Nachgelesen : Logistik treibt die Mobilitätswende

Anmerkung: Dieser Artikel wurde bereits im November 2017 veröffentlicht. Nun haben wir ihn für alle Leser freigegeben.

Es ist ein seltsamer Tod, den der Dieselantrieb gerade stirbt. Heftig akklamiert und entrüstet betrauert. Quälend langsam und letztlich vielleicht überraschend schnell. Hinausgezögert von OEM, die dem Patienten mit gefälschten Attesten ein längeres Leben versprechen wollten. Der Kampf ums Überleben ist vor allem auch ein Kampf ums Image: Die ohnehin schlecht beleumundeten Lkw bekommen nun zusätzlich den Zorn über den Pkw-Abgasskandal ab – ungeachtet der Tatsache, dass moderne Lkw teilweise einen deutlich geringeren Footprint hinterlassen. Während sich die Trauergemeinde zu versammeln beginnt, läuft die Suche nach den Erben des Dieselmotors auf Hochtouren. Und die Logistikbranche erweist sich als zentraler Treiber der Mobilitätswende.

1 Die Citylogistik-Hoffnung: E-Mobility

In der Citylogistik findet die Mobilitätswende bereits längst statt. KEP-Dienste und Speditionen kooperieren eng mit den OEM.

Die allgemeine Enttäuschung überraschte ein wenig. Als Tesla vor wenigen Wochen verkündete, die Präsentation seines E-Lkw etwas verschieben zu müssen, konnte man den Eindruck gewinnen, auf dem Fahrzeug ruhten die gesamten Hoffnungen der Elektromobilität. Doch angesichts der längst nicht gelösten technischen Einschränkungen von Elektrofahrzeugen – und der Vermutung, dass auch Tesla diese nicht aus der Welt zaubern kann – ist klar, dass die Musik zumindest mittelfristig ganz woanders spielen wird. Die Elektromobilität steht vor dem Sprung, City-Logistik und Nahversorgung fundamental zu verändern. Und das dank intensiver Kooperation der Fahrzeughersteller mit den Logistikern.

Dass die Logistiker das Thema treiben, ist naheliegend: Das Hauptproblem der Elektromobilität, die (noch) mangelnde Reichweite, betrifft Citylogistik und Nahversorgung nicht. Zudem ist das Thema ein drängendes: Vor allem der rasant wachsende Onlinehandel bringt die Stadtlogistik bereits jetzt an ihre Grenzen, und parallel dazu steigt die Erwartung der Endkunden an ökologisch vertretbare Lieferung. Das betätigt auch eine aktuelle Studie von PwC zur „letzten Meile“: Für 61 Prozent der Befragten ist demnach die Auslieferung durch E-Autos oder Lastenfahrräder ein Kriterium bei der Wahl ihres Online-Händlers. Der Aspekt der schnellen Lieferung liegt mit 59 Prozent knapp dahinter. Die Studienautoren konstatieren auch, dass in Nutzfahrzeug-Klassen unter 3,5 Tonnen bereits heute Kostenstrukturen möglich sind, die jenen reiner Dieselflotten ebenbürtig sind.

Spannend ist vor allem, dass die Grenzen zwischen OEM und Logistikern zu verschwimmen beginnen: 2014 kaufte die Deutsche Post das Startup Streetscooter und baut seitdem gemeinsam mit der RWTH Aachen ihre Elektrofahrzeuge selbst. Die kleinen Transporter sind exakt auf die Letzte Meile zugeschnitten, und modulare Konzeption macht sie für verschiedenste Einsatzgebiete nutzbar. Derzeit beginnt die Deutsche Post damit, sich in höhere Tonnage-Bereiche vorzuarbeiten. Im Sommer präsentierte das Unternehmen gemeinsam mit Ford eine Variante des Streetscooters, die mit einer Nutzlast von deutlich über einer Tonne bei einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern schon einiges mehr bietet. Seitens Ford heißt es dazu, man überprüfe eine Vertiefung der Zusammenarbeit, und seitens der Deutschen Post hält man am formulierten Ziel fest: Bis 2050 soll die komplette Brief- und Paketzustellung von rund 50.000 strombetriebenen Fahrzeugen erledigt werden – und CO2-Neutralität somit durch CO2-Freiheit ersetzt werden. Die Deutsche Post hat damit auch ein weiteres Geschäftsfeld eröffnet: Ältere Modelle des Streetscooters werden an Unternehmen und auch Kommunen weiterverkauft. Lesen Sie hier Aktuelles zum Erfolg der Streetscooters.

