Intralogistik : Regale zur Rettung der Welt?

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Wer einen Sohn oder eine Tochter im Kleinkind-Alter hat, dem sei ein Besuch im Technischen Museum in Wien dringend angeraten. Unter den unzähligen Exponaten aus der Welt der Technik – neben Lokomotiven, Doppeldeckern, einem Rettungshubschrauber und Modellen von Luftschiffen – operiert im obersten Stockwerk des Museums zwischen zwei Plexiglasscheiben eine Maschine, die dreijährige Kinder minutenlang zu faszinieren vermag. Es handelt sich um einen Roboter, der mittels Greifarm Arzneimittel-Kartons zwischen zwei Regalwänden umsortiert. Die Anwendung demonstriert eindrucksvoll, wie es in vollautomatisierten Lagern heutzutage zugeht. Ins falsche Regal wird dabei nichts geschlichtet, und dem Roboter geht auch nichts zu Bruch.

Effizient. Und umweltfreundlich.

Systeme wie jenes im Technischen Museum sind aus der modernen Lagerlogistik nicht mehr wegzudenken. Und österreichische Unternehmen haben im Bereich der Intralogistik einen ausgezeichneten Ruf. Wie angesehen die heimischen Anbieter inzwischen sind, zeigt sich auch daran, dass der steirische Automatisierungsexperte Knapp zuletzt den Großauftrag für die Errichtung des neuen Zalando-Logistikzentrums in Bleiswijk nahe Rotterdam bekam. Die Dimensionen der Anlage sind eindrucksvoll: 16 Millionen Artikel sollen in dem 140.000 Quadratmeter großen Lager Platz finden, 1.500 Menschen hier arbeiten. An Spitzentagen werden in Bleiswijk künftig mehrere hunderttausend Pakete mit Kleidung und Schuhen auf den Weg zu modehungrigen Menschen gebracht werden.

Dabei sind die eingesetzten Technologien nicht nur essenziell, um in einer zusehends beschleunigten Wirtschaftswelt Waren immer schneller und immer verlässlicher zuzustellen. Den Effizienzsteigerungen bei der Intralogistik kommt auch eine Schlüsselrolle in Sachen Umweltfreundlichkeit zu. Helfen sie doch, den Energieeinsatz zu optimieren und den Einsatz von Verpackungsmaterial zu minimieren.

Welche Technologien kommen zum Einsatz?

1. Automatisierte Fahrzeuge

Immer häufiger in modernen Lagern anzutreffen: Fahrerlose Transportleitsysteme (FTS) und autonome Vehikel. Mal kommen sie in Gestalt von Gabelstaplern ohne Staplerfahrer wie beim Elektro-Großhändler Holter in Wels. Mal handelt es sich um umgebaute LKW zum eigenständigen Transport von Wechselaufbaubrücken wie im Verteilzentrum der Post in Wien-Inzersdorf. „Autonome mobile Roboter ermöglichen es uns, klassische Automatisierungs- Technik mit manuellen Prozessen zu verbinden“, erklärt Christoph Gailberger, für Intralogistik zuständiger Senior Product Manager bei Knapp. „Sie können die Brücke herstellen zwischen losgelösten Tätigkeiten weit weg von Automatisierung, um eine Stelle zu erreichen, die mit der traditionellen Fördertechnik nicht erreichbar ist.“ Der geschickte Einsatz automatisierter Vehikel reduziert Leerfahrten, hebt die Effizienz und hilft, Fehler zu vermeiden.

2. Künstliche Intelligenz und Big Data

Der Effizienz-Grad logistischer Prozesse bestimmt, wie schnell die Waren zum Kunden gelangen. Gleichzeitig sind Logistikabteilungen anfällig für Fehler, die sich – jedes Mal, wenn ein Produkt bewegt wird – einschleichen können. Geeignete Digitalisierungsstrategien und die Verwendung von Prognosen auf Grundlage der Auswertung großer Datenmengen helfen, die Warenverteilung zu optimieren. Vorgänge werden so auf die Gegebenheiten eines Lagers und die zu transportierenden Waren abgestimmt. Mithilfe von Enterprise resource planning- (ERP)-Systemen wird die Materialwirtschaft reibungsloser und effizienter. Das hebt die Produktivität des gesamten Unternehmens. Es ist aber auch gut für die Umwelt, wenn unnötige Transporte vermieden werden.

