Logistikforschung : Grüne Überflieger

Die Drohne ist so groß wie eine Boeing Triple-Seven. Sie fasst rund 90 Tonnen Fracht und überquert in rund 30 Stunden den Atlantik. Das ist zwar deutlich langsamer als ein Frachtflug, aber mit Emissionszielen wesentlich besser vereinbar. Bereits im Jahr 2020 sollen die ersten Prototypen des US-Start-ups Natilus abheben. Und nicht weniger als eine Revolution der Interkontinentallogistik einläuten, auch aus ökologischer Sicht. Man kann sich dem Thema Green Logistics über die spektakulären Ideen annähern. Über Hochseeschiffe, die vom Wind angetrieben werden. Über gewaltige Frachtdrohnen, die Transatlantikverbindungen ressourcenschonend bewältigen. Oder auch – siehe Elon Musk – über urbane Tunnelsysteme, die den Stau in der Stadt beseitigen. Der Grünen Logistik mangelt es nicht an Ideen, doch die vordergründig spannendsten haben eines gemeinsam: Sie sind von der Umsetzung noch so weit entfernt, dass sie sich der Überprüfung ihrer Wirksamkeit noch entziehen. Daneben geschieht intensive angewandte und Grundlagenforschung – weniger spektakulär vielleicht, möglicherweise aber zielführender. INDUSTRIEMAGAZIN hat sich in der heimischen Forschungslandschaft umgesehen.

Im Fluss

Flüssigerdgas hat mehr Potenzial, als ihm viele zutrauen. Vor allem, da die Verlader es pushen.

Was wurde eigentlich aus LNG? Flüssigerdgas wurde lange Zeit als heißester Anwärter als Substitut für fossile Brennstoffe gehandelt. Vor allem ungelöste technische Hürden haben das Thema ein wenig in den Hintergrund gerückt. Gleichzeitig ist mit einer Verschärfung umweltpolitischer Vorgaben zu rechnen – und hier könnte LNG eben doch wieder in den Fkus rücken.

Das glaubt man zumindest am Logistikum in Steyr. „Auf Grund seiner gesteigerten Energiedichte und seiner ökologischen Vorteile ist LNG ein alternativer Treibstoff, der insbesondere für jene Verkehrsmittel geeignet ist, welche eine hohe Reichweite bzw. hohe Leistungsbedarfe erfüllen müssen“, heißt es seitens der Forschungsgruppe am Projekt „LiquID – Identifzierung des Marktpotenzials von Liquefied Natural Gas in Österreich“. Besonders interessant an LNG: Feinstaub und Schwefeldioxid sind im Abgas des Motors praktisch nicht nachweisbar. Und bei der Verwendung von Biomethan entsteht bei der Verbrennung auch kein zusätzliches CO2. Im Zuge der LiquID-Studie wurde das Marktpotenzial der landseitigen LNG-Anwendung in Österreich untersucht. Mit einigen interessanten Schlussfolgerungen: ■ Die Umsetzungsbereitschaft in der Logistikbranche, schreiben die Studienautoren, sei in vielen Fällen sehr stark kundengetrieben. „Das heißt, die Transportunternehmen führen Innovation erst dann ein, wenn diese aktiv von den Verladern gefordert wird.“ LNG-Pilotprojekte seien häufig von Firmen wie Coca-Cola oder IKEA getrieben. Und: Österreichische Flottenbetreiber bestätigten ebenfalls, dass sie auf Kundenwunsch LNG einführen würden. „Die Aktivierung der verladenden Wirtschaft kann daher ein effektives Mittel darstellen, um die Verbreitung LNG-betriebener Fahrzeuge voranzutreiben.“ ■ Fehlende technische Umsetzbarkeit lassen die Autoren nicht als Argument gelten, die Technologie sei bereits jetzt verfügbar und einsatzbereit. Als Beispiel heben sie den Stralis NP von Iveco hervor. ■ Und die Autoren heben hervor, dass das Thema LNG in Zusammenhang mit anderen Energielieferanten wie Biomethan aus erneuerbaren Quellen gesehen werden muss. Der Einsatz erneuerbarer Energieträger wie Hackgut oder Energiepflanzen und Gülle könne signifikante Treibhausgaseinsparungen zur Folge haben.

Platzwahl

In Steyr entsteht ein Planungstool, das bereits die Wahl des Betriebsstandortes unter ökologische Aspekte stellt.

NaLaBISta ist einerseits ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Suche heimischer Logistiker nach originellen Anagrammen. Andererseits ist die „Nachhaltigkeitslandkarte für Betriebs- & Industriestandorte“ der spannende Versuch, Grundlagen für ein Bewertungs- und Planungssystem zu schaffen, das Betriebs- und Industriestandorte unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit analysiert, bewertet und planbar macht. Für das Projekt, ebenfalls am Logistikum angesiedelt, wurden betriebswirtschaftliche Strategien und Leitziele der räumlichen Entwicklung sowie der Verkehrsplanung zusammengeführt.

Die Grundidee: Werden bei der Wahl eines Standortes von Beginn an Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt, können Güter- oder Pendlerverkehre deutlich reduziert werden. Außerdem können so Verlagerungen bestimmter Verkehre zum Beispiel auf die Güterbahn erreicht werden. Das durch NaLaBISta gewonnene Planungs- und Bewertungssystem soll in ein Geodatenmodell münden: Dabei werden Geodaten so miteinander verknüpft, dass eine räumliche Bewertung der Standorte und des Umfeldes möglich wird.