Seit diesem Sommer sind die Streetscooter unter dem Label der Deutsche-Post-Tochter DHL auch in Teilen Wiens unterwegs. Und treffen hier auf eine gewaltige Flotte der heimischen Post. Mehr als 1.400 Elektrofahrzeuge der Post sind in Österreich bereits unterwegs, es ist der mit Abstand größte E-Fuhrpark des Landes. Vorreiter ist übrigens Eisenstadt, wo die Post bereits ausschließlich E-mobil zustellt, in Wien nähert man sich den 100 Prozent. Alle größeren KEP-Dienste unterhalten heute Verbindungen zu den Fahrzeugherstellern. So kooperiert etwa DPD mit Mercedes-Benz in der Weiterentwicklung von Hybrid-Fahrzeugen. UPS lässt Teile seiner Sprinter-Flotte von Diesel- auf E-Antrieb umbauen.

Massiven Druck üben gleichzeitig die großen Speditionen aus. Gemeinsam mit Fraunhofer hat etwa Schenker das IT-gestützte System „iHub“ entwickelt, mit dem gemischte dieselbetriebene und elektrische Lkw-Flotten gesteuert werden können. iHub soll das Problem lösen, dass E-Lkw eine geringere Reichweite als Dieselfahrzeuge haben und daher die permanente Verfügbarkeit schwierig zu gewährleisten ist. Die intelligente Steuerung weist mittels dynamischer Tourenplanung Transportaufträge nur dann Elektrofahrzeugen zu, wenn sie diese auch mit der gleichen Zuverlässigkeit erledigen können.

Im Council für nachhaltige Logistik (CNL) haben sich schon 2014 Gebrüder Weiss, DPD, Schachinger, cargo-partner, Quehenberger und die Post mit Handels- und Produktions-Unternehmen zusammengeschlossen. Ein spektakuläres Ergebnis wurde Anfang dieses Jahres präsentiert: MAN Truck & Bus wird ab Ende 2018 am Standort Steyr Elektroversionen der TGM-Baureihe fertigen. In der Testphase der Fahrzeuge wird es um mehr gehen als um deren technische Eigenschaften – auch die Entwicklung eTruck-spezifischer Services wird forciert. „Als Hersteller werden wir viel stärker in die Analyse des Kundenbedarfs einsteigen“, kündigte MAN-Vorstand Carsten Intra an. Ein Anspruch, den die Logistiker wohl nur unterschreiben können.

2 Die Langstreckenhoffnung: LNG

Flüssig-Erdgas gilt als Diesel-Alternative Nummer Eins im Fernverkehr und bei Heavy Duty. Das schwache Tankstellennetz ist – noch – ein Hindernis.

Tankstellen-Eröffnungen erregen normalerweise limitierte Aufmerksamkeit. Ende September war das anders, diesmal war reichlich Polit- und Wirtschafts-Prominenz gekommen. Die erste heimische Tankstelle für verflüssigtes Erdgas auf dem Gelände des Ennshafens ist ein deutliches Signal: LNG, so die Ansage des Betreibers, der Rohöl-Aufsuchungs AG (RAG), soll als Treibstoff im Lkw-Fernverkehr etabliert werden.

Und dafür gibt es eine Reihe guter Gründe: Das vor allem aus Methan bestehende flüssige Gas ist geruchslos, nicht entflammbar und ungiftig. Der Feinstaub-Ausstoß von LNG-Lkw liegt nahe Null, die Stickoxid-Emission ist deutlich geringer als beim Diesel, und zudem sind die Fahrzeuge wesentlich leiser. Nicht ganz so deutlich ist der ökonomische Vorteil: Niedrige Mineralölpreise verschieben den Preisvorteil in Richtung Steuern, die Erdgasabgabe ist deutlich niedriger als die Mineralölsteuer. Angesichts deutlich höherer Anschaffungskosten für die Fahrzeuge geht man bei der RAG davon aus, dass ein LNG-Lkw innerhalb der ersten fünf Nutzungsjahre Eine Ersparnis von rund 16.000 Euro bringt – Kraftstoffpreise und Besteuerung auf aktuellem Niveau vorausgesetzt.

LNG hat jedenfalls als einzige Alternative das Potenzial, den Fern- und Schwerverkehr mit Diesel-Lkw mittelfristig komplett zu substituieren. Und warum geschieht es dann nicht? Einerseits, sagt Oliver Schauer, Professor am Logistikum in Steyr, handle es sich um ein klassisches Henne-Ei-Problem: Gerade einmal um die 100 LNG-Tankstellen gibt es zurzeit – in ganz Europa. Und die befinden sich noch dazu überwiegend an den Seehäfen, während etwa die Binnenländer entlang der Donau völlig unversorgt sind. Wenig Anreiz also für Speditionen, entsprechende Lkw anzuschaffen. Und damit kein Bedarf an weiteren Tankstellen. Ein Dilemma, das der Ennshafen alleine nicht auflösen wird, auch wenn er eine zentrale Lage an der Route großer Seehäfen einnimmt.

