Wachstum ohne Überdehnung : Gerald Martens, Ring Holding: „Wir sind nicht Mirko Kovats“

Gerald Martens Ralph Lanckohr Ring Holding Rembrandtin
© Waldner

Die Zentrale der Ring International Holding (RIH) residiert ganz nobel im Erdgeschoß des Wiener Palais Liechtenstein. Die historistisch-feudale Anmutung des vom Ringstraßen-Architekten Heinrich von Ferstel errichteten Gartenpalais am Alsergrund täuscht. Die fürstlichen Büromieten sind alles andere als hochherrschaftlich, lächelt Gerald Martens, Stratege im Vorstands-Duo des Mischkonzerns, der in den letzten zehn Jahren Lack- und Büroartikelfabriken und -Händler in ganz Europa aufkaufte. „Eigentlich ist das Büro zu klein, aber hier zahlen wir viel weniger als vorher in einem alten Industriebau am Stadtrand.“Sein älterer Bruder, Haupteigentümer und Aufsichtsratschef Ralph Martens zieht die Fäden im Hintergrund, tritt nur mit seinem ehrenamtlichen Engagement für die Hilfsorganisation Care öffentlich in Erscheinung. Das Konzern-Schmieden läuft mittlerweile fast wie nebenbei: Begonnen hat der ältere Martens-Bruder 2001, indem er mit von einer Handvoll vermögenden Privatinvestoren eingesammeltem Startkapital den insolventen Traditionsbetrieb Koloman Handler aufschnupfte, der Ringbuchmechaniken herstellt. Damit war die Firmenstrategie geboren, das harte Kerngeschäft der Gebrüder Martens: halbmarode Unternehmen kaufen und im Schnelldurchlauf auf Vordermann bringen.Heuer tun sie etwas Ungewohntes: innehalten und konsolidieren. „2011 ist ein Verschnaufjahr, wir haben so eine Riesenmasse verarbeiten müssen. Seit fünf Jahren hatten wir jedes Jahr ein durchschnittliches Umsatz- und Ebit-Wachstum von 30 bis 34 Prozent,“ sagt Gerald Martens. Nachsatz: „Das soll so bleiben.“ Damit es so bleibt, hat der Vorstand fürs nächste Jahr wieder drei Lack-Akquisitionen in der Pipeline. 2007 hatte RIH die Kriegskasse mit einer 50 Millionen Euro-Unternehmensanleihe und einer Kapitalerhöhung aufgefüllt; die nächste Eigenkapital-Runde steht bevor: „Wir werden definitiv Geld haben, um weiter zu übernehmen.“ Denn, darauf legt Gerald Martens Wert, Eigenkapital und Ergebnis habe man bei Zukäufen immer mitgesteigert: „Wir nehmen nicht drei Mal Risiko, ohne einen Polster zu haben. Wir sind nicht die Mirko Kovatse.“Zu seinem Job als Konzern-Stratege kam er eher zufällig: „Mein Bruder hat mich am ersten Tag der Übernahme der Koloman Handler gefragt, ob ihm da kurz helfe. Ich komme also hinein und sage: Grüß Gott, Martens. Im Besprechungsraum haben mir einige Menschen in dunklen Anzügen viele Verträge zum Unterschreiben vorgelegt, weil sie mich für meinen Bruder gehalten haben.“ Der jüngere Martens nahm es gelassen: „Ich hab’ gesagt: Das ist eh lustig, ich bleibe.“ Tiefroter Ozean.Ganz so lustig war der Anfang doch nicht. „Das Büroartikelgeschäft war ein tiefroter Ozean. Wir haben uns mit asiatischen Mitbewerbern herumgestritten, die hart in den Markt reindrängten. Ohne Position bis dort gar nirgends, wir mussten mit Rekordgeschwindigkeit auf die kritische Masse kommen.“ Also ging man auf Einkaufstour, geographische Streuung inklusive: Zur Euro-lastigen Ringbuchmechanik-Produktion kam der 2002 der US-Großhändler Bensons mit Dollar-basiertem Geschäft. Dazu kamen weitere Büroartikel-Händler und Produzenten, bis die Gebrüder Martens 2006 anstanden: „Da wollte mein Bruder aus der Commodity-Ecke heraus.“ Die Wiener Traditionslackfabrik Rembrandtin war gerade auf dem Markt, und Ralph Martens schlug zu. „Für uns war das zur Stabilisierung lebenswichtig. Rembrandtin war eines der ersten gesunden Unternehmen, die wir übernommen haben.“ Das Kaufen und Sanieren-Konzept spielten die Brüder auch in der sich neu formierenden Lacksparte durch: 2007 folgten der in die Pleite geschlitterte deutsche Pulverlackhersteller Iris (heute Rembrandtin Powder Coating) und das angeschlagene Linzer Familienunternehmen Christ Lacke. Dessen Sanierung sich lange hinzog: Erst 2010 gelang der Turnaround. Die beiden RIH-Geschäftsfelder haben unterschiedliche Zyklen – was die Krisenbewältigung erleichterte, ist Gerald Martens überzeugt. „2007/08 waren Büroartikel unter Druck und die Lacke im Ergebnis sehr solide. 2009 sind die Büroartikel wieder gut gekommen: Die Leute haben alle wie verrückt Papier abgelegt, um sich abzusichern, weil sie Angst hatten.“ Fortsetzung auf Seite 2: Mischkonzern Ring Holding: Die Zwei-Kreis-Strategie

