Stahlindustrie : Schwere Zeiten bei der Voest - erster Verlust seit Jahrzehnten

Die Voestalpine hat im abgelaufenen Geschäftsjahr zum ersten Mal seit dem Börsengang Mitte der 1990er Jahre tiefrote Zahlen geschrieben. Der Konzernumsatz in 2019/20 ist von 13,6 Milliarden Euro auf 12,7 Milliarden Euro gesunken - das ist ein Rückgang um 900 Mio. Euro. Unter dem Strich fehlten fast 220 Mio. Euro. Das Betriebsergebnis (Ebit) der Voest war "erstmals seit Jahrzehnten negativ", so Konzernchef Herbert Eibensteiner bei der Vorstellung der Ergebnisse im Rahmen einer Video-Konferenz.

Der Fehlbetrag vor Steuern und Zinsen von knapp 90 Mio. Euro ist laut Finanzvorstand Robert Ottel hauptsächlich auf außerplanmäßige Abschreibungen überwiegend auf Assets aber auch Firmenwerte verursacht - in Summe wurde das Ebit im gesamten Fiskaljahr mit 480 Mio. Euro belastet. Die erste große Tranche (360 Mio. Euro) wurde kurz vor Weihnachten fällig, der Rest angesichts von Corona.

Es habe zwar zu Beginn des heurigen Jahres erste Anzeichen einer Konjunkturerholung gegeben. "Das alles wurde durch die Covid-19-Pandemie abrupt beendet", so Eibensteiner unter Verweis auf die "weltweit nun doch erhebliche Rezession". Auch die Automobilindustrie mit einer sehr wichtigen globalen Versorgungskette sei noch einmal deutlich zurückgegangen. "Im Kernmarkt Deutschland ist die Automobilproduktion das zweite Jahr in Folge um jeweils neun Prozent zurückgegangen", sagte der Vorstand der Metal Forming Division, Peter Schwab zur aktuellen Marktsituation.

Weltweit über 15.000 Mitarbeiter der Voest in Kurzarbeit

Über 2.000 Jobs wurden bereits gestrichen - etwa die Hälfte davon in Österreich. Nun droht weiterer Personalabbau. "Man kann in einer Phase wie jetzt nicht prinzipiell ausschließen, dass es zu Kündigungen kommt", sagte Konzernchef Herbert Eibensteiner.

Weltweit sind derzeit coronabedingt rund 15.400 Mitarbeiter des Konzerns in Kurzarbeitsmodellen - 10.000 davon in Österreich, 3.000 in Deutschland. "Das ist etwas weniger als die Hälfte der Mitarbeiter in diesen Ländern", so der Konzernchef bei der Bilanzpressekonferenz. Hinzu addieren sich etwa 2.400 Arbeitnehmer in kurzarbeitsähnlichen Modellen anderswo.

Hierzulande beschäftigt die Voestalpine rund 22.000 Mitarbeiter. Weltweit wurde der Personalstand bereits im abgelaufenen Jahr von knapp 52.000 auf 49.700 um mehr als vier Prozent gesenkt. "In Österreich haben wir hauptsächlich Leasingmitarbeiter abgebaut", berichtete Eibensteiner.

Kurzarbeit auch im Herbst möglich - aber nicht in allen Sparten

Das Angebot der Kurzarbeit nutzt die Voestalpine allerdings schon - und will damit auch in die Verlängerung gehen. "Wir gehen davon aus, dass wir in weiteren Bereichen auch die zweite Kurzarbeitsrunde benötigen werden", so Konzernchef Eibensteiner. In den Sparten mit einer guten Geschäftslage werde man das nicht brauchen, beispielsweise in den Bereichen Bahninfrastruktur, Grobbleche und Gießereien.

