Internationale Märkte : Russlands Wirtschaft im Notbetrieb - ganz unabhängig von Sanktionen

Die russische Wirtschaft arbeitet derzeit nur im Notbetrieb, und die russische Regierung ist praktisch untätig und beschränkt sich darauf, auf eine Erholung des Ölpreises zu warten, kritisieren russische Ökonomen. Für die Krise verantwortlich seien aber weder der Ölpreisverfall noch die Wirtschaftssanktionen, sagt der Chefökonom der Ratingagentur RusRating, Anton Tabakh.

"Kein Nebenprodukt der Sanktionen"

"Diese Krise ist kein Nebenprodukt der geopolitischen Sanktionen oder des niedrigen Ölpreises", sagte Tabakh bei einer Veranstaltung im Wiener Haus der Industrie. Beides habe zwar die Krise in Russland verstärkt, ihre eigentliche Ursache sei aber, dass sich das bisherige Wirtschaftsmodell erschöpft habe. "Ich glaube, dass die aktuelle Krise ihre Wurzeln in der Wirtschaftspolitik der russischen Regierung hat." Seit September 2015 fahre die russische Wirtschaft auf Sparflamme.

Die Erlaubnis, "von den eigenen Reserven zu überleben"

Wladislaw Inosemzew von der staatlichen Moskauer Universität Lomonossow geht davon aus, dass der Ölpreis nicht weiter sinken wird, es gebe einen stabilen Korridor von 30 bis 35 Dollar pro Fass als untere Grenze.

Der Ölpreis werde noch mindestes drei Jahre so niedrig bleiben und die Folgen für die russische Wirtschaft seien desaströs. "Die Regierung hat bisher praktisch nichts gegen die Krise getan", so Inozemtsev, "man konzentriert sich vor allem auf die Hoffnung, dass sich der Ölpreis erholt." Die Strategie der russischen Regierung bestehe darin, "den Menschen zu erlauben, von ihren eigenen Reserven zu überleben".

Allerdings sei die Regierung in der Lage, beim aktuellen Ölpreis von rund 40 Dollar noch einige Jahre durchzuhalten, denn seine Einnahmen erziele der Staat vor allem in US-Dollar, die Ausgaben würden hingegen mit Rubel bezahlt. Mit sozialen Unruhen in nächster Zeit rechne er nicht, sagte Inozemtsev. "Die russische Bevölkerung kann auch unter schwierigeren Bedingungen überleben. Die Menschen können zu billigeren Produkten greifen, auf Urlaube verzichten oder Zweitjobs annehmen."

Weiters komme der Regierung entgegen, dass der wirtschaftliche Abschwung ungefähr gleichzeitig mit der Ukraine-Krise erfolgt sei, Moskau könne also auf eine wirtschaftliche Aggression des Westens verweisen.

Sanktionen betreffen nur einen kleinen Teil

Dabei seien die Sanktionen praktisch wirkungslos, glaubt Inozemtsev. Viele Geschäftsleute im Westen würden die Sanktionen als großes Hindernis für Geschäfte mit Russland sehen, das gelte aber höchstens für den Agrarbereich und den Öl- und Gassektor.

Der Einbruch des Handels mit Russland sei kein Ergebnis der Sanktionen, sondern der Wirtschaftskrise in Russland. "Wenn man die Sanktionen aufhebt, wir sich gar nichts ändern. Glauben Sie nicht, dass der Handel mit Russland explodiert, wenn Sie die Sanktionen aufheben." Im Gegensatz zu den Iran-Sanktionen seien jene gegen Russland nur halbherzig erfolgt, sagt der Ökonom. "Wenn man wirksame Sanktionen will, dann muss man Sanktionen einführen."

Mehrere Risikofelder

Tabakh sieht in Russland mehrere Risikofelder. Der Bankensektor leide zunehmend unter faulen Krediten und seiner Abhängigkeit von Staatshilfen. Seit Jahresbeginn hätten 23 Banken ihre Lizenz verloren, die Einlagensicherung sei erschöpft und müsse sich ebenfalls von den Staat bzw. Notenbank-Darlehen verlassen. Ein weiteres Risiko gehe von den Regionalbudgets aus, die mit steigenden Ausgaben und sinkenden Einnahmen zu kämpfen hätten. Dazu könnten die Regionen nur mit begrenzter Hilfe seitens der Föderation zu rechnen.

Dass sich an der russischen Wirtschaftspolitik etwas ändern wird, sei unwahrscheinlich, glaubt Tabakh. "Die Regierung spielt auf Zeit. Er wird mehr Steuerdruck auf die Bevölkerung geben, höhere Steuern, mehr Kontrollen und mehr Strafen." (APA/red)

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