Stahlindustrie : Thyssen und Tata besiegeln Stahlfusion: Die 5 wichtigsten Eckdaten

Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger bringt nach über zweijährigen Bemühungen das Joint Venture der Stahlsparte mit dem indischen Rivalen Tata Steel unter Dach und Fach. Die Konzerne haben am vergangenen Wochenende einen bindenden Vertrag für die neue Gemeinschaftsfirma unterzeichnet.

Vertreter der Arbeitnehmer haben sich lange erbittert gegen die Fusion gewehrt, doch schließlich hat die Metallergewerkschaft IG Metall nach langen Verhandlungen den Plänen zugestimmt. Zuletzt haben auch der Vorstand und der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp der Stahlfusion zugestimmt.

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Einschnitte und Einsparungen

Nun hofft das Management auf "jährlich wiederkehrende Synergieeffekte" in Höhe von 400 bis 500 Millionen Euro. Die zuständigen Wettbewerbsbehörden, unter anderem in der EU, müssen den Zusammenschluss allerdings noch billigen.

"Es ist die einzige Lösung, die für Thyssenkrupp und Tata Steel erheblichen zusätzlichen Wert von rund fünf Milliarden Euro schafft", so Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger. Grundlage dafür seien die umfangreichen Synergien, "die jedes Unternehmen für sich alleine nicht realisieren könnte". Für beide Partner führe die Einbringung der Stahlbereiche zu einer "deutlichen Wertsteigerung".

(1) THYSSENKRUPP TATA STEEL: Ein neuer Stahlriese entsteht

Unter diesen Namen soll das Joint Venture an den Start gehen. Die Zentrale soll in der Region Amsterdam angesiedelt werden. Die Stahlsparte von Thyssenkrupp führt derzeit Andreas Goss - wie Hiesinger ein ehemaliger Siemens-Manager.

An der Spitze von Tata Steel Europe steht übrigens Hans Fischer, der früher auch schon für Stahlgeschäfte bei Thyssenkrupp und Salzgitter verantwortlich war.

Die neue Gemeinschaftsfirma könnte an die Börse gebracht werden. Über den Zeitpunkt kann Thyssenkrupp entscheiden. Im Falle eines Börsengangs soll Thyssenkrupp einen höheren Anteil an den Erlösen bekommen als Tata, nämlich 55 Prozent. Mehr dazu: Fusion mit Tata: Thyssen soll deutlich mehr Anteile bekommen als geplant >>

Grund dafür ist eine "Bewertungslücke", die wegen der zuletzt deutlich schlechteren Erträge bei Tata Steel entstanden ist. Thyssen-Finanzchef Guido Kerkhoff hat die ungleich Aufteilung der Einnahmen am neuen Konzern zuletzt verteidigt. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Tata in Brüssel wiederholte Kerkhoff auch, Thyssenkrupp könne alleine über den Zeitpunkt für einen Börsengang entscheiden.

(2) Die NEUE NUMMER ZWEI IN EUROPA: Drei Standorte

Unter dem gemeinsamen Dach werden drei große Produktionsstätten vereint: Duisburg, das niederländische Ijmuiden und Port Talbot in Großbritannien.

Das Joint Venture soll rund 48.000 Mitarbeiter beschäftigen. Bis zu 4000 Jobs in der Verwaltung und Produktion sollen gestrichen werden. Der Pro-forma-Umsatz beträgt rund 17 Milliarden Euro. Das Unternehmen käme im Jahr auf eine Stahlproduktion von etwa 22 Millionen Tonnen. Es wäre in Europa die Nummer 2 in der Branche nach ArcelorMittal.

(3) ERWARTETE SYNERGIEN: Die Situation für Mitarbeiter

Für die Mitarbeiter von Thyssenkrupp hatte die Metallergewerkschaft IG Metall dem Management eine Beschäftigungs- und Standortsicherung bis Ende September 2026 abgerungen.

Im Gegenzug kann das Management Ende 2020 einzelne Anlagen auf deren Wirtschaftlichkeit überprüfen, so etwa am Standort Bochum. Personalvorstand Oliver Burkhard hat zugesagt, dass die möglicherweise bei Thyssen wegfallenden bis zu 2000 Jobs sozialverträglich abgebaut werden sollen.