An der Lkw-Hardware scheitert es jedenfalls nicht. Vorreiter ist hier Iveco, die mit dem Stralis bereits mehrere Varianten mit LNG- oder LNG/CNG-Antrieb bieten. Die Reichweite des reinen LNG-Stralis beträgt rund 1.500 Kilometer, womit sogar die noch ziemlich vereinzelten Tankstellen erreicht werden können. Rund 2.000 Iveco-Lkw sind derzeit bereits in Europa unterwegs.

Für Schub in Sachen LNG sorgen derzeit aber vor allem die Logistiker selbst. Einen spannenden Ansatz verfolgt etwa die deutsche Lebensmittel-Spedition Meyer Logistik: Gemeinsam mit einer Tochter des Energieerzeugers Uniper eröffnete das Unternehmen im Frühjahr eine LNG-Tankstelle auf dem Firmengelände in Berlin. Das Besondere daran: Die Tankstelle steht auch den Lkw der Konkurrenz offen.

Ein starkes Zeichen setzte vor wenigen Tagen im Rahmen des LNG Truck Day die Konzernlogistik von Volkswagen. Gemeinsam mit Scania, Gasanbietern und mehreren lokalen Speditionen sollen mehr als 100 LNG-Lkw in Norddeutschland auf die Straße gebracht werden. Die mächtige Gruppe will, unterstützt von Ministerien und Verbänden, darüber hinaus Speditionen bei der Anschaffung der Fahrzeuge unterstützen und für die Errichtung weiterer Tankstellen sorgen.

Die niederländische Spedition Vos verknüpft die Technologie sogar mit den hierzulande nicht einmal mehr diskutierten Gigalinern. Seit Jahresbeginn sind fünf der Gigaliner der Spedition mit LNG-Zugmaschinen unterwegs. Die Fahrzeuge wurden von Iveco als Prototypen für die Spedition entwickelt und befinden sich nun im Regelbetrieb.

Abseits der Straße wartet auf LNG ein weiteres Einsatzgebiet: Die katastrophale Umweltbilanz, die Hochseeschiffe mit ihrem Schweröl-Antrieb hinterlassen, könnte durch den Treibstoff massiv verbessert werden. Derzeit sind erst um die 80 LNG-Schiffe weltweit unterwegs, doch bis 2020, schätzt man im deutschen Verkehrsministerium, sollten es schon rund 1.000 werden.

3 Die Hoffnung am Horizont: Wasserstoff

Sollten Wasserstoffantriebe serienreif werden, haben sie ungeheures Potenzial vor allem in ökologischer Sicht. Spannend ist es bereits in der Intralogistik.

Es ist eine mächtige Allianz: Mit BMW, Daimler, Toyota, Honda, Hyundai, Shell, Linde Gas und Air Liquide haben sich mehr als namhafte Konzerne Anfang des Jahres zusammengetan, um dem Wasserstoff als Antriebsmittel endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Das „Hydrogen Council“ will jährlich 1,4 Milliarden Euro in die entsprechende Forschung stecken. Und damit eine Alternative zum Verbrennungsmotor schaffen, die nur Wasserdampf in die Umwelt entlässt und gleichzeitig deutlich höhere Reichweiten als Batterien ermöglicht.

Bis von Wasserstoff angetriebene Lkw über die Straßen rollen, dürfte nach Meinung aller Experten noch einige Zeit vergehen: Zu viele technische und Sicherheits-Fragen sind noch zu lösen, ehe Wasserstoff die Bedeutung erlangt, die alle ihm wünschen. In der Logistik hat das Thema unterdessen eine ganz andere Bedeutung erlangt: in der Intralogistik.

Welches Potenzial der Antriebsform hier zugetraut wird, lässt sich wie so oft daran ermessen, dass Amazon ins Geschehen eingreift: Im Frühjahr gab der Handelsriese bekannt, einige seiner Lager komplett auf Brennstoffzellen- statt E-Stapler umstellen zu wollen. Dafür ging Amazon einen Vertrag mit Plug Power ein, einem US-amerikanischen Hersteller von Brennstoffzellen. Auch Schenker experimentiert seit Jahren mit der Technologie. In Hörsching wurden die Flurförderzeuge mit einem Range-Extender in Form einer H2-betriebenen Brennstoffzelle ausgestattet, und eine eigene Infrastruktur sorgt für die Umwandlung von Biomethan zu Wasserstoff sowie für dessen Komprimierung und Speicherung. Möglich wird das durch die Tatsache, dass die Hersteller längst auf den Zug aufgesprungen sind. Still, Jungheinrich, Linde, Toyota – sie alle forschen seit Jahren daran und präsentieren abwechselnd Prototypen und Serienreifes.

Erstes Vortasten ist allerdings auch im Lkw-Bereich zu bemerken. Das Technikportal The Verge meldete vor wenigen Tagen, dass in den Häfen von Long Beach und Los Angeles bereits Wasserstoff-Lkw von Toyota erste Testfahrten absolvieren. Vielleicht geschieht die Mobilitätswende ja auch hier schneller als gedacht.