Serie Mobilität der Zukunft : ITS: Zwischenhalt Wien

Mobilität Fußgänger Verkehr
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Kongressbesucher sind flexibel. Sie wechseln situations- und streckenabhängig zwischen den Verkehrsmitteln: Zu etwa 75 Prozent sind sie mit den Öffis unterwegs, ein Viertel legen längere Wege zu Fuß zurück, das Taxi nutzen nur zwölf Prozent. In der Fachsprache nennt sich das Multimodalität – und die war das zentrale Thema des ITS-Kongresses. Nicht nur Kongressbesucher sind multimodal, die Verkehrsteilnehmer der Zukunft sind es auch. Ein Hemmschuh für den multimodalen Verkehr ist heute noch die Vielzahl an Gebühren, die anfällt, wenn man ständig zwischen den verschiedensten Verkehrsmodi hin und her wechselt – Parkgebühren, Straßenbahnticket oder die Bezahlung des Leihfahrrads, manchmal kaum mehr als Groschenbeträge. Da immer das passende Kleingeld bei der Hand zu haben, ist einfach unbequem und zeitaufwendig. Ein Ticket für alles Das E-Ticket soll dem ein Ende bereiten. „Wenn die Stadtbewohner bequem ihr Ziel erreichen, hilft das, den Verkehr stärker auf öffentliche, umweltfreundliche Verkehrsmittel zu lenken“, sagt Arnulf Wolfram, Leiter des Sektors Siemens Infrastructure & Cities. Mit der Smartcard von der Größe einer Kreditkarte bezahlen die Fahrgäste berührungslos. Die automatisierte Ticketerfassung gibt es in unterschiedlichen Ausformungen, in der höchsten Komfortstufe Be in/Be Out muss der Kunde nichts weiter tun, als diese Smartcard immer mit sich zu führen. Er steigt einfach in einen Bus ein und das System erfasst die Wegstrecke, die er zurücklegt, automatisch. Ohne Limits Siemens sucht nicht nur nach intelligenten Lösungen für den öffentlichen Verkehr, sondern forscht auch daran, wie Autofahrer ihr Ziel sicherer und komfortabler erreichen können. Unter anderem als Projektpartner der ASFINAG im Testfeld Telematik. Die Vision dahinter ist eine Straße ohne Blechschilder. Alle wichtigen Informationen über Baustellen oder Geschwindigkeitslimits werden direkt im Auto dargestellt. Dazu muss die Infrastruktur entsprechend ausgerüstet sein. Siemens hat zehn Ampeln nahe von Autobahnabfahrten mit WLAN ausgestattet. Sobald sich ein Testfahrer einer der Ampeln nähert, erhält er eine Geschwindigkeitsempfehlung direkt ins Fahrzeug, damit er die Kreuzung in einer Grünphase erreicht. Ideenforum Zwei von vielen intelligenten Projekten, die zwischen dem 22. und 26. Oktober 2012 am 19. Weltkongress für Intelligente Verkehrssysteme (ITS) in Wien vorgestellt wurden. Viele davon wurden in Österreich entwickelt und die Starthilfe kam oft vom ATTC. Hier geht´s weiter

