Usability in der Industrie : "Gute Usability ist messbar in höherer Produktivität"

Die Industrie schwärmt vom iPhone-Effekt, verbesserter Usability und manche Maschinenbauer sprechen von neuer User-Experience und mehr „Spaß an der Maschine“ – was bedeutet das?

Tom Cadera Ein Unterschied dieser beiden Professionen liegt vor allem darin, dass man eine gute Usability, also Gebrauchstauglichkeit, auch ohne gutes visuelles Design erzielen kann. Darunter leidet aber dann natürlich das Nutzererlebnis, bei der das emotionale Erleben eines Produktes einer Software im Mittelpunkt steht. Die Begriffe hängen also eng zusammen und bedingen sich zum Teil gegenseitig. Zusammenfassend könnte man den Zusammenhang dieser Begriffe auch so erklären: Gutes visuelles Design und gute Usability ermöglichen eine sehr gute User-Experience (UX). Wenn man von User-Experience spricht, spielt in jedem Fall auch noch das emotionale Erleben des Produkts bzw. der Bedienung mit hinein.

Kann der Maschinenbauer gute Usability und mehr „Spaß an der Maschine“ verkaufen?

Cadera Ja, das können Unternehmen sogar sehr gut, denn gute Usability und gutes Nutzererlebnis sind messbar in höherer Produktivität, verbesserter Bediensicherheit und mehr Prozessstabilität. Das Thema Usability ist seit einigen Jahren im Maschinenbau präsent, die UX kommt bei einigen Unternehmen jetzt auch langsam an.

Warum gewinnt die Bedienoberfläche an Bedeutung, sind die Maschinen funktionstechnisch ausgereift?

Cadera Das kann ich nicht beurteilen, das ist von Unternehmen zu Unternehmen sehr verschieden, aber der deutsche Maschinenbau liefert tatsächlich in der Regel eine hervorragende Funktionalität. Ein großes Thema für die zunehmende Bedeutung von Bedienoberflächen ist die Rollenaufteilung im Maschinenbau. In der Vergangenheit gab es „eine Oberfläche für alle“. Heute fordern Maschinenkäufer individuelle Benutzertypen in der Oberfläche von der Inbetriebnahme, über die Wartung bis zum täglichen Betrieb. Dem Anwender sollten nur Informationen für seine definierte Rolle angezeigt werden.

Hört sich nach Daten-Mülltrenner an ...

Cadera Gute Usability liefert dem Maschinenbediener zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, im richtigen Format die richtigen Informationen. Diese Aufgabe gewinnt mit der Digitalisierung der Fabriken und Maschinen noch mehr an Bedeutung.

Digitalisierung ist ein gutes Stichwort. In Zukunft bedient, wartet oder beobachtet ein Mitarbeiter nicht mehr sechs Maschinen, sondern vielleicht 25 Maschinen von unterschiedlichen Herstellern.

Cadera Das wären dann 25 unterschiedliche Bedienterminals und Oberflächen. Ja, das wird schwierig und das wissen wir. Wir brauchen eine gewisse Standardisierung im Usability-Design, wenn es um Statusleisten, Menüführungen oder Betriebsarten geht, sonst funktioniert die Digitalisierung der Produktionsprozesse nicht richtig.

Im Moment macht also jeder, was er will?

Cadera Eigentlich schon, aber es existieren einige sinnvolle Konventionen, die sich aus der Consumer-Industrie ableiten und dort schon lange Standard sind.

Apple bestimmt die Usability der Maschinenbauer?

Cadera Den iPhone-Effekt kann die Branche nicht wegdiskutieren. Die Verbreitung von Smartphones und Tablets seit 2007 hat die Bedürfnisse der User stark beeinflusst. Die Interaktionsprinzipien und das in aller Regel gute Design vieler Apps erzeugte die Erwartungshaltung, dass alle Produkte heutzutage genauso einfach oder nach denselben Prinzipien bedient werden können wie die einschlägigen Mobile Devices. Das betrifft mittlerweile auch die Industrie. Auch hier haben wir vermehrt mit der Generation der Digital Natives an den Maschinen stehen.

Aber einfach wischen reicht doch nicht ...

Cadera Nein, auf keinen Fall. Wir mussten damals auch manchen Kunden ausbremsen, sich vom Coolness-Faktor zu verabschieden und die ergonomischen Bedürfnisse nicht zu vergessen. Die Industrie bemüht sich, adäquate Lösungen bereitzustellen. Dies ist allerdings technisch und wirtschaftlich deutlich schwieriger als beispielsweise in der Telekommunikationsbranche, denn wir haben in der Industrie viel geringere Stückzahlen und härtere technische Anforderungen. Gleichzeitig werden sehr lange Laufzeiten von Maschinen erwartet. Die einzusetzende Technik ist deshalb im Industrieumfeld häufig sehr viel teurer als die Technik, die – für die hohen Stückzahlen maßgeschneidert entwickelt – in einem Smartphone verbaut werden kann. In der Industrie ist man in der Regel sehr auf industrietaugliche elektronische Standard-Komponenten angewiesen. Und diese hinken dem aktuellen technischen Stand im Consumer- Bereich immer ein bisschen hinterher, sind größer und langsamer.

Trotzdem ist Webtechnologie wie beispielsweise html5 in den Bedienterminals nicht mehr wegzudenken?

Cadera Letztlich kommt diese vor allem im Frontend-Bereich zum Einsatz. Moderne Entwicklungsframeworks setzen ohnehin auf die saubere Trennung von Inhalt (beispielsweise Steuerung) und Form (etwa Benutzeroberfläche). Und einer der modernsten Ansätze ist der Einsatz von html5-basierten Benutzeroberflächen. Hier ist natürlich ein integrierter Webserver mit im Einsatz und die Interaktion an der Oberfläche muss letztlich sicher und schnell an die Steuerung (SPS) weitergegeben werden.

Aber der Druckknopf oder das Stellrad sind nicht tot zu kriegen ...

Cadera Ganz im Gegenteil – wir kombinieren moderne Softwareoberflächen mit Hardware-Bedienelementen, denn auch wenn 3D-Touch und Haptic-Feedback wichtige Impulsgeber sind, brauchen Anwendungen immer noch Druckknöpfe und Stellräder. Die Herausforderung ist, diese in eine gute Usability einzubetten und damit zukunftsfähig zu machen.

Stichwort Zukunft – brauchen Anwender für jede Maschine noch ein Bedienterminal, wenn doch sowieso Rollen definiert werden?

Cadera Ja, wir werden weniger Bedienterminals in den Fabriken sehen. Mit einem Kunden überlegen wir gerade mobile Lösungen, bei denen der Anwender sein Bedienterminal mitnimmt und an die unterschiedlichen Maschinen anstecken kann.

Das fordert Standards ...

Cadera Ja, das ist das alte Thema.

Tom Cadera studierte Industrial Design, diplomierte 1992 und gründete direkt nach dem Studium sein Würzburger Unternehmen Cadera Design. Damals waren Usability-Experten in der Regel spezialisierte Psychologen und Arbeitswissenschaftler. Zu den Kunden zählen unter anderem Audi, Bosch, Multivac, Siemens und Sick. Das Usability-Team gewann sechs Mal den German Design Award, den IF Design Award Gold und mehrere Reddot-Awards.