Für die permanenten Erweiterungsrunden entwickelte das Führungstrio – Dritter im Bund ist Finanzvorstand Ralph Lanckohr – eine fixe Übernahme-Routine inklusive eigener Sanierertruppe. „Wir haben eine Zwei-Kreis-Strategie“, beschreibt Martens den Ansatz: „Der erste Kreis macht das Tagesgeschäft, der zweite die Akquisitionen. Wir haben viele junge Leute, die gleich nach dem Studium zu uns gekommen und mit uns groß geworden sind.“ Die harte Heuschrecken-Sanierungstour - rasch die Filetstücke verklopfen und den Rest zudrehen – ist nicht Firmenstrategie, beteuert Gerald Martens: „Von 14 Unternehmen waren acht bei der Übernahme kurz vor dem Wegscheiden. Jetzt schreibt keines mehr rote Zahlen.“Bei der Brautschau sind die Martens-Bürder kritisch, zielen auf vergleichsweise leicht behebbare Management-Defizite bei gesunder Substanz. „Unsere Firmen sind klassische größere KMU, fast immer Technik-lastig. Da steuert der Produktionsleiter das Unternehmen – auch wenn eine Marke dahinter steckt.“ Die Zielfirmen haben „eine tolle Produktion, aber ein schwaches Kostenmanagement, wenig Ahnung von Marketing und von konsequenter Kunden-Pflege“, beschreibt Gerald Martens seine Auslesekriterien. Das fehlende Know-how liefert RIH: „Wir sind kein Finanzverein, in dem ein paar Controller sitzen und schauen, ob alles rennt. Wir sind das Zahnrädchen, das alles scharf antreibt.“ Quer über die Geschäftssparten werden Fertigungsleiter, Prozess- und Qualitätsmanager zum gemeinsamen Optimieren verdonnert: „Die stehen dort mit der Stoppuhr und schauen, wie bewegt sich ein Mitarbeiter in der Fertigung, ist der Ablauf so richtig, ist die Maschine richtig aufgesetzt, wäre es nicht besser, wenn man Material von oben zuführt und so weiter. Nach drei Monaten schauen sie, wie sich die neuen Prozesse bewährt haben.“Die Holding sorgt für Kommunikation nach innen, „dass die Leute sich zugehörig fühlen“. Was auch nötig ist, denn unter dem Ring-Dach werden Unternehmen zusammengeführt, die einander vorher erbittert konkurrenziert haben: „Das waren Erzfeinde. Heute sitzen sie gemeinsam am Heurigentisch und schicken sich Weihnachtspackerl.“ Eine Lernkurve für alle.Funktioniert der Prozess, kann man in Europa immer noch Massengüter, wie Foliendeckel oder Aktenordner, fertigen. Bei voll automatisierter Produktion spielen die Lohnkosten in der Herstellung keine Rolle, Materialqualität und Prozesse dafür umso mehr. Deshalb fürchtet Gerald Martens auch die Konkurrenz aus China nicht: „Es schaut so einfach aus - das ist Plastikfolien, man kann durchschauen. Aber die Chinesen haben die qualitative Konstanz nicht im Griff. Da ist das Material einmal oben dick und unten dünn. Oder der Kunststoff ist milchig.“ Solche Qualitäten packt ein Großkunde wie die Deutsche Bank nun einmal nicht auf seine Geschäftsberichte und Präsentationsfolien. Die europäischen und amerikanischen Bürohandels-Vollsortimenter verlangen eine unter allen Umständen funktionierende Logistik: „Büroartikel sind ein echter Super-Commodity-Bereich, da muss man die Sachen schnell und effizient rausdonnern.“ Von der Lernkurve der Büroartikler, die mit einigen Großkunden integrative Lieferantensysteme entwickelt haben, profitiert auch die Lacksparte: „Wir ziehen dieses Know-how seit drei Jahren hinüber.“Funktioniert die Integration nicht, fackelt Martens aber auch nicht lange: Eine 2009 erworbene Verpackungslackfirma in Deutschland wurde ein Jahr später wieder verkauft, „da die Aktivitäten nicht zufrieden stellend realisiert werden konnten“, wie es im Holding-Jahresabschluss lapidar heißt. Fortsetzung auf Seite 3: Wachstumspotenzial in der Lackindustrie

