LKW Kartell : LKW-Kartell: Viele KMU lassen sich Schadensersatz entgehen

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Die großen europäischen Lkw-Hersteller haben im Zeitraum von 14 Jahren (1997 bis 2011) kartellrechtswidrige Absprachen getroffen. Die EU hat dabei sowohl Rekordbußgelder von rund 3.8 Mrd. Euro gegen die Hersteller verhängt, als auch die Rechte der Kläger in solchen Fällen gestärkt. 2018 gab es die ersten Klagen aus Österreich.

Die ersten Urteile aus den Mitgliedsstaaten sind aus Klägersicht mit überwiegender Mehrheit positiv. Doch trotz der positiven Aussichten sind bisher weniger als 50 Prozent der betroffenen Lkw-Käufer aktiv geworden. Insbesondere der breite Mittelstand nutzt sein Recht auf Schadensersatz deutlich weniger häufig als große Unternehmen, wie die Stiftung unilegion belegt. Sie ist ebenfalls mit einer Sammelklage aktiv und hat in ihrem Case-Report zum Lkw-Kartell in einer Marktstudie mit rund 3.500 Interviews betroffener Unternehmen die Hintergründe analysiert.

Viele KMU noch nicht aktiv

Die EU-Kommission hat mit den Rekordbußgeldern in 2016 und 2017 den Weg für Schadensersatzklagen gegen die großen Lkw-Hersteller frei gemacht. Aktuell klagen in der EU rund 30.000 Unternehmen für knapp eine Mio. Lkw auf Schadensersatz gegen die Lkw-Hersteller. Damit sind vier Monate vor Eintritt der Verjährung in vielen EU-Mitgliedstaaten ca. 50 bis 60 Prozent der Unternehmen, auf die ca. weitere 2.6 Mio. im Kartellzeitraum erworbene Lkw entfallen, noch nicht aktiv geworden.

Gleichzeitig ist der Reifegrad der ersten Prozesswelle in vielen EU-Mitgliedstaaten fortgeschritten, so dass eine Vielzahl von Urteilen vorliegt – in den allermeisten Fällen mit positivem Ergebnis für die Kläger. Soweit bereits Schadensersatzbeträge ausgeurteilt wurden, lagen diese oft in einer Größenordnung von bis zu 10.000 Euro pro Lkw (zzgl. Zinsen). So kommen wir im Frühjahr 2021 in eine besondere Phase des bislang größten kartellrechtlichen Verfahrenskomplexes der EU-Geschichte:

Es ist das erste Mal, dass eine so große Zahl an geschädigten Unternehmen Schadensersatz wegen eines Kartellverstoßes einklagt. Die verlangten Schadenssummen sind erheblich und belaufen sich insgesamt auf mehrere Milliarden Euro.

Die rechtlichen Voraussetzungen der Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche sind in den letzten Jahren – auch auf Betreiben der EU-Kommission – deutlich verbessert worden. Dazu hat sich in vielen EU-Mitgliedstaaten eine weitgehend klägerfreundliche Entscheidungspraxis herausgebildet.

Parallel bietet eine Reihe von professionellen Klägerorganisationen finanzierte Sammelklagen an, die für die Geschädigten in den meisten Fällen eine Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche ohne Kostenrisiko und Aufwand ermöglichen.

Dennoch ist die Mehrheit der Geschädigten bislang nicht aktiv geworden. Vor allem mangelt es an Informationen.

Geringere Aktivität im Mittelstand durch Informationsmangel

Die unilegion Truck Claims Stiftung hat den Stand der Klagen in der EU analysiert und in einer Marktstudie knapp 3.500 Transport- und Industrieunternehmen aus den vier EU-Staaten Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien zum Lkw-Kartell befragt, um ein Stimmungsbild zu erstellen. Die Ergebnisse sind eindeutig:

Große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind in der Regel gut informiert und gehen entweder eigenständig oder in Sammelklagen bereits gegen das Lkw-Kartell vor.

Anders ist es bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Hier sind die Unternehmen vor allem dann aktiv geworden, wenn sie z.B. durch die Fachpresse oder Verbandsarbeit entsprechend über die Möglichkeiten der Teilnahme an Sammelklagen aufgeklärt wurden. Die überwiegende Mehrheit des Mittelstands, der keine Nähe zu Verbänden hat und die Fachpresse nicht aktiv verfolgt, ist bislang außen vor geblieben.