräsident des wichtigen VW-Anteilseigners Niedersachsen, Stephan Weil (SPD), nannte den Arbeitsplatzabbau "eine bittere Pille", die aber unvermeidlich sei. VW müsse wettbewerbsfähiger werden, Niedersachsen unterstütze dies.

Hinter den Kulissen gärt es gewaltig

Nachdem die massiven Stellenstreichungen bekannt wurden, entbrannte eine neue Debatte um Management-Boni und den Umgang mit den vom Diesel-Skandal betroffenen Kunden. So sagte etwa der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, gegenüber der „Bild“-Zeitung: “Ein deutlicheres Signal wäre es, auch die Boni der letzten Jahre an den Konzern zurückzugeben." Das Top-Management bei Volkswagen solle so für das jüngste "Versagen" geradestehen. Aktionärsvertreter sehen das ähnlich. "Die Vorstände können nicht für Erfolge bezahlt werden, die auf Software-Manipulationen und Betrug beruhen", meinte Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz im "Tagesspiegel".

„Ungeschickte“ Äußerungen von VW-Chef Müller heizen Debatte an

Zusätzlich sorgten Äußerungen von VW-Konzernchef Matthias Müller für Wirbel. Er hatte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ein mangelndes Kundeninteresse für den schleppenden Absatz von E-Autos verantwortlich gemacht. Entschädigungswünsche von VW-Fahrern, die von der Dieselkrise in Europa betroffen sind, könne er nur "emotional" nachvollziehen. Nicht nur Verbraucherschützer kritisierten das.

"Ich halte die Äußerung für mehr als ungeschickt", sagte Lies und betonte: "Das ist der völlig falsche Weg." Auch der CDU-Vizefraktionsvorsitzende Dirk Toepffer meinte: "Die Kommunikation des Konzerns ist unterirdisch." VW müsse nun endlich wieder in ein ruhigeres Fahrwasser kommen.

Zulieferer-Gipfel

Anfang Dezember soll ein Zulieferer-Treffen mehr Klarheit für wichtige Lieferanten von Europas größtem Autobauer geben. Bei dem Treffen der niedersächsischen Zulieferindustrie soll es um Auswirkungen des Zukunftspakts gehen. Dieser sieht neben Reformen und Stellenabbau auch eine Neuausrichtung bei den Zukunftsthemen Elektromobilität und Digitalisierung vor. In Niedersachsen beschäftigt Volkswagen rund 110.000 Menschen, noch einmal so viele sind es in den Zulieferunternehmen.

Angesichts des Wandels der Mobilität gelte es auszuloten, wie die Zulieferer etwa über neue Komponenten daran teilhaben könnten, erklärte Lies. Er betonte, dass der Gipfel durchaus den Anstoß geben könnte für ein bundesweites Treffen dieser Art. (afp/apa/red)

Es geht ans Eingemachte. Seit Monaten haben die Beteiligten in Wolfsburg um ein Regelwerk gerungen, das schon mit seinem Namen die Weichenstellung sein soll für die kommenden Jahre. Und das Ergebnis macht klar, warum Arbeitnehmer und VW sich auf den letzten Metern so schwergetan haben.

Bis zu 30.000 Stellen sollen in den kommenden Jahren weltweit wegfallen, die Kosten um fast 4 Mrd. Euro pro Jahr sinken. Damit kommt auch die Dieselkrise endgültig bei der Belegschaft an.

Allein in Deutschland stehen 23.000 Stellen zur Disposition - der Abbau soll zwar sozialverträglich geschehen, betriebsbedingte Kündigungen wird es nicht geben. Viele aber werden sich umstellen und umlernen müssen. Manches Werk wird weniger - und andere - Arbeit haben.

Sparen und Investieren gleichzeitig

Denn VW muss sparen und gleichzeitig in neue Technologien investieren, um den Anschluss nicht zu verlieren. Ein Drahtseilakt unter Zeitdruck. Vieles stand auf dem Prüfstand, aber am VW-Fundament sollte nicht gerüttelt werden. Teilnehmer beschreiben die Gespräche als zäh, hart, aber insgesamt sehr fair. Die Lage für VW ist allerdings auch ernst. Die Kernmarke VW Pkw mit den Verkaufsschlagern Golf, Tiguan und Passat wandelt nicht erst seit der Abgasaffäre gefährlich nah an der Verlustzone.

Von 100 Euro Umsatz blieben in den ersten neun Monaten nur rund 1,60 Euro als Gewinn vor Zinsen und Steuern hängen - zu wenig für die Ansprüche des Weltkonzerns. Markenchef Herbert Diess will die Umsatzrendite in den kommenden Jahren nun mehr als verdoppeln.

Premiumschlitten lukrativer

Die großen Gewinne fahren im VW-Konzern nämlich andere ein. Dass die Premiumschlitten von Porsche und Audi lukrativer sind, liegt auf der Hand. Aber selbst die Konzerntochter Skoda glänzt im Vergleich zu VW mit seiner Gewinnkraft. Diess war auch deshalb von BMW geholt worden, weil ihm der Ruf des strikten Kostenkillers vorauseilt.

Der Streit um das Warum der hohen Kosten hat Tradition im Vielmarkenkonzern. Wessen Entwicklungsleistungen kommen wem zugute, welche gemeinsamen Kosten werden welcher Marke allein angelastet? Hinter den Kulissen soll es deswegen erneut Spannungen gegeben haben. Der Stresstest Dieselkrise ist der Solidarität unter den bisher zwölf Marken des Konzerns nicht sehr zuträglich.

