Autoindustrie : Frontalangriff auf Tesla: Volvo startet eine neue Elektromarke

Mit einer aufsehenerregenden Ansage hat Hakan Samuelsson, seines Zeichens Konzernchef von Volvo, heuer im Frühjahr dem Dieselmotor den Abschied erklärt. Ab 2019 will der schwedische Hersteller neue Modelle nur noch mit Hybrid- oder Elektroantrieben ausstatten: Volvo sagt dem Dieselmotor "Lebewohl" >>

Eine Position, mit der man derzeit viel Sympathiepunkte in der breiten Öffentlichkeit einsammeln kann - doch die neue Strategie der Schweden kommt nicht ganz zufällig. Seit sieben Jahren gehört die einstige europäische Premiummarke dem chinesischen Autokonzern Geely. Mit der Übernahme bekamen die Chinesen nicht nur jede Menge schwedisches Hightech - sie arbeiten seither auch daran, Volvo als reinen Elektroautobauer zu positionieren.

Der jüngste konkrete Schritt dazu passierte diesen Sommer. Volvo und andere Tochterfirmen von Geely vereinbarten eine Gemeinschaftsfirma, über die jedes beteiligte Unternehmen Zugriff auf die Technologie aller anderen bekommt. Anders formuliert: Der Technologietransfer nach Fernost wird damit zur Regel erklärt. Mehr dazu: Chinesen binden Volvo noch enger an Geely >>

Nun will Volvo bis 2021 fünf reine Elektroautos auf den Markt bringen. Dazu kommen mehrere Hybride, die per Stecker geladen werden und einen ergänzenden Verbrennungsmotor haben. Bis 2025 sieht das Plansoll für Volvo vor, eine Million Elektrofahrzeuge zu verkaufen: So sieht Volvos Abschied vom Verbrennungsmotor aus >>

Polestar: Völlig neue Marke mit 600 PS starker Limousine

Wohin die Fahrt gehen soll, demonstrierte Volvo diese Woche in Shanghai: Der Autobauer präsentierte dort eine gänzlich neue Marke. Sie soll so heißen wie bisher die Tuning-Tochter der Schweden: Polestar, zu Deutsch Polarstern. Unter dieser Marke produziert die chinesische Gruppe unter der Regie der Schweden in Zukunft ausschließlich elektrisch angetriebene Hochleistungsfahrzeuge.

Zeitgleich stehen auch schon die Eckdaten eines Fahrzeugs fest, mit dem Polestar den Markt der Stromer aufrollen will: Ein 441 Kilowatt oder 600 PS starkes Hybrid-Elektroauto namens "Polestar 1", das von einem Verbrennungsmotor unterstützt wird und nach Angaben des Herstellers eine rein elektrische Reichweite von bis zu 150 Kilometern bieten soll – das wäre mehr als jedes andere derzeit erhältliche Plug-in-Hybridfahrzeug.

Polestar 1: "Skalierbare Produkt-Architektur"

An der Karosserie aus Karbonfaser hängen zwei Elektromotoren an der Hinterachse, die eine gezielte Drehmomentverteilung ermöglichen und die Beschleunigung bei jedem Rad anpassen sollen.

Zu den zwei Elektromotoren mit 218 PS an der Hinterachse kommt noch ein Vierzylinder-Turbobenziner mit 382 PS über der Vorderachse dazu. Letzterer ist der Grund für die mächtigen Auspuffröhren hinten - und beweist wieder einmal, dass Hybride oder Elektromotoren keineswegs etwas mit dem Umweltschutz oder dem Kampf gegen den Klimawandel zu tun haben müssen. Mehr dazu hier: Schweizer Eliteuni: Elektroauto als Klimaretter ist eine optische Täuschung >>

Wie teuer das Auto im Handel wird, sagt Volvo vorerst nicht. Auch zum Verbrauch und den tatsächlichen Abgaswerten schweigen die Schweden vornehm - und betonen lediglich, dass "Polestar 1" ab sofort bestellbar sei.