Wachstumspotenzial sehen Gerald Martens und sein Lack-Chef Hubert Culik, Geschäftsführer von Rembrandtin, vor allem bei den Lacken. Sie fahren eine Nischenstrategie und versuchen so den schlimmsten Preiskämpfen aus dem Weg zu gehen. Sieben Prozent des Umsatzes werden in Forschung und Entwicklung investiert. Culik setzt dabei auf eine Verlängerung der Wertschöpfungskette nach hinten: Beim Grundstoff Kunstharz entwickelt Rembrandtin mittlerweile selbst Formulierungen. „Für die Großchemie bin ich als Kunde nur interessant, wenn ich hundert Tankwagen abnehme. Sonst machen sie mir das Produkt nicht, das ich brauche.“ In diese Richtung treiben auch Regulatorien wie Reach die Lackhersteller, weiß Culik: „Reach ist innovationsfeindlich, das wird man in Europa in fünf bis sieben Jahren spüren. Jeder Additiv- und Pigmenthersteller überlegt sich ein neues Produkt drei Mal, weil er das komplizierte Verfahren hat. Das tut man sich nur an, wenn ein entsprechendes Marktvolumen zu erwarten ist.“ Technologietransfer a la chinoise.Technologische Eigenständigkeit hilft auch im umkämpften Fernost-Markt. Seit 2009 produziert ein Rembrandtin-Joint Venture im chinesischen Tongling. „Der lokale Partner will bei jedem zweiten Treffen die Formulierung“, lächelt Culik. „Ich würde die nie mehr aus der Hand geben - in einem Jahr verkauft ihnen sonst ein Anderer, was sie selber produziert haben.“ Die Lack-Manager versuchen, den Technologietransfer a la chinoise mit Salamitaktik zu umgehen. „Das funktioniert, wenn man ein Produkt hat, das ‚desireable’ ist“, meint Gerald Martens. „Es ist eine Riesen-Show, jedes Mal mischen sich viele politische Gremien ein. Wenn man alles schiebt und hinzieht, gewinnt man Zeit.“ Bei allzu heftigem Gedrängel zieht er die Reißleine: Ein fast unterschriftsreifes Joint Venture ließen die RIH-Verhandler platzen. „Wir hätten die Minderheit der Anteile gehabt, aber die Mehrheit des Kapitals einzahlen müssen.“ Der prospektive Partner wollte sofort die Nutzungsrechte für die Marke. „Am Ende war alles Larifari, die Ware liefern wir noch immer, und sie haben unsere Formulierungen noch immer nicht.“Maike Seidenberger Zur PersonRalph Martens (48) arbeitete nach dem Jus-Studium bei der Girozentrale und für Schweizer, liechtensteinische und deutsche Banken. 2000 gründete er das E-Commerce-Unternehmen Mondealnet, das 2001 vom deutschen Konzern D.Logistics gekauft wurde. 2001 übernahm er mit anderen Investoren über die britische Gesellschaft Oxhauth Ltd. den insolventen Ringbuchmechanik-Hersteller Koloman Handler. Heute sind neben Oxhauth an RIH auch Ex-Börsevorstand Stefan Zapotocky, Ex-Girozentrale-CEO Hans Haumer, WKO-Präsident Christoph Leitl, Oberbank und Raiffeisenlandesbank Oberösterreich beteiligt. Martens ist seit Juni Vorstandsvorsitzender der Hilfsorganisation Care International.Gerald Martens (45) ist im RIH-Vorstand für Strategieentwicklung und Organisation verantwortlich. Finanzvorstand Ralph Leo Lanckohr (46) kam über seine Tätigkeit als Berater zu RIH, für die er Wachstumskapital von heimischen Banken einwarb.Ring International HoldingDer Mischkonzern mit den zwei Geschäftsfeldern Büroartikel (Ringbuch- und Hebelmechaniken, Folien) und Industrielacke (Elektroblechlacke, Korrosionsschutz, Straßenmarkierungen, Struktur-Pulverlacke) setzte 2010 206 Millionen Euro um (Büroartikel 121, Lack 85 Millionen) und erwirtschaftete ein Ebit von knapp 13 Millionen Euro. Die in Wien ansässige Holding steuert 30 Unternehmen in Europa und China (davon 12 Produktionsstätten). Der Konzern beschäftigt rund 1300 Mitarbeiter, davon etwa 300 in Österreich (Rembrandtin Lack/Wien, Christ Lacke/Linz). Büroartikel werden in Österreich nicht mehr hergestellt.