Interview : Hans-Peter Haselsteiner: "Der Kapitalismus in dieser Form wird zur Katastrophe führen"

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Nüchtern. So wirkt das Büro von Hans Peter Haselsteiner im Strabag-Tower in der Wiener Donau-City. Ein eher schmaler Raum, ein langer Besprechungstisch, an dessen Ende sich der Schreibtisch des bald 73-jährigen Unternehmers anschließt. Haselsteiner werkt ziemlich analog: Die einzige Elektronik im Raum ist neben Haselsteiners Handy der automatische Sonnenschutz, der sich surrend vor die Fenster zieht, als die Sonne beginnt, sich einen Weg durch die Wolken zu bahnen. Es ist der Tag, an dem Haselsteiner im Streit mit Georg Kapsch um die Öxit-Kampagne die Mitgliedschaft der Strabag bei der Industriellenvereinigung aufkündigen wird.

Herr Haselsteiner, wie sehr überrascht Sie der derzeitige Siegeszug der Populisten – in den USA, bei der EU-Abstimmung in Großbritannien oder in Österreich?

Hans-Peter Haselsteiner Gar nicht. Mich hat weder der Sieg von Donald Trump noch der Ausgang der EU-Abstimmung in Großbritannien überrascht. Ich war enttäuscht. Enttäuscht von der Abstinenz der Jungen. Aber nicht überrascht vom Ergebnis.

Was kann denn die Jugend dafür, dass simple Parolen derzeit Konjunktur haben?

Haselsteiner Es ist ein Versagen meiner Generation, dass das Projekt Europa derzeit an die Wand fährt. Die Methode ‚schuld ist immer Brüssel’, mit der seit Jahren Politik gemacht wird, ist im Begriff, Europa zu ruinieren. Wenn die Jungen Europa nicht verteidigen – meine Generation tut es leider offenbar nicht. Ich würde mir wünschen, dass sich jene, die am meisten von Europa profitieren, in Zukunft mehr engagieren.

Die vorherrschende Erklärung für den Siegeszug der Vereinfacher ist, dass deren Ideen derzeit auf einen fruchtbaren Boden jener fallen, die sich als Globalisierungsverlierer sehen. Ist das ein Befund, den sie teilen?

Haselsteiner Die Globalisierung, wie auch die Europäisierung der Wirtschaft hat gezielt die bisher benachteiligten Nationen stark bevorzugt. Es ist belegbar, dass Milliarden Menschen von der Globalisierung profitieren, in Asien, in Osteuropa. Und dass Millionen Menschen darunter – etwa durch Jobverlust – gelitten haben. Vor allem in den USA oder Großbritannien, aber auch bei uns.

Kann man angesichts dessen dann den Wählern verübeln, dass sie das in ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen?

Haselsteiner Nein. Deshalb hat mich der Siegeszug der Populisten auch nicht überrascht. Das kapitalistische System hat die Möglichkeiten der Globalisierung in einer Art genutzt, von der man heute sagen muss: Das war zu schnell. Das war zu radikal. Und das war vielleicht auch gar nicht wünschenswert. Die USA haben einen hohen Preis gezahlt – und zwar zu Lasten einer einzelnen Gruppe: der Arbeiterschaft.

In Ihrem Urteil über die Globalisierung sind Sie sich mit den Populisten überraschend einig ...

Haselsteiner Das hoffe ich nicht. Ich bekenne mich zur internationalen Teilhabe. Wir können viel weniger als in den vorigen Jahrhunderten darauf bauen, dass die Migrationsbewegungen, die sich andeuten, nicht stattfinden. Im Zeitalter globaler Warenströme kann kein Zaun und keine Mauer Völkerwanderungen verhindern. Wenn wir das Problem erkannt haben, ist klar, dass wir den Nationen in anderen Kontinenten eine angemessene und vernünftige Lebensbasis gewähren müssen. Das ist in Asien hervorragend gelungen.

