IM-Expertenpool: Halbleiter : Halbleitergeschäft: Wo kommt das Wachstum künftig her?

Wachstumsquellen für die Halbleiterindustrie

In den 90er- und auch noch in den frühen 2000er-Jahren waren Wachstumsbooms mit jährlichen Umsatzsteigerungen zwischen 30 und 40 Prozent für Halbleiter-Player eher die Norm als die Ausnahme. Befeuert durch das Geschäft im Consumer Bereich für PCs, Laptops und Mobiltelefone wuchsen viele kleinere Technologie-Unternehmen zu Giganten im Halbleitergeschäft. Seit 2011 müssen die Erwartungen aus dem Consumer Markt allerdings stark zurückgeschraubt werden. Die Wachstumsfeier scheint vorüber: Von 2015 bis 2020 wird nur noch mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 3,4 Prozent gerechnet. Die dynamische Start-up Atmosphäre ist vielfach Geschichte: Aktuell umfasst die gesamte gereifte Industrie bereits eine Marktgröße von über 350 Mrd. Euro. Zwischen den Unternehmen herrscht derzeit ein Verdrängungswettbewerb. M&A-Mega-Deals bestimmen die Industrie und konsolidieren den Markt. Ist das das Ende der „Outperformance“? Ganz und gar nicht. Die Projekterfahrung zeigt: Auch organisch ergeben sich dynamische Markttrends, welche die Erfolge aus dem Mobile Consumer Bereich in Zukunft replizieren können. Unternehmen müssen sich jedoch die grundlegende strategische Frage stellen: Wo kommt das Wachstum zukünftig her und wie kann die drohende Stagnation vermieden werden? Hierbei werden insbesondere drei Wachstumsquellen eine zentrale Rolle spielen (siehe Grafik 1).

Neue disruptive Technologie Silizumkarbid – der Tipping Point naht

Als produktseitige Quelle für neues künftiges Wachstum werden derzeit Leistungshalbleiter aus Siliziumkarbid (SiC) gehandelt. Sie gelten als disruptive „Marktbrecher“ im Vergleich zu Halbleitern aus regulärem Silizium, da sie als schneller, robuster und effizienter bezeichnet werden. Einige wenige Player im Markt haben sich bereits eine günstige Startposition verschafft. Aufgrund starker mittelfristiger Wachstumsprognosen bietet das derzeitige Marktvolumen im noch jungen Produktsegment (etwa 200 Mio. US-Dollar) aber noch jede Menge attraktives Eintrittspotenzial für Second und Third Mover. Diese Entwicklung vom Hype zur Realität wird innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre stattfinden, insbesondere über die steigende Nachfrage im Bereich Hybrid- und Elektromobilität, als auch in der regenerativen Stromerzeugung und in gewissen Industrieapplikationen. So wird laut Simon-Kucher Analysen die weltweite Nachfrage im Technologiebereich SiC und in der Schwestertechnologie Galliumnitrid (GaN) mit zweistelligen jährlichen Wachstumsraten im Jahr 2025 bei über 3 Mrd. Euro liegen.

Derzeit ist die Technologie zunächst noch aufgrund der noch nicht eingetretenen Stückzahlen im Markt kostenintensiver und aufwendiger in der Produktion. SiC und GaN fristen also ein prominentes Nischendasein. Die First Leader Unternehmen konnten das Potenzial aber bereits belegen und erste signifikante Design-Wins erzielen. Für die restlichen Hersteller gilt es, ihre Innovationsstrategie deutlich anzupassen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Für eine erfolgreiche Implementierung der Systemlösung von SiC und GaN ist zudem eine vertiefte Marktorientierung in der Neuproduktentwicklung unumgänglich. Halbleiter-Unternehmen müssen sich schon beim Start des Innovationsprozesses, „ab der Phase 0“, mit der Frage beschäftigen, in welchen Applikationen die Kundenbedürfnisse im Hinblick auf hohe Schaltspannung und -geschwindigkeit, geringe Schaltverluste und Minimierung der Baugröße und Gewicht bereits jetzt stark ausgeprägt sind. Nur so ist mit einem kundenseitigen Markterfolg von Design-In zu Design-Win zu rechnen (siehe Grafik 2).

