Marketing : Industriemarken: Mehr Mut zur Emotion!

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Die Frage des Zweirad-Händlers war eine einfache: Warum gehen unsere Verkaufszahlen bei Jugendlichen so dramatisch zurück? Die Antwort war für alle Beteiligten überraschend: Es sind die Handys.

Herbert Kling, bei dessen Markt- und Meinungsforschungsinstitut meinungsraum.at die Frage landete, kam der Lösung über qualitative Interviews mit Jugendlichen auf die Spur: „Wir stellten fest, dass nicht nur die entsprechenden Budgets in den Elektronik-Bereich wandern. Der Witz daran ist: Sie lösen damit zum Teil auch das Mobilitäts-Thema.“ Über WhatsApp und Mitfahr-Apps ist ein unglaublich stark genutztes Netzwerk an Mitfahrgelegenheiten entstanden. Das Thema Mobilität hat – unbemerkt von den meisten Älteren – eine völlig neue Definition erfahren. Das Match, sagt Herbert Kling, lautet immer häufiger Apple versus Samsung statt Zündapp gegen Vespa wie in seiner Jugendzeit.

Im Meer der Anbieter

Die Plattform-Ökonomie, sagt Kling, verändert weit mehr als nur die Vertriebswege. Sie krempelt auch unser Verständnis von Marken komplett um. Begonnen hat es im B2C-Bereich. Unterkunfts-Vermittler ohne eigene Räume, Taxidienste ohne Pkw, Lieferservices, die weder Restaurants noch eigene Fahrräder besitzen: Die einzelnen Marken verschwinden hinter jener der Plattform. Prominentestes Beispiel ist wohl Amazon, eine Marke, unter der jeder seinen eigenen Shop eröffnen kann und sich nur noch um das Binnenmarketing innerhalb des Amazon-Biotops kümmern muss.

Wie kleinteilig die Struktur werden kann, zeigt die Crowdworking-Plattform Amazon Mechanical Turk, über die etwa Design-Aufträge in einen Pool von individuellen Anbietern geworfen werden. Natürlich, sagt Herbert Kling, eröffne dies auch neue Möglichkeiten. „Gleichzeitig aber zählt in dieser Welt meist nur der Preis, und das birgt nicht nur die individuelle Gefahr, ins Prekariat abzurutschen. Es ist vor allem der beste Weg, als Marke in einem Meer von Anbietern zu verschwinden.“

Erste Industrieskalierungen

Ein Effekt, von dem sich die Industrie lange unberührt glaubte. Doch erste Industrieskalierungen sind bereits auf dem Markt, beginnend bei Logistik-Plattformen für Lagerplatz oder Transportaufträge – hier ist das „Ideal“ einer 1:1-Verbindung zwischen Konsument und Produzent bereits umgesetzt. Und was sich heute noch im Bereich der Spielerei bewegt, könnte schneller als gedacht disruptiv wirken: „Irgendwann wird es jedem möglich sein, einen 3D-Drucker daheim zu installieren“, meint Herbert Kling. „Und dann kann man Dinge produzieren, die bisher nur in Massenfertigung in einem Industriebetrieb möglich waren. Das bedeutet übrigens auch, dass die Rolle des Verkäufers, der eine Kundenbeziehung aufbaut, drastisch an Bedeutung verliert. Wichtig ist dann nur noch eine gut programmierte Schnittstelle, die perfekt ins System integrierbar ist.“

„Shöpping“ ohne „Post“

Die Möglichkeit, selbst eine Plattform aufzubauen, steht wohl nur den Großen offen. Und ob es dafür nicht zu spät ist, bleibt abzuwarten. Das „Shöpping“-Portal der Österreichischen Post etwa, das der Abhängigkeit als Amazon-Lieferant ein eigenes Geschäftsmodell entgegensetzt, betritt doch einen sehr gut aufgeteilten Markt. Interessant dabei: Auf dem Portal findet man keinerlei Hinweis auf die Post selbst – es ist eine komplett neue Marke. Die Post vermeidet damit, was Herbert Kling als „übertriebenen Markenstolz“ bezeichnet: „Es kann durchaus gescheiter sein, den Mut aufzubringen, die eigene Marke zu erweitern oder sogar um eine komplett neue zu ergänzen. Amazon wurde ja auch vom Buchhändler zum Alles-Händler.“

Emotionale Aufladung

Den Unternehmen allerdings, die nicht in solchen Dimensionen denken können, rät Herbert Kling zur emotionalen Aufladung der Marke. Vor allem Industriebetriebe tun sich seiner Erfahrung nach damit häufig schwer. „Leider steht die Industrie meist auf dem Standpunkt, dass der Vertrieb eher über die Einkaufsabteilungen funktioniert, also ohne Emotionen. Doch auch in diesen Prozessen sind Emotionen hochgradig involviert, vor allem die Dimension ‚Vertrauen’. Je mehr die Marken hinter den Plattformen zu verschwinden drohen, desto wichtiger wird es aber, eine emotional aufgeladene Marke zu haben.“

Es gebe auch einen dritten Weg, sagt Kling, und auch der verlange eine Menge Mut zum Risiko: die bewusste Entscheidung, die eigene Marke zu vernachlässigen und sich auf die Produktion und die Optimierung der Vertriebskanäle innerhalb einer Plattform zu konzentrieren. „Ich habe allerdings den Eindruck, dass die meisten Unternehmen derzeit einen Mittelweg versuchen. Der wird jedoch nicht funktionieren.“

Meinungsraum.at-Geschäftsführer Herbert Kling diskutiert auch am heurigen Industriekongress, der von 21. bis 23. Juni im Schloss Pichlarn stattfindet, zum Thema Startup-Strategien und wie es es etablierte Unternehmen schaffen können, sich immer wieder neu zu erfinden.