Kurzarbeit ist seit März möglich, den erste Zeitraum von drei Monaten hat Österreichs Regierung inzwischen um weitere drei Monate verlängert. Eibensteiner meint dazu: "Die Regierung hat schon angekündigt, über ein Nachfolgemodell nach dem September nachzudenken. Ich gehe davon aus, dass es in einigen Bereichen notwendig sein wird, ein modifiziertes Modell in Anspruch zu nehmen."

In mehreren Bereichen drohen weitere Kündigungen

"Es wird Bereiche geben, wo wir länger Schwierigkeiten erwarten - dort werden wir nach dem Sommer weitere 'Kapazitätsreduktionen' vornehmen müssen", kündigte der Konzernchef an. "Wir haben zwei Bereiche, die in einem sehr schwierigen Umfeld sind - die Flugzeugindustrie sowie der Öl- und Gasbereich." Weitere Anpassungen könnten auch noch "im Automobilbereich" und bei Buderus Edelstahl (im deutschen Wetzlar) nötig werden. Das hänge vom Konjunkturverlauf ab, der aus heutiger Sicht noch nicht absehbar sei. "Für uns ist es jetzt wichtig, Krisenmanagement zu betreiben."

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Finanzchef Ottel: "Gut aufgestellte Unternehmen kommen besser heraus"

Neben der Kurzarbeit zur Sicherung der Liquidität des Konzerns griff die Voestalpine in Österreich auch auf die Möglichkeit der Sozialversicherungs- und Steuerstundungen zurück. Eibensteiner: "Wir haben neben der Kurzarbeit auch Steuerstundungen in Anspruch genommen, eine Stundung die erst im Herbst in voller Höhe zu zahlen wird sein."

Finanzvorstand Robert Ottel erklärt dazu: "Das macht ungefähr 50 Mio. Euro pro Monat aus, die dann in Summe am Ende des Kalenderjahres fällig werden. Sonst haben wir keine Instrumente in Anspruch genommen. Und wir haben aus heutiger Sicht auch nicht vor, die COFAG-Finanzierung von der Corona-Finanzierungsagentur in Anspruch zu nehmen - mit der Liquiditätsausstattung, die wir haben." Entsprechend ließ Robert Ottel auch beim Blick in die Zukunft aufhorchen. "In der Finanzkrise 2008 hat sich gezeigt, dass gut aufgestellte Unternehmen aus so fundamentalen Krisen besser herauskommen. Das lässt mich für die Zukunft optimistisch sein."

Investitionen werden gekürzt - mit Ausnahme des Werks in Kapfenberg

Die Voestalpine hat schon vor der Coronakrise wegen der einsetzenden Konjunkturflaute in großen Industriesparten eine Reihe von Gewinnwarnungen abgesetzt und die Ausgaben im abgelaufenen Geschäftsjahr um 100 Mio. Euro gekürzt. Mit der Coronakrise habe man sich entschieden, die "Investitionen auf rund 600 Mio. Euro weiter zu reduzieren", so Konzernchef Eibensteiner. Zum Vergleich: In früheren Jahren investierte die Voest etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Allerdings gebe es bei diesen Kürzungen auch Grenzen, so Eibensteiner: "Strategische und langfristige Investitionen haben wir gestoppt oder nach hinten geschoben. Unser genereller Ansatz ist aber, dass wir die Investitionen, die für den operativen Betrieb notwendig sind, natürlich tätigen. "

Eine der Ausnahmen ist das neue Edelstahlwerk in Kapfenberg. "Kleine, kurzfristige Investitionen laufen weiter, langfristige nicht - mit Ausnahme von Kapfenberg", so Finanzvorstand Ottel. Das vollautomatisierte Edelstahlwerk im steirischen Mürztal ist mittem im Bau. Die Fertigstellung werde sich zwar mit Stand heute um drei bis sechs Monate auf Ende 2021 verschieben, doch die Bauarbeiten sollen "im gleichem Ausmaß" weitergehen, so Eibensteiner: "Wir gehen davon aus, dass wir mit dem neuen Werk in Kapfenberg im Herbst oder Ende 2022 fertig werden." Insgesamt investiere die Voestalpine an diesem Standort im einem Zeitraum von fünf Jahren rund 500 Mio. Euro.