Neue Märkte im Bereich „Internet der Dinge“ – den Anschluss nicht verlieren

Eine weitere wichtige Wachstumsquelle ist für die Unternehmen im Halbleiterbereich deutlich schwieriger zu greifen. Der Markttrend zum Thema „Internet der Dinge (IoT)“ birgt immenses Potenzial. Halbleiterunternehmen dürfen hierbei keine Zuschauerperspektive einnehmen, sondern sollten sich als Teil der technologischen DNA begreifen, die diesen Marktentwicklungsprozess begleiten. Signifikante Umsatzträger sind insbesondere im Bereich Microcontroller, Sensorik, Speicher und Konnektivität zu erwarten. Die Herausforderung derzeit: es gibt keine einzelne sogenannte „Killer-App“, sondern eine Vielzahl an kleineren Nischen-Opportunitäten, die ein in Summe attraktives Wachstumspotenzial versprechen. Unternehmen, die hier agieren, sind aktuell sehr breit gestreut – es haben sich noch keine marktdominanten Player in diesem stark diversifizierten Markt etablieren können. Besonders interessant sind Applikationen im Bereich „Smart Home“, „Medical Electronics“ oder „Connected Cars“. Diese aktuellen Nischensegmente werden aufgrund von IoT an großer Bedeutung für die Halbleiterindustrie gewinnen (siehe Grafik 3).

Auch im Consumer Bereich („Fitness bracelets“, „Smart Watches“) nimmt die Nachfrage zu. Derzeit noch schwer greifbar, aber maßgeblich für den Erfolg der Halbleiterindustrie, ist insbesondere der Integrationsgedanke um Hardware und Software Komponenten entlang der Wertschöpfungskette zu vereinen und letztlich eine IoT Gesamtlösung anzubieten. Halbleiterunternehmen, die bereits jetzt auf die Themen nahtlose Sicherheit, Kommunikationsintelligenz und Ease-of-Use setzen, können hier ihre Positionierung schärfen. Um konsequent durchzugreifen, muss jedoch eine Priorisierung der Ressourcen hinsichtlich IoT Wachstumsquellen und bestehenden „Brot und Butter“ Segmenten neu durchgeführt werden. Zudem ist vielen Herstellern das unternehmensspezifische Marktpotenzial dieser Wachstumsquelle noch nicht bekannt. Der Horizont im Bereich Internet der Dinge scheint derzeit für viele Halbleiterunternehmen noch verschwommen. Greifbarer gemacht werden kann dieser nur durch eine saubere Bestandsaufnahme und –analyse hinsichtlich der IoT Wettbewerbspositionierung.

Neuer Vertriebsansatz: Vom Produktgeschäft zum Systemgeschäft

Neue Wachstumsquellen für die Halbleiterindustrie ergeben sich jedoch nicht nur produkt- und marktseitig sondern auch über aktuelle Dynamiken im Vertriebsansatz. Viele Player bieten bereits jetzt Teil-Lösungen für Systeme an und integrieren somit Chips, Treiber, Software und Sensoren. Potenzial verspricht insbesondere ein ganzheitliches Vorgehen mit klarer Definition des jeweiligen Systemansatzes. Der Vertrieb für Halbleiterunternehmen wandelt hierzu derzeit noch zu sehr im Dunkeln. Es bedarf einer neuen Aufstellung, um eine klare Migration vom Komponentenverkauf hin zum Systemverkauf zu vollziehen.

Um das Produktportfolio als Systemlösung anzubieten müssen Unternehmen vertriebsseitig ein effektives industrieübergreifendes „Channel Management“ aufbauen. Zudem gilt es, schlagkräftige Allianzen mit Partnern entlang der Wertschöpfungskette weiterzuentwickeln. Mit Erfolg gekrönt werden diejenigen Player im Markt, mit modularen Lösungen, welche das Produkt mit Aspekten zur Sicherheit, Software oder Systemberatungsleistungen vereinen.

Stefan Herr ist Senior Partner und Global Head der Technology & Industrial Practice bei Simon-Kucher & Partners. Co-Autor Sascha Rahman ist Director in der Technology & Industrial Practice bei Simon-Kucher und Matthias Frahm, zweiter Co-Autor, ist Senior Director in der Technology & Industrial Practice bei Simon-Kucher.