Und wie erklärt man das einem jungen Lkw-Fahrer, der – im Gegensatz zu seinem Vater – mit seinem Lohn niemals ein Haus wird bauen können?

Haselsteiner Er hat recht mit seiner Empörung. Wir haben keine Wirtschafts-, keine Währungs- und keine Wachstumskrise. Wir haben eine Verteilungskrise. Es gibt von allem mehr als genug, und trotzdem können wir unsere Gesellschaft nicht wohlhabender machen. Die Gesellschaft spaltet sich zunehmend. Der Egoismus der Besitzenden ist so stark, dass sie in der Lage sind, eine gerechtere Verteilung zu verhindern. Spekulation auf Lebensmittel, Land Grabbing, Monopole bei genmanipulierten Lebensmitteln: Das sind alles Phänomene, von denen wir wissen, dass sie nicht wünschenswert sind, wir sind aber derzeit nicht in der Lage, sie zu verhindern. Solange ein österreichischer Unternehmer alle anderen Möglichkeiten prüft und verwirft, bevor er einen Arbeitsplatz in Österreich schafft – und nicht umgekehrt –, läuft in unserem System eigentlich etwas falsch.

Frisst der Kapitalismus seine Kinder?

Haselsteiner Es gibt zwei Konstanten im menschlichen Wesen. Eine ist, dass wir in unserer Euphorie das Maß des Vernünftigen, des Gesunden oft überschreiten. Die andere ist die Gier. Beide haben dazu geführt, dass die unbestreitbaren Gewinne aus der Globalisierung, die es auch im Westen gab, nicht angekommen sind, wo sie die Schäden hätte abfedern können. Wenn ich mir überlege, wie stark der Finanzsektor in den letzten zwanzig Jahren von der Globalisierung profitiert hat, bin ich sicher, dass eine Finanztransaktionssteuer zur Finanzierung von Strukturprogrammen in von der Globalisierung besonders betroffenen Regionen sinnvoll gewesen wäre. Das wäre nur ein Beispiel.

Würden Sie den Befund unterschreiben, dass traditionelle Parteien gescheitert sind, die Probleme der Leute zu sehen, aufzunehmen und daraus richtige Politik zu machen?

Haselsteiner Ich glaube, die etablierten Parteien in Österreich haben ihre Privilegien, die Gewohnheitsrechte, ihre kleinen Vorteile, in einem so unerträglichen Maß rücksichtslos durchgesetzt, dass es zum Erstarken der Populisten geführt hat. Die beiden großen Parteien konnten sich einfach über ihre Funktionäre nicht mehr hinwegsetzten. Man sieht es an der Bildungsreform, Pensions-, Gesundheitsreform – es zieht sich durch alle Bereiche.

Von Schwächen des Personals einmal abgesehen: Lebt die Politik in einer Blase – und damit an der Realität vorbei?

Haselsteiner Das hängt ja damit zusammen: Menschen wollen keine Veränderungen. Man muss Menschen zu Veränderungen eigentlich fast immer körperlich zwingen. Es hapert einfach an der Erkenntnis, dass sich die Welt verändert und wir uns anpassen müssen. Der Gestaltungswille hört auf, wenn er bei einer vermeintlichen Mehrheit nicht ankommt. In den Demokratien, die wir gewohnt sind, herrscht der Druck und der Wille, wiedergewählt zu werden. Daher ist die Erneuerungskraft der Amerikaner viel höher als bei uns. Erinnern wir uns, was dieses Land schon alles ausgehalten hat: Nixon, nicht gerade ein lupenreiner Demokrat, wurde reibungslos verkraftet. So wird es auch mit Donald Trump sein.

Haben die jetzigen Eliten dabei versagt, Europa und die Idee der Globalisierung zu erklären?