Deutsche Werke werden profitabler

Belegschaft und Unternehmen haben nun den sogenannten "Zukunftspakt" geschnürt - doch ohne Schmerzen wird es nicht gehen. In Wolfsburg glaubt man auf allen Seiten, den Ausweg durch einen Personalabbau gefunden zu haben, der sich die zahlreichen Babyboomer an der Altersteilzeitgrenze zunutze macht. Sie sollen für Entlastung sorgen, wenn sie weniger arbeiten oder in Frührente gehen. Ob die Sparbemühungen reichen, das bezweifeln viele. Schon Ex-Chef Martin Winterkorn hatte in seinem Effizienzprogramm 5 Mrd. Euro als Einsparziel ausgerufen. Genutzt hat es bis jetzt wenig.

Der Österreicher Diess kann für sich verbuchen, dass die als teuer geltenden deutschen Werke durch den Jobabbau insgesamt um ein Viertel profitabler werden sollen - vor allem auch auf Kosten von Leiharbeitern, bei denen zuletzt schon deutlich gekürzt worden war.

Altersteilzeit deutlich ausgeweitet

"Wir als Betriebsrat können nicht verhindern, wenn der Vorstand künftig weniger Zeitarbeiter einsetzen will", sagt sein Gegenspieler, der mächtige Betriebsratsboss Bernd Osterloh. Er macht für sich geltend, dass die Altersteilzeit deutlich ausgeweitet wird. "Viele Kolleginnen und Kollegen können jetzt endlich in die Altersteilzeit wechseln und früher nach Hause gehen", wie Betriebsratsvorsitzender Andreas Blechner aus dem Werk Salzgitter es ausdrückt. Auch wenn die VW-Arbeiter mit ihrem Haustarifvertrag im Branchenvergleich gut bezahlt werden - Altersteilzeit bekam nicht jeder, der wollte.

Konzernchef Matthias Müller und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sehen in dem Pakt den großen Wurf. Dabei ist noch gar nicht klar, wie das Programm im Detail auf die einzelnen Standorte wirkt, wie viele etwa in Emden oder Zwickau das Angebot der Altersteilzeit annehmen. Und dennoch könnte das Programm auch Signalwirkung haben. "Die verkündeten Maßnahmen dürften der Auftakt für Kosteneinsparungen auch bei den anderen Automarken des Konzerns sein", sagt Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB.

Andere Sanierungsfälle

Ehemalige Sanierungsfälle wie der französische Rivale PSA Peugeot Citroen mussten ebenfalls durch eine Rosskur, Zehntausende Jobs fielen ihr zum Opfer. Nicht alle Werke kamen durch. Mittlerweile zeigen aber auch die Franzosen VW bei der Rendite die Rücklichter.

Wichtig wird sein, ob und wie VW eingespartes Geld investiert, etwa in E-Autos, Batterien, vernetzte Autos. Den Angaben zufolge sollen ja auch 9.000 Jobs in Zukunftsbereichen neu entstehen.

Zukunft Elektroauto

Gewaltig sind die Verwerfungen, die den Autobauern bevorstehen. 2025 könnte der Anteil von E-Autos nach Branchenschätzungen bis zu einem Viertel der Neuwagen ausmachen. Das bewegt die Branche gleichermaßen. Doch kaum ein Autobauer geht mit einem so schweren Handicap wie VW ins Rennen.

Experte Schwope schätzt nach wie vor, dass für die Dieselaffäre insgesamt bis zu 35 Mrd. Euro fällig werden. Das mag der VW-Konzern schultern können - aber um welchen Preis?

(dpa-AFX/APA/red)

Das umfangreiche Sparprogramm des VW-Konzerns, die „Strategie 2025“, hat auf die österreichische VW-Tochter Porsche Holding Salzburg keine unmittelbaren Auswirkungen. Auch die heimischen Autohändler spürten zwar direkt keine Folgen, beobachteten aber, dass solche Neuigkeiten potenzielle Käufer zögern lassen. Ein Fall wie VW sei Negativwerbung für den Handel, meinte der Obmannstellvertreter des Fahrzeughandels Klaus Edelsbrunner.

"Die VW-Geschichte verfolgt uns eh schon ein Jahr", so Edelsbrunner. Es schade dem Handel, wenn von einer Krise die Rede ist, negative Presse sei nicht gut fürs Geschäft. "Die Menschen denken dann länger nach, ob sie ein Auto jetzt kaufen oder lieber abwarten", so Edelsbrunner.

Für die heimische Automotive-Branche hat die VW-Strategie grundsätzliche keine Auswirkungen. "VW ist ein Hersteller-Thema und hat in Österreich keine Produktionsstätten", sagte Christian Pesau, Geschäftsführer des Arbeitskreises der Automobilimporteure. Zurücklehnen können sich Unternehmen, die in der Automobilbranche tätig sind, dennoch nicht: Die Produktionsprozesse der Autobauer würden sich mit der E-Mobilität in Zukunft generell ändern, so Pesau.

Einer PwC-Analyse zufolge soll bis 2030 jeder dritte Neuwagen in der EU ein Elektroauto sein. Erste Entwicklungen sind bereits sichtbar: So will Jaguar sein erstes, 400 PS-starkes Elektromodell ab Frühjahr 2018 im Grazer Magna-Werk bauen lassen.

Zuliefererjobs in Gefahr

Allein in Deutschland könnte der Umbau hin zu mehr Elektromobilität in den nächsten Jahren weitere Zehntausende Arbeitsplätze kosten. "Bei den Zulieferern sind mehr als 75.000 Jobs in Gefahr", allein 20.000 davon durch den Radikalumbau bei VW, sagte der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer der "Bild am Sonntag".