Dieselgate : Volkswagen steht am Scheideweg

Bis Gründonnerstag müssen die VW-Unterhändler und die US-Umweltbehörde EPA einem Bezirksrichter erklären, ob eine Einigung über die Reparatur und den Rückkauf manipulierter Dieselautos möglich ist. "Es geht darum, einen Weg für eine Lösung zu finden", sagte ein hochrangiger VW-Manager. Der eigentliche Kompromiss werde etwas länger dauern.

Alle Fragen sollen geklärt werden

Insidern zufolge strebt der Konzern in den USA eine Einigung an, bei der alle Fragen geklärt werden - von der Höhe der Strafzahlungen für die Anwendung der illegalen Software, über einen Reparaturplan oder einen Rückkauf der betroffenen rund 600.000 Dieselautos bis zu einer Kompensation für den jahrelangen überhöhten Stickstoffausstoß dieser Fahrzeuge. Denkbar sei in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung von Umweltfonds, sagte eine Person mit Kenntnis der Verhandlungen.

Bei einer Annäherung mit der EPA wären endlich die finanziellen Risiken abzusehen und VW könnte eine Entschädigung der Autobesitzer und Anleger einleiten. "Jede außergerichtliche Einigung ist billiger als ein langwieriger Prozess", sagt Helmut Becker, der das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München leitet. Die Wolfsburger hätten viel Zeit verstreichen lassen und die amerikanischen Behörden falsch eingeschätzt. Die hätten einen Kniefall erwartet, während Wolfsburg seine Ingenieure geschickt habe, um das Problem zu möglichst geringen Kosten technisch zu beheben.

"VW hat die Situation in Amerika falsch eingeschätzt"

"Eine Einigung wäre schon vor Monaten möglich gewesen, wenn VW das Vorgehen der US-Behörden besser verstanden hätte", glaubt Becker. Auch sein Kollege Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach kritisiert, VW habe zu lange geglaubt, die Probleme von Wolfsburg aus lösen zu können. "VW hat die Situation in Amerika völlig falsch eingeschätzt", sagt der Experte. "Man hat die Vorgeschichte dieses Betrugs und Vertuschungsversuche über eineinhalb Jahre ausgeklammert." Das dürfte bei der Strafzumessung eine wichtige Rolle spielen.

Volkswagen hatte bereits im Mai 2014 durch eine in den USA veröffentlichte Studie erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Dieselautos erhalten. Doch erst knapp eineinhalb Jahre später - am 3. September 2015 - gab das Unternehmen hinter den Kulissen bei der EPA zu, eine verbotene Abschalteinrichtung verwendet zu haben. Diese erkennt, ob ein Fahrzeug auf dem Prüfstand steht und hält nur dann die Grenzwerte ein. Publik wurde der Skandal am 18. September durch eine Mitteilung der EPA, in der sie mögliche Strafen für VW auf bis zu 18 Milliarden Dollar (16 Milliarden Euro) bezifferte - eine Summe, die die Wolfsburger eigenen Angaben zufolge total überraschte. Bis dahin sei man von Strafen höchstens im niedrigen dreistelligen Bereich ausgegangen. Per Ad-hoc-Meldung informierte VW die Anleger am 22. September über Milliarden-Rückstellungen - bis dahin war der Aktienkurs schon um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Investoren sehen sich zu spät über den Skandal informiert und verlangen Schadensersatz.

Das amerikanische Justizministerium hat VW wegen Verstößen gegen US-Umweltrecht auf bis zu 46 Milliarden Dollar verklagt, über die die EPA nun mit VW verhandelt. Bei einer außergerichtlichen Einigung würde die Strafe vermutlich niedriger liegen. Daneben türmen sich Forderungen auf Schadensersatz in Milliardenhöhe auf. Auch in anderen Ländern sieht sich das Unternehmen mit Zivilklagen von Autokäufern, Anlegern und Behörden in Milliardenhöhe konfrontiert. In Braunschweig haben rund 300 Profi-Investoren den Konzern auf Schadensersatz von rund 3,3 Milliarden Euro verklagt. Der auf Sammelverfahren spezialisierte US-Anwalt Michael Hausfeld fordert einen Entschädigungsfonds nach US-Beispiel auch für europäische Anleger.

Zweistellige Milliardenbeträge

Wieviel der Skandal VW am Ende kosten wird, ist noch nicht abzusehen. Analysten gehen von 20 bis 30 Milliarden Euro aus, einige schätzen sogar 40 Milliarden. Nur wenige glauben allerdings, dass die Existenz des finanzstarken Konzerns dadurch nicht in Gefahr gerät. "Es mag sein, dass man auf eine Marke wie Bugatti verzichtet", sagt Frank Schwope von der NordLB. Sollte es hart auf hart kommen, hält er auch einen Börsengang der Lkw-Sparte für möglich. Im Großen und Ganzen werde der Konzern die Krise aber überleben, ist Schwope überzeugt. (apa/Reuters)

Fotostrecke: Noch hat VW zwölf Marken