Das Folgeprojekt, NaLaBISta II, wird vermehrt die Interessen der Unternehmen einbeziehen, NaLaBISta III soll schließlich die eigentliche Prototypen-Entwicklung besorgen, die zu einem praktisch anwendbaren Planungssystem führt.

Zwischenlagerung

Können „MULEs“ die City-Logistik nachhaltiger machen? In Graz sucht man nach Antworten.

Im kürzlich abgeschlossenen Projekt MULE – „Mobile multifunktionale urbane Logistik-Plattformen mit elektrischem Antrieb“ – gehen die Forscher der TU Graz der Frage nach, inwieweit die sogenannten MULEs nachhaltige Logistik in den Städten fördern können. Die Arbeitshypothese: MULEs könnten Smart Urban Logistics auf eine neue Ebene heben, indem sie als Multi-Client- Pick-up-Stationen, Zwischenlager für Radboten, Tourenservices, die mehrere lokale intermodale Logistikknoten anfahren, und Boxensysteme, die ab der Frühspitze im Verkehr bereits an den Positionen für die Entnahme stehen, dienen.

In einem ersten Schritt wurde über Fokusgruppen und Experteninterviews ermittelt, welche Anwendungsmöglichkeiten überhaupt am aussichtsreichsten sind. Ausgewählt wurden unter anderem Kurier-Express-Paketdienste für Single- oder Multi-Client-Anwendungen, genormte Transporteinheiten für Industrie oder Handel mit einem oder mit mehreren Fahrzielen.

Der nächste Schritt: die Ausarbeitung technischer Lösungsansätze für diese unterschiedlichen Anwendungen und schließlich einer Roadmap für ihre Einführung.

Frage der Einstellung

Logistik und Psychologie können sich manchmal im gleichen Forschungsprojekt wiederfinden.

Die Belgier haben’s erfunden, und der Begriff hat sich durchgesetzt: Synchromodalität – die ressourcenschonende und optimierte Verwendung aller Verkehrsmodi – ist ein intensiv beforschtes Thema. Der Gedanke dahinter: Bestehende Transportkapazitäten sollen optimal genutzt und ein Modal Shift in Richtung nachhaltige Verkehrsträger wie Bahn oder Binnenschiff erreicht werden. Das Kompetenzfeld „Nachhaltige Verkehrssysteme“ am Logistikum in Steyr unternimmt den Versuch, die Voraussetzungen für ein solches synchromodales Netzwerk zu schaffen – aus der Sicht der Logistikdienstleister wie auch der Verlader.

Erster Schritt des bis 2020 konzipierten Projekts war eine theoretische Vorstudie, die die Erfolgsfaktoren des Konzeptes identifizieren sollte.

Mit einem spannenden Ergebnis: Es sind demnach weniger Fragen der Infrastruktur oder der Technologie, die Synchromodalität ermöglichen. Wesentlich wichtiger sind Softfacts wie Bewusstsein, Kooperation und Vertrauen sowie Akzeptanzbereitschaft bei den Akteuren entlang der Transportkette. Dementsprechend läuft das Projekt derzeit in zwei Richtungen:

■ Modal Shift: Um zu untersuchen, ob Synchromodalität in der Transportbranche Akzeptanz finden würde, werden Präferenzen und Verhalten von Logistikmanagern hinsichtlich Verkehrsträgerwahl analysiert. Zu diesem Zweck wird das Instrument „Choice Experiment“ eingesetzt, mit Hilfe dessen die Präferenzen der Befragten hinsichtlich verschiedener Transportalternativen gezeigt werden können.

■ Mental Shift: Kann durch gezielte Bewusstseinsbildung ein permanentes Umdenken angeregt werden? Und welche Ansätze können am besten dazu motivieren, sich dauerhaft mit dem Thema nachhaltige Verkehrssysteme zu beschäftigen?

Next Generation

Das Binnenschiff soll als besonders nachhaltiges Transportmittel gefördert werden. Mit prominenter Unterstützung aus Österreich.

Zu den „grünsten“ Modalitäten zählt unzweifelhaft das Binnenschiff – das seit jeher im Modalmix winzige Anteile hält. Österreichische Forscher sind Teil eines europaweiten Konsortiums, das bis 2018 daran etwas ändern will: Das Projekt PROMINENT – „Promoting Innovations in the Inland Waterway Transport Sector“ ist Teil des Horizon-2020-Programms und fokussiert auf drei Bereiche:

■ Die bestehenden Flotten sollen nachgerüstet werden, um den Anforderungen an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zu genügen.

■ Parallel dazu soll eine neue Generation von Binnenschiffen entwickelt und gebaut werden: intelligent, sauber, innovativ und an die Folgen des Klimawandels angepasst.

■ Auch die Besatzungen sollen andere werden: Der Job auf einem Binnenschiff soll ein hochqualifizierter sein, die Crews sollen sich als Logistiker verstehen, eingebunden in Abläufe jenseits des reinen Schiffstransports und vor allem ausgebildet in energieeffizienter Navigation.

Das Logistikum Steyr hat sich unter anderem auf die Fahnen geschrieben, die weitere Integration des Binnenschiff-Transports als nachhaltige Modalität in die gesamte Supply-Chain über den Weg der Ausbildung zu fördern. Entwickelt werden Lehrpläne, die das entsprechende Wissen intensiver in die Curricula einbinden.