Haselsteiner Die Eliten meiner Generation haben es verbockt – meine Väter-Generation, die echte Nachkriegsgeneration, die nicht nur den Aufbau, sondern vor allem den Ausgleich in Europa zustande gebracht hat. Wir haben die geschichtlich längste Friedensphase in Europa und wissen nicht, wie wir das Wirtschaftswachstum im Frieden ankurbeln können. Wir haben jetzt eine echte Verteilungskrise. Es gibt keine Stabilität ohne faire Verteilung. Wenn eine Bevölkerungsgruppe benachteiligt ist, bringt es solche Erscheinungen wie Trump, Strache oder Orban an die Macht.

Ist der Populismus noch zu bremsen?

Haselsteiner Ja. Denn er wird den Wahrheitsbeweis antreten müssen. Populisten müssen demokratische Prozesse eine Periode lang durchschreiten und überleben. Das funktioniert meist nicht. Wir haben gesehen, was mit der FPÖ in der Regierung passiert ist. Ähnliches passiert jetzt in Polen. Ich glaube nicht, dass die polnische Regierung wiedergewählt wird. Auch die Briten werden ihren Brexit nicht vollziehen. Die Frage ist, wie hoch ist der Schaden in der Zwischenzeit: Im Falle des Brexit wird er bis zur endgültigen Absage des „hard Brexit“ recht hoch sein. An dem Schaden den wir mit der FPÖ hatten – Stichwort Hypo Alpe Adria – werden noch Generationen zahlen.

Hoffen Sie eigentlich, dass Donald Trump Erfolg hat?

Haselsteiner Ich hoffe auf jeden Fall, dass Trump Erfolg hat – und seine Machtfülle zu nützen versteht. Ich bin weit weg davon, ihm Misserfolg zu wünschen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Trump wird für die Gesellschaft der Vereinigten Staaten kein Fortschritt sein. Trotzdem kann ich mir nicht wünschen, dass er scheitert. Ein Scheitern wäre vielleicht noch mit viel Schlimmerem verbunden.

Verteilungsdebatte, ungezügelter Kapitalismus: Eigentlich wären die Zeiten doch reif für einen erfolgreichen linken Populismus. Warum gibt es den nicht?

Haselsteiner Ich glaube, das Rechts-Links-Schema ist längst nicht so präzise, wie man denkt. In dem Programm der FPÖ gibt es viele links-linke Ansätze, in wirtschaftspolitischen Fragen ist das Programm ja total links. Das hat Tradition: Die Nationalsozialisten waren in wirtschaftspolitischen Fragen auch sehr links. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, die Nazis als links zu bezeichnen. Was soll denn heute auch noch links sein? Ich bin, glaube ich, nicht links (lacht), das kann ich mir nicht vorstellen. Trotzdem sage ich: Der Kapitalismus in dieser Form wird zur Katastrophe führen. Wir müssen ihn in irgendeiner Art und Weise dienlich machen.

Werden es die Rechtspopulisten sein, die es schaffen, den Kapitalismus zu zähmen?

Haselsteiner Es ist meine Hoffnung, dass es für die Sachpolitik nicht zu spät ist. Wenn die FPÖ überhaupt irgendwelche Vorschläge zur Wirtschafts- oder Verteilungspolitik macht, ist das nicht besser als das, was wir jetzt schon haben. Wir überlassen den Rechtspopulisten den Raum, den wir selbst belegen sollten. Kern hat jetzt begonnen, Verteilungsthemen anzusprechen. Wir müssen darüber reden, was die Rolle der Eliten ist, ob wir TTIP wollen, oder ob wir die Effekte der Digitalisierung durch eine Wertschöpfungsabgabe mildern können. Das sind doch alles Diskussionen, die geführt werden müssen ...

Aber anscheinend dringen derzeit Rechtspopulisten mit ihren Argumenten besser durch als Realpolitiker ...

Haselsteiner Wenn sie keine Rücksicht auf gute Sitten und die Wahrheit nehmen, dann beherrschen sie natürlich die Kommunikation besser. Aber sie stellen ja immer nur die Hälfte dar ...