Linzer Hochhofen steht still - Wartung am Hochofen in Donawitz

Was die Stahlproduktion als eines der Kernsegmente der Voestalpine angeht, so ist hier derzeit Fahren auf Sicht angesagt. In Linz hat die Voestalpine den kleinen Hochofen in der zweiten März-Hälfte bis auf Weiteres stillgelegt, die beiden großen laufen weiter. Im April fuhr der Konzern dort aber nur mit einer Kapazität von etwas über 50 Prozent. Eibensteiner: "Am Standort Linz war während des Lockdowns im April die Auslastungsreduktion in der Gegend von Minus 50 Prozent. Im Mai konnten wir aber schon deutlich zulegen. Nun liegt die Auslastung ungefähr um 70 Prozent herum." In den einzelnen Divisionen seien die Kapazitätsreduktionen unterschiedlich. "In Linz haben wir auch Segmente die nicht stark betroffen sind, etwa die Giesserein in Linz und in Traisen."

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In Donawitz betreibt die Voest zwei weitere Hochöfen - einer davon steht nun ebenfalls still, und zwar vorläufig mindestens bis Herbst. Der routinemäßige fällige Austausch von Verschleißteilen wurde um zweieinhalb Wochen vorverlegt. Wann die derzeit stillgelegten Hochöfen wieder in Betrieb gehen, ist derzeit ungewiss.

Eibensteiner betont dazu aber: "Der momentan stillgelegte Hochofen in Linz wird aber sicher nicht nachhaltig stillgelegt. Wir sind in der Lage, flexibel auf die Nachfrage reagieren zu können. Sobald sich die Nachfrage stabilisiert, wird der Hochofen in Betrieb genommen."

Globale Stahlproduktion: China schon wieder im Vollbetrieb

Zur Situation in Europa sagt Konzernchef Eibensteiner: "Die Auslastung der Stahlwerke in Europa ist deutlich und stark betroffen vom Nachfragerückgang. Wir hören aus der Branche von Rückgängen von 50 Prozent - aber das hängt ganz stark davon ab, was produziert wird."

Ganz anders dagegen die aktuelle Lage in China, wo die Ausbreitung der weltweit verheerenden Seuche ihren Ausgang genommen hat. "Der Stahlmarkt in China ist aus den Schwierigkeiten der Coronazeit wieder heraussen, dort wird auf maximaler Kapazität produziert", berichtet Konzernchef Eibensteiner. Schon im Februar hat die Voest in China an vielen Standorten den Lockdown auslaufen lassen: Coronavirus: Voestalpine sperrt sieben Werke in China wieder auf >>

"Was dagegen den globalen Markt angeht, so ist es noch viel zu früh zu sagen, wie sich die Situation entwickeln wird und ob es in anderen Ländern zu Fusionen, Übernahmen oder Konsolidierungen kommt", so Eibensteiner.

Erste Hoffnungszeichen im Juni

Trotzdem gebe es erste Zeichen der Hoffnung, so der Konzernchef: "Die erste Woche im Juni war die erste Woche, in der alle unsere Werke wieder in Betrieb waren. Interessant ist, das die Erholung in China wieder sehr gut ist. Die Auslastung in China ist nahe 100 Prozent, und das ist immerhin ein Sektor, der rund 600 Millionen Euro Umsatz bringt."

Eibensteiner weiter: "Jetzt kommen wir schrittweise in den Normalbetrieb und begleiten unsere Kunden beim Hochfahren. Wir sind aus der Krise natürlich noch lange nicht heraußen. Von einem völligen Stillstand sind wir aber mittlerweile weg. Eine Verbesserung ist sichtbar. Mit Vorschauen müssen wir vorsichtig und geduldig sein. Viele Kunden fahren hoch, aber langsam."

(red mit Material von APA)

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