Anger Machining : Konnichiwa!

Man musste an diesem Novembertag nicht zwischen den Zeilen lesen, um zu verstehen: Dietmar Bahn ist es ernst. „Wir haben Japan auf der Karte“, erzählte der Geschäftsführer des Trauner Maschinenbauers Anger Machining im kleinen Kreis von ziemlich spektakulären Expansionsplänen. Bahn sprach von einem gelungenen Coup, der das Vorhaben erleichtern sollte: Für den Aufbau eines japanischen Anger-Standorts gelang es ihm, einen früheren Topmanager eines japanischen Maschinenbauriesen anzuheuern. Mit einem versierten Kenner der japanischen Kultur stünden die Chancen, den Fuß in die Tür des lokalen Automobilzuliefersegments zu kriegen, nun mal besser.

Viel besser, wie sich Anfang des Jahres herausstellen sollte. Per 15. Jänner nahm die Anger-Tochter Anger Machining Japan K.K. in der Form einer kabushiki kaisha, also einer Aktiengesellschaft, in Tokio ihre Tätigkeit auf. Nur kurz darauf, Mitte März, gelingt Anger das scheinbar Unmögliche: Der Maschinenbauer erhält grünes Licht zur Lieferung von zwei Transferzentren an einen japanischen Getriebehersteller. Bahn: „Der Aufwand, den wir im Vorfeld des Vertragsabschlusses treiben mussten, war unvergleichlich.“

Nissan-Tochter schlägt zu

INDUSTRIEMAGAZIN-Recherchen zufolge handelt es sich bei dem Kunden um die Nissan-Tochter Jatco. Sie soll auf den Maschinen – Auftragsvolumen: mehrere Millionen Euro – künftig Automatikgetriebe fertigen. Was Bahn Mitte November nur vage andeutete, darf er heute sagen: Der dramaturgische Bogen des Japan-Auftrags spannt sich weiter als über die letzten paar Monate. Die Oberösterreicher sind bereits viel länger an dem Auftrag dran. Gut eineinhalb Jahre ließen die Japaner die Trauner zappeln – erst dann kam es zum erhofften Vertragsabschluss.

Ein Geduldsspiel, das typisch für den hermetisch abgeriegelten Sehnsuchtsmarkt Japan ist. Zu den fast wöchentlich angesetzten Meetings kam bald nagende Ungewissheit, ob der Deal überhaupt zustande kommt. Monatelang haben Anger-Chef Dietmar Bahn und Co-Geschäftsführer Klaus Dirnberger die Unternehmenskommunikation zurückgeschraubt, nichts ausgeplaudert. „Hätte es mit dem Auftrag nicht geklappt, wäre ich blöd dagestanden“, sagt Bahn. Jetzt muss wegen des Transferzentrenherstellers aus Traun die Story des Maschinenbaus in Japan umgeschrieben werden. Wie die Oberösterreicher mit Verhandlungsgeschick, Ausdauer und Toptechnologie den Millionenmarkt Japan erobern.

In einer ewigen Außenseiterrolle wähnen sich ausländische Lieferanten bei Verhandlungen mit den Japanern seit jeher. Immer noch geben in Japans Industrien Keiretsu, mächtige lokale Unternehmenszusammenschlüsse, den Ton an. Und mit Sympathie, in Europa oft Wegbereiter für lukrative Deals, lässt sich in Japan wenig punkten, weil es im japanischen Geschäftsleben „auf andere Charaktermerkmale ankommt“, wie Martin Glanz, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Tokio, erzählt. Solche, die Dietmar Bahn, der über seine 50-Prozent-Beteiligung an der mbi-group Beteiligungs GmbH (wie auch Anger-Co-Geschäftsführer Klaus Dirnberger, Anm.) neben Anteilen an Anger auch solche am Kärntner Mehrspindelkopfhersteller Hellmerich hält, offenbar nicht vermissen ließ.

Eine der Tugenden des 49-jährigen Wirtschaftswissenschaftlers: Beharrlichkeit. Die zeigte die Anger-Führung auch, als es im Vorjahr darum ging, ihre Anger-Anteile von 51 auf 100 Prozent aufzustocken. Und auch zuletzt beim Schritt nach Japan nicht. Im Gespräch charakterisiert Bahn die Aufgabenteilung des Gespanns Dirnberger-Bahn: Klaus Dirnberger, 54, sei jener Vollprofi, der sich bei Anger „voll und ganz dem operativen Geschäft“ widme. „Mich zieht es dagegen mehr in neue Märkte“, sagt Bahn. Kaum ein Monat verging zuletzt, in dem er nicht solche bereiste. Was ihm in Fernost gelang: Er vermittelte den Japanern das ehrliche Gefühl, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Wirtschaftsdelegierter Martin Glanz bestätigt, dass Firmen fast nur so in Japan punkten könnten: „Japaner sind immer an einer Win-win-Situation interessiert.“

Markt spielt mit

Für die Oberösterreicher ist der Abschluss spektakulär. Anger deckt mit dem mehrere Millionen Euro schweren Jatco-Auftrag rund acht Prozent des jährlichen Importvolumens Japans im Segment Bearbeitungszentren, Bohren, Fräsen und Gewinden ab. Österreich wird so mit einem Schlag zum viertgrößten Maschinenimporteur Japans. Erst wenige Maschinenbauer – darunter der auf Schienentechnik spezialisierte Hersteller Linsinger aus Steyrermühl – haben den Markteintritt geschafft. Für Anger ist es wohl erst der Anfang: „Es werden Folgeaufträge kommen“, ist Anger-Machining-Chef Dietmar Bahn überzeugt.