Der Austrian Traffic Telematics Cluster versteht sich als ein Forum für die heimische ITS-Industrie, um im präkompetitiven Bereich Ideen auszutauschen und Entwicklungen anzuregen. „Aber in den ersten Jahren ab der Gründung 2003 ging es zunächst darum, Aufmerksamkeit für ITS zu schaffen“, sagt Generalsekretär Hartwig Hufnagl, „es ging um Bewusstseinsbildung.“ Ein erster Ergebnis war, dass sich die heimischen Unternehmen wie Siemens, Kapsch oder Swarco zur Weiterentwicklung im Think Tank ATTC zusammengeschlossen haben.“ Hufnagl ist hauptberuflich stellvertretender Abteilungsleiter für Verkehrsmanagement in der Verkehrsleitzentrale Inzersdorf. Das Interesse der ASFINAG an ITS ist schnell erklärt: „Natürlich konzentrieren wir uns zuerst auf den Betrieb, die Erhaltung und den Ausbau des Autobahnnetzes. Aber als Straßenbetreiber haben wir die Aufgabe, unsere Kunden hinsichtlich Verfügbarkeit, Verkehrsinformation und Verkehrssicherheit mit intelligenten Lösungen bestmöglich zu unterstützen.“ Mittlerweile zählt der ATTC 26 Mitglieder, bald darunter auch die IPTE Schalk & Schalk. Neben Radar- und Infrarotsensoren für die Fahrzeugerkennung und -überwachung ist das Grazer Unternehmen für seinen virtuellen Wildschutzzaun bekannt. „Das Wildproblem ist größer als von der Öffentlichkeit wahrgenommen“, sagt Geschäftsführer Andreas Schalk, „allein in Österreich gibt es jährlich rund 90.000 Unfälle mit Wildtieren.“ Das System wirkt wie ein physischer Zaun. Solange keine Gefahr droht, können sich die Tiere frei bewegen. Nähert sich ein Fahrzeug, werden die Wildtiere mit Licht- und Schallsequenzen verunsichert und verlassen das Umfeld der Straße. „Im Fünfjahrestest konnten die Unfälle um 90 Prozent reduziert werden.“ Der virtuelle Wildschutzzaun kann via WLAN mit den Fahrzeugen – ab 2015 Standard in allen neuen Fahrzeugmodellen – kommunizieren und so auch die Fahrer auf die Wildgefahr hinweisen. Erlebbare Technologie „Der Weltkongress war für uns ein voller Erfolg“, sagt Schalk, „insbesondere da wir dem Publikum live demonstrieren konnten, wie der virtuelle Wildschutzzaun in der Praxis funktioniert.“ AustriaTech hat im Auftrag des Verkehrsministeriums (BMVIT) insgesamt 22 Demonstrationen koordiniert. Sie waren das Highlight der Veranstaltung, denn sie machten die oftmals sehr abstrakte Technologie für das Publikum erlebbar – direkt auf den Straßen und in den U-Bahnen der Stadt. Die E-Mobility-Demonstration beleuchtete die verschiedensten Aspekte dieser Fortbewegungsart und führte zu der Erkenntnis, dass es nicht reicht, einfach Elektrofahrzeuge zu entwickeln und an die interessierte Käuferschaft zu bringen. Das von der ÖBB angeführte Projekt eMORAIL offenbarte das Potenzial von E-Bike- und E-Car-Sharing als Ergänzung des öffentlichen Personenverkehrs auf der letzten Meile. Das Konsortium Ballade, ebenfalls bei dieser Demonstration dabei, präsentierte ein kundenfreundliches Reservierungs- und Abrechnungssystem für Ladestationen. Und das AIT Austrian Institute of Technology nutzte die E-Mobility-Demonstration, um ein energieeffizientes Routing für Elektrofahrzeuge vorzustellen. Bessere Auslastung Die heimische Mobilitäts-Denkfabrik AIT war gleich mit mehreren Projekten vertreten, unter anderem auch am BMW-Stand mit TROIA. Die Routenempfehlungen heute gebräuchlicher Navigationssysteme werden nicht an die aktuelle, regionale Situation angepasst – es werden also nicht alle verfügbaren Daten auch genutzt. Und sie sind nicht standardisiert, bei der Datenübergabe kann es daher zu Fehlern kommen. „Wir entwickeln mit TROIA eine Methode, um Verkehrsdaten aus den unterschiedlichsten Quellen harmonisiert, integriert und mit hoher Qualität zur Verfügung zu stellen,“ sagt Christine Tissot, Leiterin des Mobility Department am AIT. „Damit treiben wir die Harmonisierung und Integration von Routeninformationen heterogener Verkehrssysteme, wie sie ja von den lokalen Infrastrukturbetreibern heute schon zur Verfügung gestellt werden, voran.“ Das führt zu einem verbesserten Routing und damit zu einer besseren Auslastung der Infrastruktur. „Und der Endkunde wird in der Zukunft von einer präziseren Routenassistenz und Zielführung profitieren“, betont Tissot. Zusätzliche Informationen bringt auch die Skidata in die Navigationssysteme. Werden die Fahrer schnell zu Parkplätzen gelotst, entlastet das das Verkehrssystem. „Bislang ist Parking aber noch nicht so recht integriert“, sagt Dirk Fox. Das Salzburger Unternehmen hat am Weltkongress gezeigt, wie man über das Navigationsgerät auch gleich einen Platz in einem Parkhaus reservieren und bezahlen kann. Hier geht´s weiter

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Russ, der Weltkongress sollte den Nutzen Intelligenter Verkehrssysteme vermitteln. Ist das gelungen? Martin Russ: Ja. Wir haben die Technologien hergezeigt. Wir haben die Demonstrationen ganz bewusst in den Mittelpunkt gestellt. Und wir haben nicht einfach einzelne kleine Projekte hergezeigt, sondern Themenschwerpunkte wie Kooperative Mobilität, indem wir immer mehrere Projekte in einer Kategorie zusammengefasst haben. Mit täglich rund 1500 Teilnehmern wurden sie auch ausgezeichnet angenommen. Welche Trends hat der Kongress aufgezeigt? Russ: Der Zug geht eindeutig Richtung multimodale Mobilität und kooperative Systeme – also Kommunikation zwischen Fahrzeugen und wichtiger noch zwischen Fahrzeug und Infrastruktur. Die Zukunft sind Informationssysteme, die in Echtzeit Verkehrsdaten für alle Verkehrsträger – vom Privatauto über das Rad bis zur Bahn – bereitstellen. Der zweite große Trend: Der Güterverkehr wird immer mehr zum Motor der Entwicklung. Erkennt die Wirtschaft die Potenziale Intelligenter Transportsysteme? Russ: Bei Disposition und Flottenmanagement ja. Was das Zusammenspiel mit dem Verkehrsmanagement bringen kann, ist weniger bewusst. Das ist aber verständlich, denn im Moment gibt es da erst sehr wenige praxisreife Lösungen.