Lenzing AG : Peter Untersperger: "Banken sind derzeit kreativ, wenn es um Kredit-Ablehnung geht"

Untersperger
© Helene Waldner

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Untersperger, das Jahr 2009 ist für die Chemieindustrie ziemlich dramatisch verlaufen. Die Produktion als auch der Umsatz schrumpften stark. Hat die Branche mittlerweile wieder Tritt gefasst? Untersperger: Ich kann noch keine exakten Zahlen anführen, aber ich gehe davon aus, dass wir am Beginn eines längeren und robusten Aufschwunges stehen. Die Exporte insbesondere nach Asien, und Südamerika ziehen wieder massiv an, und auch Osteuropa gewinnt langsam an Fahrt. Das wird dazu führen, dass die Wirtschaftsforscher spätestens ab dem zweiten Halbjahr ihre Prognosen nach oben revidieren müssen. Wir werden heuer ein Wachstum der Weltwirtschaft sehen, wie wir es noch vor einigen Monaten nicht für möglich gehalten hätten. Der hohe Exportanteil der österreichischen Wirtschaft hilft uns dabei ausnehmend stark.Und wie schnell wird sich die Chemieindustrie erholen?2009 war das schwierigste Jahr seit 50 Jahren. Die Produktion brach um rund 12 Prozent ein. Ich gehe davon aus, dass wir bereits heuer die Hälfte dieses Minus wettmachen werden. Einen Wermuttropfen in diesem durchaus erfreulichen Bild gibt es aber. Und das sind die Finanzierungsschwierigkeiten von Griechenland und anderer PIIGS Staaten. Das Thema dämpft die Stimmung und damit die Wirtschaftsentwicklung in Westeuropa. Der Aufschwung beginnt im Kopf.Und wie lange wird es dauern, bis Ihre Branche wieder das Niveau vor der Wirtschafts- und Finanzkrise erreicht hat? Das wird Ende 2011 der Fall sein. Wir stehen vor einem längeren Aufwärtszyklus, der sich allerdings mühsamer gestaltet als andere zuvor. Es gibt aktuell keinen Hype, niemand erwartet, dass es 2010 ein fünfprozentiges Weltwirtschaftswachstum geben wird. Vielmehr wird es längere Zeit aber dafür in kleinen Schritten bergauf gehen.Würden Sie sich als Berufsoptimisten bezeichnen?Natürlich ist es wichtig, dass wir an den Aufschwung glauben und nicht den Untergangsprophezeihungen von OECD und IWF nachhängen. Viele Unternehmen haben die Krise gut gemeistert und stehen heute besser da als vorher. Die Effizienz konnte weiter gesteigert werden und daraus entsteht zusätzliche Gewinndynamik. Insofern sind die Voraussetzungen gut, dass wir von einem Anziehen der Weltkonjunktur überproportional profitieren. Wird das auch dazu führen, dass die Unternehmen wieder mehr investieren? Nein, davon gehe ich für die nächsten 24 Monate noch nicht aus. Wir werden heuer auf einen Betrag von rund 650 Millionen Euro kommen, was ein weiteres Absinken der Investitionen bedeutet. 2009 lagen diese bei rund 750 Millionen Euro bzw. minus 15 Prozent. Es fehlen zunehmend an staatlichen Investitionsanreizen. Zudem sind die Kapazitäten bei weitem noch nicht ausgelastet. Warum sind die Unternehmen weiterhin so vorsichtig, wenn der Aufschwung doch vor der Tür steht?Sicherlich sitzt der Schock über die Finanzkrise bei vielen noch tief. Sie sind vorsichtiger geworden und warten lieber ab, wie robust der Aufschwung ist, bevor sie Geld in die Hand nehmen. Einen weiteren Grund sehe ich in der Kreditklemme. Die Banken sind derzeit sehr kreativ, wenn es darum geht, die Vergabe von notwendigen Darlehen zu erschweren. Sie verlangen zusätzliche Sicherheiten und fordern die Einhaltung von Gewinnmargen. Ein Familienunternehmen überlegt es sich da lieber zwei Mal, ob es eine Investition tätigt, die es nur mit persönlichen Garantien oder Haftungen auf den Weg bringen kann. Österreichs Wirtschaft ist aber eben stark eigentümergeprägt. Wie gut schätzen Sie die Chancen ein, dass die Banken und die Förderbank aws die Kreditvergabe doch flexibilisieren? Immerhin stellte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bereits vor Monaten eine Aufweichung in Aussicht. Ich gehe davon aus, dass die Kreditvergabe erst dann wieder anzieht, wenn sich die Umsatz- und Ertragssituation entspannen. Kurzfristig wird es keine Erleichterungen gehen. Darauf sollte sich die Branche einstellen. Zudem sehen wir jetzt die konkreten Auswirkungen von Basel II. Die Amerikaner lachen sich wieder in Fäustchen. Mit dem