Digitalisierung : Lufthansa hat Kundendaten für sich entdeckt

Der Vielflieger Carsten Spohr schätzt es eigentlich, wenn er im Flugzeug ein paar Stunden lang offline sein kann. "Doch damit gehöre ich wohl zu einer Minderheit", scherzt der 50 Jahre alte Lufthansa-Chef. Derzeit arbeitet Europas umsatzstärkste Fluggesellschaft mit Hochdruck daran, die digitale Welt in ihre Flugzeuge zu holen und die Daten der fast 110 Millionen jährlichen Kunden für zusätzliche Geschäfte zu nutzen. Geschäftsreisende und Touristen gleichermaßen sollen zusätzliche digitale Angebote nach ihren individuellen Bedürfnissen erhalten.

Noch hinkt die Infrastruktur in den Fliegern dem Versprechen der "digitalsten Airline der Welt" hinterher. Nach den 107 Langstreckenflugzeugen werden nun die Mittelstrecken-Jets aufgerüstet: Bis Mitte 2018 soll die gesamte A320-Flotte des Konzerns mit modernen Antennen und einem starken Breitband-Wlan ausgestattet sein. Die ersten zehn Digital-Flieger der Gesellschaften Austrian Airlines (AUA) und Lufthansa sind bereits unterwegs und auch die Billigtochter Eurowings soll mit der Technologie ausgestattet werden.

Drei Datentarife über den Wolken

Das Satelliten-Netz Ka-Band des britischen Anbieters Inmarsat ist stark genug, damit die Fluggäste auf den eigenen Geräten sogar Filme streamen können - sofern sie die höchste Datenrate für zwölf Euro pro Flug gebucht haben. Für drei Euro kann man künftig während des Flugs chatten, sieben Euro sind für den mittleren Surf-Tarif fällig. Noch 2017 soll zudem das terrestrische LTE-Netz der Deutschen Telekom mit der Satelliten-Technologie verknüpft werden. Internetgestützte Video-Konferenzen über den Wolken sind keine Zukunftsmusik mehr.

Zusätzliche Profite erwartet der DAX-Konzern aus der Nutzung der Kundendaten. "Die Menschen vertrauen uns ihr Leben an. Wir werden auch mit ihren Daten vertrauensvoll umgehen", sagt Spohr. Lufthansas "Miles & More" sei das erfolgreichste und größte Treueprogramm in Europa. Es komme darauf an, den Kunden die bestmögliche persönliche Erfahrung bei Lufthansa zu bieten. Schätzungen zufolge hat das Meilen-Programm weltweit 28 Millionen Mitglieder, von denen ein gutes Zehntel das Angebot aktiv nutzt.

Datenanlayse für maßgeschneiderte Angebote

Reisenden sollen zum richtigen Zeitpunkt passgenaue Zusatzangebote unterbreitet werden. Das Upgrade in die höhere Klasse, der Lounge-Zugang bei längerer Wartezeit - derartige Angebote können je nach vorhandenen Kapazitäten an Kunden individuell ausgegeben werden, sofern man aus ihren Daten die Ziele, Reisefakten und darüber hinaus die Vorlieben und Neigungen der Menschen kennt.

Das ist keineswegs ferne Zukunft: Im Flughafen München hat Lufthansa 200 Bluetooth-Sensoren installiert, die nach den Smartphones von Teilnehmern des Lufthansa-Smile-Programms suchen und ihnen ortsnahe Offerte für Waren und Dienstleistungen schicken. Nicht alle finden das gruselig: "Ich bin Amerikaner, mein Leben ist ein offener Markt", sagt Jeff Jarvis, Autor des Kult-Buches "What would Google do?". Er sei bereit, seine Daten zur Verfügung zu stellen, wenn er dafür eine bessere, auf ihn zugeschnittene Dienstleistung erhalte. "Die Personalisierung wird noch sehr weit gehen", ist Jarvis trotz deutscher Datenschutzbedenken überzeugt.

Airlines müssen sich neuartiger Konkurrenz stellen

Die Dienstleistung eines Fluges von A nach B ist erstmal ein denkbar analoges Geschäft, für das man moderne Flugzeuge, gut ausgebildetes Personal sowie eine gute Organisation braucht. Trotzdem muss die Lufthansa aktiv verhindern, dass ihr externe Vermittler ein Stück der immer knapperen Ticket-Margen wegschnappen. Dass das Unternehmen dazu bereit ist, hat bereits der harte Kurs gegen die internationalen Reservierungssysteme gezeigt, für deren Buchungen Lufthansa seit 2015 zusätzliche Gebühren verlangt.

Den Airlines soll es nicht so gehen wie Hotels oder Taxis. Portale wie Booking.com und Uber haben ohne eigene Infrastruktur Preistransparenz oder Billigkonkurrenz etabliert und schöpfen einen guten Teil des jeweiligen Branchenumsatzes ab. Noch sind die personalisierten Flugtickets aus Sicherheitsgründen nicht frei handelbar - es gibt keinen globalen Marktplatz. Doch hier scheinen technische Lösungen einer Übertragung von Person zu Person machbar. Lufthansa muss sich bemühen, bei der weiteren Entwicklung vorne dabei zu bleiben, wenn sie nicht zu einem nachgeordneten Zulieferer von Transportleistungen werden will.

Boardcomputer verlässlicher als neue Technologie

Lufthansa-Chef Spohr glaubt allerdings nicht, dass die Digitalisierung die Luftfahrt so grundsätzlich und schnell verändern wird wie andere Branchen. Es gehöre sehr viel dazu, Alternativen zu einem Massentransportmittel zu entwickeln wie es die Fliegerei heute sei. "Die Computer in unseren Flugzeugen sind 20 Jahre alt - aber sie funktionieren. Mein iPhone ist zwei Wochen alt, aber es arbeitet nicht mit der Verlässlichkeit, mit der mein Flugzeug funktionieren soll." In der Fliegerei gehe es darum, Systeme zu entwickeln und einzusetzen, die ständig fehlerfrei arbeiteten. Das Kerngeschäft - das Fliegen von A nach B - sei für sich genommen für digitale Unternehmen nicht besonders reizvoll.

Ganz anders sehe das aber bei den Geschäften aus, die sich dank der Digitalisierung um das Fliegen herum entwickeln. Hier verändere sich die Art, wie Menschen ihre Reisen organisieren, schnell und nachhaltig. Lufthansa wolle da Vorreiter sein. Deshalb brauche man Daten. "Gerade unsere jüngeren Kunden sind eher bereit, uns Daten zu geben." Aber sie erwarteten im Gegenzug auch, dass die Lufthansa diese Daten nutze, um den Service zu verbessern. Und hier lauere auch Konkurrenz aus der digitalen Welt. "Wenn jemand eine App entwickelt, die das Reisen wie eine gute Sekretärin optimiert, so altmodisch das auch klingt - wäre das etwas, wodurch ich befürchten würde, den Kontakt zum Kunden zu verlieren. Das ist, ehrlich gesagt, meine größte Angst", sagte Spohr. (apa/dpa)