Die Frage ist: Ist diese Form der Kommunikation in Zeiten der immer stärker werdenden Verkürzung in den Sozialen Medien das neue "Normal"?

Haselsteiner Das befürchte ich. Ich glaube, dass in dieser Hinsicht auch Sachpolitiker nachrüsten müssen. Man hat mir, als ich die Öxit-Kampagne gestartet habe, vorgeworfen, dass ich mit den Waffen der FPÖ kämpfe. Meine Antwort war: Wenn ich gegen einen solchen Gegner etwas bewirken will, kann ich nicht die feine Klinge führen. Dann muss ich den Bihänder nehmen.

Sind politische Diskurse in der Digitalisierung ein Auslaufmodell?

Haselsteiner Das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich glaube, das Problem ist tatsächlich ein größeres: Sie führt möglicherweise dazu, dass Politiker in noch stärkerem Ausmaß ihr Denken verändern: Was ist mehrheitsfähig – und nicht: was ist notwendig. Die Tendenz, dass Politiker, so platt das klingt, ihr eigenes Interesse – etwa am politischen Überleben – vor die Notwendigkeiten des Staates stellen, nimmt zu.

Zum Beispiel?

Haselsteiner Das Paradebeispiel ist Herr Cameron, der willentlich, wissentlich und bewusst das katastrophale Risiko der Brexit-Abstimmung herbeigeführt hat – ausschließlich, weil er als Premierminister glaubte, davon zu profitieren. Wie wir sehen, hat es ja sogar geklappt. Er wurde mit großer Mehrheit wiedergewählt. Und er hätte sich nie träumen lassen, dass er schon wenige Monate danach würde gehen müssen. Er wollte nichts anderes als seine eigene Karriere befördern, und hat damit ein ganzes Land ins Unglück gestürzt. Nochmals: Wenn Regieren nur noch das Exekutieren von Mehrheitsmeinungen in Sachfragen ist, dann braucht es keine Regierung mehr. Dann genügten ein paar Beamte auch.

Hat sich hier in den letzten 20 Jahren etwas verändert? Waren Politikerpersönlichkeiten früher "nachhaltiger"?

Haselsteiner Um ganz ehrlich zu sein: Ich kann ich mich nicht daran erinnern.

Wann hat sich das geändert, dass man Gespräche mit leitendem Personal der Wirtschaft - so wie gerade mit Ihnen - nicht mehr führen kann? Es gibt Positionen zu EBIT und Gewerbeordnung, aber keine Einstellung mehr zur Gesellschaftspolitik.

Haselsteiner Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin ein sehr privilegierter Mensch – und ich bin dafür sehr dankbar, dass ich mich nicht mehr verbiegen muss. Ich mag es auch nicht mehr anders. Ich mag mich nicht immer anpassen müssen. Aber ich habe auch im Zuge meiner Öxit-Kampagne gesehen, dass die meisten Menschen Bedenken vor nachteiligen Konsequenzen haben, wenn sie sich auf etwas festlegen. Aber ich gebe Ihnen recht: Das politische Streitgespräch ist ausgestorben. Wir sind in unserer Jugend noch quer über Weltanschauungen als Freunde zusammengesessen und haben uns gestritten, dass die Fetzen flogen.

Wie merken Sie die Angst vor Konsequenzen bei der Öxit-Kampagne?

Haselsteiner Ich habe eine Unzahl von Unterstützungserklärungen bekommen, eine Unmenge an Komplimenten. Nahezu jeder hat sich mir gegenüber positiv geäußert. Aber genau in dem Moment, als ich gesagt habe: „So, du aber jetzt auch. Bekenne dich“, sind die Einwände gekommen: ‚Das ist nicht meine Sprache’, ‚ich kann mir das nicht leisten’.

Was würden Sie denn sagen, wenn einer Ihrer Manager im Hofer-Unterstützungskomitee wäre?

Haselsteiner (überlegt lange) Ich würde nichts sagen - und froh sein, dass ich über seine Zukunft nicht zu entscheiden habe.

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