Abbau von 4.000 Arbeitsplätzen geplant

Der neue Stahlkonzern peilt jährlich wiederkehrende Synergien von 400 bis 500 Millionen Euro an. Wie bei "Synergieeffekten" üblich, steht der Abbau von Mitarbeitern ganz oben auf der Tagesordnung. So sollen durch den Zusammenschluss nach offiziellen Angaben in den kommenden Jahren bis zu 4.000 Arbeitsplätze in der Produktion und der Verwaltung gestrichen werden. Das soll je zur Hälfte Thyssenkrupp und die europäischen Standorte von Tata Steel betreffen.

Wann und wo es mit den Kündigungen losgeht, hat Konzernchef Hiesinger zuletzt offen gelassen. Es gebe dafür noch keine Pläne, so Hiesinger in Brüssel. Die Partner seien aber stets ehrlich gewesen und hätten darauf hingewiesen, dass es insgesamt zu tausenden Kündigungen kommen werde.

(4) MÄRKTE UND KUNDEN: Vom Auto bis zum Kraftwerk

Wichtige Kunden von Thyssenkrupp Steel sind die Automobilbranche, der Bausektor, der Maschinenbau, die Verpackungsindustrie und die Energiewirtschaft. Hauptabsatzmärkte sind Deutschland und die europäischen Nachbarstaaten. Gut zwei Drittel seines Stahls setzt das Unternehmen im Umkreis von 500 Kilometern um Duisburg ab.

Tata Steel Europe hat einen ähnlichen Kundenstamm. Hauptabsatzmärkte sind neben Großbritannien und den Niederlanden weitere Märkte in Europa.

Probleme der Branche bleiben

"Das größte Problem der Stahlindustrie ist, dass die Nachfrage durch den wirtschaftlichen Strukturwandel abnimmt", sagt Roland Döhrn, Professor am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Viele Produkte wie etwa Autos enthielten immer weniger Stahl, weil sie immer leichter würden. "Das sind Entwicklungen, denen kann sich die Branche nicht entziehen", sagte Döhrn. Weltweit stehe die Stahlbranche in den entwickelten Ländern daher vor weiteren Kapazitätsanpassungen. Mehr dazu: Voestalpine begrüßt die Fusionspläne von Thyssen und Tata >>

(5) DIE MUTTERKONZERNE: Druck vom Stahlmarkt und Finanzfirmen

Tata Steel Europe gehört zum indischen Tata-Konzern mit über 100 Unternehmen und mehr als 600.000 Mitarbeitern. Zu dessen Geschäften zählen auch die Automobilproduktion mit der britischen Luxusmarke Jaguar Land Rover, die Telekommunikation, Energieerzeugung oder Hotels. Die Gruppe erzielte zuletzt einen Umsatz von rund 100 Milliarden US Dollar.

Der Mischkonzern Thyssenkrupp produziert neben Stahl auch Aufzüge, Autoteile, Großanlagen und U-Boote. Die rund 159.000 Mitarbeiter erzielten zuletzt einen Umsatz von gut 41 Milliarden Euro. Im Vorfeld der Fusion musste Tata Steel Werke in Europa und der Türkei verkaufen: Fusion mit Thyssen: Tata verkauft Werke in Deutschland, England und der Türkei >>

Umbau bei Thyssen geht weiter

Der Umbau bei Thyssenkrupp soll weitergehen: Zur Fusion teilt Thyssen mit, die Abspaltung seines einstigen Kerngeschäfts sei "ein wichtiger Meilenstein für die Transformation zu einem Industrie- und Dienstleistungskonzern". Bis Mitte Juli will der deutsche Konzern nun eine Strategie dazu vorlegen, wie der Umbau weitergehen soll.

Entsprechend ist die finale Vereinbarung ein lang erwarteter Befreiungsschlag für Thyssen-Chef Hiesinger, der seit sieben Jahren im Amt ist. Zuletzt war er immer wieder unter Druck geraten, weil Anteilseigner mehr Tempo bei dem seit langem angekündigten Umbau des Ruhrkonzerns gefordert hatten. Aktuell dazu: Darum könnte die aggressive Finanzfirma Elliott für Thyssen unangenehm werden >>

Einzelne Investoren wie etwa der als besonders aktivistisch geltende Investor Paul Singer und sein Hedgefonds Elliott hatten dabei vor allem den deutschen Konzernchef scharf attackiert.

(red mit Reuters, AFP, dpa, APA)