Denn die Ausgangssituation für Dietmar Bahn und Klaus Dirnberger, die ab 2006 über die MBI Maschinenbau Investment GmbH (heute: mbi-group Beteiligung GmbH, Anm.) nach und nach die Mehrheit bei Anger übernahmen, ist denkbar gut. Automatikgetriebe-Pkw mit acht bis zehn Gängen erleben auf europäischen und amerikanischen Straßen einen Boom. Chrysler etwa stattet Fahrzeuge mit Acht- oder Neunganggetriebe aus. Die Technologie stammt vom deutschen Marktführer ZF Friedrichshafen. Bei Ford und GM nicht anders – dort stehen Neun- und Zehnganggetriebe hoch im Kurs. Weil der Trend zu sprit- und CO2-sparenden Komfortfahrzeugen anhält, müssen auch die Japaner auf dem US-Markt mit vergleichbaren Aggregaten nachschieben. Für deren Herstellung hat sich Anger – Lieferant von ZF, Daimler, VW und Chrysler – einen tadellosen Ruf erworben. Die Transferzentren sind für die kurzen Schaltzeiten solcher Getriebetypen wie geschaffen – der Hersteller verspricht höchste Fertigungsqualität.

Die Nissan-Getriebetochter Jatco – nach Aisin AW einer der großen Hersteller – wird auf den zwei bis Sommer 2015 ausgelieferten Transferzentren der Baureihe HCX 9-Gang-Automatikgetriebe für die Nissan-Nobelmarke Infiniti fertigen – Fokus: ebenfalls USA. Eine gute Technologie ist aber zu wenig, um es in die Lieferkette japanischer Automobilisten oder Zulieferer zu schaffen. Oder nur daran denken zu dürfen: „Drei oder vier Termine sind schon nötig, um überhaupt einmal ein Angebot legen zu dürfen“, berichtet Anger-Machining-Chef Dietmar Bahn.

Japan sei ein „extrem verschlossener Markt“, bestätigt ein oberösterreichischer Maschinenbauer. Ein Faktum, dem Lieferanten Tribut zollen. „Mit den Japanern kommen europäische Firmen seit Jahrzehnten nicht zurecht“, meint ein Maschinenhändler. Weil sie nicht verstehen, wie „Japaner reden, rechnen, denken“. Und dann ist da noch die etablierte lokale Maschinenbaukonkurrenz. Hersteller wie Enshu, Jtekt oder Makino sind die heimischen Topadressen in der japanischen Autozulieferindustrie – „mit lokaler Macht ausgestattete Firmen, die in Ausschreibungen nur extrem schwer zu schlagen sind“, meint ein Verbandsexperte.

Erfahrener Standortleiter

Den beiden Anger-Chefs Dietmar Bahn und Klaus Dirnberger gelang es trotzdem. Mit Shizuo Kakiuchi, dem Topmann in der Anger Machining-Japan-Niederlassung, bewiesen sie den richtigen Riecher. Als alter Maschinenbauprofi ist der energetische Mittsiebziger von der Technologie der Trauner derart begeistert, dass er sogleich sein Netzwerk öffnete, um einem Ziel entgegenzuarbeiten: die Anger-Technologie in Japan zu etablieren. Auch riss den Oberösterreichern nicht der Geduldsfaden, als es darum ging, den Verhandlungsmarathon auf japanischem Boden über Wochen – mit der Hilfe von Profidolmetschern – zu überstehen. „Der Kunde inspizierte unseren Standort in Traun und nahm auch ein Transferzentrum bei einem Referenzkunden in den USA unter die Lupe“, berichtet Dietmar Bahn. Letztlich mitentscheidend, dass der Deal über die Bühne ging: Das Flaggezeigen am japanischen Markt. „Die Gründung der Vertriebsniederlassung wurde als enormer Vertrauensbeweis empfunden“, glaubt Bahn.

Vertrauensvorschuss

Der Deal könnte für Anger Machining jedenfalls der erhoffte Türöffner für weitere Projekte in Japan sein. Weltweit produzieren die Japaner rund 24,5 Millionen Fahrzeuge pro Jahr – sie dominieren damit ein Drittel des globalen Fahrzeug- und Zuliefermarkts. Traumhafte Zustände für einen Lieferanten, der es in diesen Machtzirkel geschafft hat. Die Anger-Spitze will Japan nun als strategischen Markt konsequent ausbauen – „ich denke, dass wir mit einer standardisierten Maschine richtig großes Absatzpotenzial haben“, gibt er zu Protokoll. Bahn denkt über eine „Japanisierung“ der Maschinen nach, auch wenn diese erst in einem zweiten Schritt käme. Seine Überlegung: Die Maschinen künftig in Japan zu assemblieren und in Sachen Steuerungen (derzeit: Siemens-Steuerung) und Komponenten „stärker an japanische Bedürfnisse anzupassen“. Die ganze Aufmerksamkeit der Anger-Chefs liegt vorerst aber beim Jatco-Auftrag. „Das Projekt muss top pfeifen“, weiß Bahn. Eine Aussage, bei der man nicht zwischen den Zeilen lesen muss.