Anziehen der Konjunktur steigen die Rohstoffpreise. Wie wird sich insbesondere der steigende Ölpreis auf die Chemiebranche auswirken? Der Ölpreis wird mit dem kommenden Aufschwung in den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten weiter zulegen und sich bei rund 100 Dollar einpendeln. Dieser Anstieg wird zum einen durch das starke Wachstum in Asien getrieben. Die Energieeffizienz lässt da noch sehr zu wünschen übrig. Aber natürlich ist auch viel Spekulation im Markt. Das Anziehen der Rohstoffpreise ist für die Branche nicht ganz ungefährlich. Wenn es zu rasch geht, kann es zu massiven Verwerfungen kommen, weil sich die Unternehmen nicht so schnell anpassen können. In welchem Umfang haben sich Vorprodukte bereits verteuert?Die Preise für Polymere sind bereits massiv gestiegen. Sie legten in den vergangenen Monaten um 50 bis 100 Prozent zu, und ich gehe davon aus, dass sich das im zweiten Quartal fortsetzen wird. Die Situation könnte sich entspannen, wenn die Kapazitäten, die im Nahen Osten entstehen sollen, auch tatsächlich in den Markt kommen. Allerdings ist dies mit einiger Unsicherheit behaftet. Denn keiner weiß, ob die Investitionen nicht doch noch verschoben werden. Wie stark schätzen Sie den Einfluss der steigenden Rohstoffpreise auf das allgemeine Preisniveau?Ich rechne heuer und auch nächstes Jahr nicht mit einer starken Kern-Inflation in Österreich. Das könnte sich aber in den nächsten Jahren ändern. In einzelnen Märkten in Asien, wo die Wirtschaft schon wieder stark wächst, liegt die Kern-Inflation trotz starker Währung zwischen drei und fünf Prozent. Ein Thema, was die Branche seit Jahren umtreibt, ist die EU-Chemikalienverordnung Reach. Während die Verbände die hohen Kosten und den administrativen Aufwand kritisieren, loben Unternehmen die verbesserte Transparenz. Was ist Reach für Sie, der Sie Obmann als auch als auch Lenzing-Chef tätig sind: Fluch oder Segen? Ich würde das nicht so diametral sehen. Die Auswirkungen von Reach hängen stark von der Größe der Unternehmen ab. Konzerne tun sich leichter, einen Chemiker aus aktuellen Projekten abzuziehen und ausschließlich mit Reach zu befassen. Bei einem Mittelständler sieht das schon anders aus. Hier kann die Forschungstätigkeit massiv unter Reach leiden. Längerfristig bin ich durchaus der Meinung, dass es Chemieunternehmen gibt, die sich durch Reach besser positionieren können. Wir problematisch ist es für die Branche, dass Reach ein europäisches Projekt ist?Damit haben wir sicherlich zu kämpfen. Die USA, China und Russland stellen keine so hohen Anforderungen an die absolute Sicherheit ihrer Chemikalien. Das ist ein massiver Wettbewerbsnachteil für die europäische Industrie. Offensichtlich lernt man nicht aus in der Vergangenheit gemachten Fehlern. Chemikalien sind in Europa ohnehin bereits überreguliert.Sind von der neuen EU-Kommission Initiativen zu erwarten, die Ihre Branche so intensiv beschäftigen werden wie Reach? Da die EU-Kommission erst einige Monate im Amt sind, lässt sich noch nicht genau sagen, was auf die Branche zukommen könnte. Da ich die Politik nicht zu neuen Initiativen ermutigen möchte, werde ich mich hier mit Spekulationen zurückhalten. Ganz leicht scheint es Ihrer Branche aber nicht zu fallen, sich an EU-Gesetze zu halten. 2008 flog ein Kartell im Chemiegroßhandel auf, Mitte März verhängte das Kartellgericht Geldbußen gegen die Hersteller von Druckchemikalien. Kartelle sind in der EU und in Österreich verboten. Die Rechtslage ist also eindeutig. Wir als Verband können nur darauf hinweisen, dass sich Preisabsprachen nicht auszahlen, weil die Strafen exorbitant sein können. Aber in jeder Branche gibt es schwarze Schafe, die meinen, sie könnten den Markt austricksen. Damit müssen wir leben. Österreich ist ein sauberer Markt.Da Donau Chemie und Brenntag CEE an beiden Kartellen beteiligt waren, sind sie also die schwarzen Schafe der Chemieindustrie? Nein, das wäre zu einfach. Nicht die Unternehmen per se tragen die Schuld, sondern die Personen, die die Preisabsprachen verantworten. Von den Unternehmensleitungen gibt es hier sicherlich sehr klare Vorgaben und Anweisungen, solch schädliches Verhalten zu unterlassen. Interview: Vanessa Voss