Volvos neue Marke: Chinesische Autos mit schwedischem Image

Das schnittige Fahrzeug, dessen Frontpartie an die Formensprache mancher deutschen Sportlimousine erinnert, basiert jedenfalls auf der eigenen "skalierbaren Produkt-Architektur", wie Volvo meldet.

Während so offenbar das positive Markenimage der Schweden auf die frisch lancierte Konzerntochter abfärben soll, kann Polestar als maßgeblich chinesische Marke gelten: Die Fahrzeuge der Marke rollen ab Mitte 2019 in der chinesischen Stadt Chengdu vom Band. Dafür bauen die Chinesen gerade ein großes eigenes Werk, das nächsten Sommer fertig werden soll.

Auch die finanziellen Mittel fließen aus China: Stattliche 640 Millionen Euro stellt Mutterkonzern Geely zur Verfügung. Dafür sind bei Polestar neben Volvo auch zwei andere chinesische Tochterunternehmen der Gruppe mit an Bord.

"Ein großartiger Start für die neue Marke", schwärmt trotzdem pflichtgetreu Thomas Ingenlath, Chef von Polestar, bei der Vorstellung in Shanghai. Dass das erste Modell dieser als reine Elektromarke angetretenen Linie gar nicht rein elektrisch ist, soll das Bild nicht weiter stören.

Ingenlath, ein aus Deutschland stammender Automanager, verweist statt dessen auf die ebenfalls schon bereits geplanten Nachfolgemodelle der Marke: Den Mittelklassewagen "Polestar 2" sowie den Stadtgeländewagen "Polestar 3".

Mittelklassewagen Polestar 2 greift Tesla an seinem wundesten Punkt an

Vor allem der Mittelklassewagen "Polestar 2", der ab Ende 2019 produziert wird und zum ersten rein elektrischen Auto von Volvo werden soll, nimmt den amerikanischen Autobauer Tesla ins Visier. Konkret Teslas Mittelklassemodell "Model 3", das mit einem Endpreis ab 35.000 Dollar für den Massenmarkt tauglich sein und Tesla endlich den ersten, ersehnten Gewinn bringen soll.

Allerdings kämpfen die Kalifornier mit anhaltenden Schwierigkeiten in der Produktion - und bei ihrem selbst gesteckten Ziel, die Fertigung noch heuer auf 5.000 Stück pro Woche hochfahren zu wollen. So meldete der Medienliebling aus dem Silicon Valley vor wenigen Tagen, im gesamten dritten Quartal lediglich 260 Stück des "Model 3" fertiggestellt zu haben.

Ähnlich wie Volkswagen mit seiner Serie "ID" dürften deshalb auch die Chinesen unter Volvos Regie die Amerikaner an ihren zwei wundesten Punkten angreifen: Bei der Rendite und den optimal aufeinander abgestimmten Produktionsabläufen. Denn dass die Schweden schon immer besser Autos gebaut als Werbekampagnen an der Börse geführt haben, brauchen sie niemandem zu beweisen.

Völlig neue Wege beim Vertrieb: Das eigene Auto soll verschwinden

Wirklich neue Wege geht Polestar allerdings nicht bei seinen Motoren, sondern bei dem geplanten Vertriebskonzept. Vereinfacht gesagt: Mit der Abkehr vom Verbrennungsmotor will sich Volvos Firmentochter auch radikal von der Idee verabschieden, dass die Autofahrer der Zukunft ihr Auto selbst besitzen wollen.

Statt dessen sieht das Konzept vor, dass die Fahrzeuge komplett im Internet bestellt und für zwei oder drei Jahre gemietet werden sollen. Statt einer größeren Summe beim Kauf werden monatlich Raten fällig. Eine Anzahlung sei nicht mehr notwendig, so der Hersteller.

Auch der gute alte Autoschlüssel soll den Plänen zufolge in Zukunft ausschließlich aus Einsen und Nullen bestehen. Bei Volvo meint man, dieser rein virtuelle Datensatz lasse sich dann über das Smartphone auch an Dritte, etwa an einen Freund bei der Heimfahrt, weiterreichen.

(pm)

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