3. Roboter

„Wir beobachten auf dem Markt einen starken Trend zu Robotics, wobei es nicht unmittelbar darum geht, den Menschen per se zu ersetzen“, erklärt Gailberger von Knapp. Zum Einsatz gelangten die Roboter bei monotonen Tätigkeiten oder Schwerstarbeit. „Wir wollen den Menschen freispielen, sodass er seine kognitiven Fähigkeiten zur Geltung bringen kann.“

Ein beeindruckendes Beispiel für das Potenzial von Robotern in der Intralogistik liefert das oberösterreichische Unternehmen TGW, das kürzlich mit dem Digitalos-Award zum „digitalen Projekt des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Und zwar für seinen intelligenten, selbstlernenden Kommissionierroboter Rovolution sowie dessen digitalen Zwilling. Der neuartige Roboter lernt mit jedem Greifvorgang dazu, sammelt Erfahrungen mit dem konkreten Artikel und ist in der Lage, Muster zu erkennen.

4. Intelligente Sortierung

Ein weiterer Erfolgsfaktor sind Systeme zur intelligenten Sortierung. Von Knapp kommt dabei eine Taschenlösung mit Hängefördertechnik, die sich im Retail-Geschäft und beim Kleidungsgroßhandel bewährt. Auch im neuen Zalando-Werk wird dieses System, das von der deutschen Knapp-Tochter Dürkopp entwickelt wurde, zum Einsatz kommen. Mithilfe des Systems lässt sich eine Vorsortierung vornehmen, verschiedene Artikel werden zu einem Paket zusammengeführt. „Dadurch, dass es sich um ein Hängesystem handelt, können wir die Raumhöhe optimal ausnützen“, erklärt Gailberger. „Das hilft, den Footprint der Lösungen klein zu halten.“ Die Kombination der Taschensorter-Technik in Verbindung mit dem hauseigenen Shuttle-System hat letztlich wohl auch den Ausschlag für den Zalando-Großauftrag gegeben.

5. Energieeinsatz

Ein Schlüsselfaktor für Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit ist der Energieaufwand eines Unternehmens. Bei der Lagerlogistik können Systeme der Energierückgewinnung bei Aufzügen oder Shuttles helfen, den Verbrauch zu reduzieren. Ein Best-Practice-Beispiel aus diesem Feld ist das Logistikzentrum des österreichischen Elektrogroßhändlers Rexel, das 2018 vom Forschungsinstitut Fraunhofer mit dem LOZ-Award als bestes Logistikzentrum Österreichs ausgezeichnet wurde. Entscheidend dafür war das vorbildhafte Energiemonitoring mittels eigens entwickelter App: So wird alle fünfzehn Minuten der Stromverbrauch pro Quelle gemessen und angezeigt. Gegebenenfalls wird die Beleuchtung in Gebäudeteilen gedimmt, wenn das System feststellt, dass sich dort gerade niemand aufhält. „Dieses Energiemonitoring ist die Voraussetzung dafür, um die Verwendung von Energie zu überprüfen und nachhaltig zu verbessern“, sagt Stefan Huemer, Supply-Chain-Manager bei Rexel Austria.

Fazit

Weitere Grundsätze, um die Intralogistik effizient und nachhaltig zu gestalten: der Verbrauch von möglichst kleinen Flächen, möglichst kurze und kompakte Förderstrecken sowie das Prinzip, die Ware so wenig wie möglich zu bewegen.

„Auch versuchen wir mit unseren Kunden, Lösungen zu finden, die den Gedanken der Nachhaltigkeit weitertragen – etwa um das Verpackungsmaterial und die Paketgrößen auf ein Minimum zu reduzieren”, sagt Gailberger von Knapp.

Selbstverständlich ist die Intralogistik nur ein Baustein hin zu einer insgesamt klimaverträglicheren Wirtschaftswelt. Rohstoffbeschaffung und Produktion seien weitaus Ressourcen-intensiver, erinnert Knapp-Product Manager Gailberger. „Der Anteil der Distributionslogistik an der Wertschöpfungskette ist relativ gering.“ Schlüssel zu mehr Klimaverträglichkeit sei letztlich – neben anderen Aspekten – auch das Verhalten der Konsumenten. „Es ist ein Widerspruch: Viele Menschen wünschen sich mehr Nachhaltigkeit, zugleich wollen sie allerdings Waren auf der ganzen Welt bestellen und möglichst am nächsten Tag geliefert bekommen.“ Die Zukunft wird jedenfalls noch vielerlei Neuerungen bei Regalsystemen bringen.

Für das Technische Museum könnten sich da voraussichtlich – zur Freude aller Dreijährigen – noch einige hochinteressante Exponate ergeben.