Wertschöpfungskette : Flextronics: Fließender Wechsel

Siegfried Baumann Flextronics
© Helene Waldner

Eine Bilderflut. Die erwartet Besucher im beschaulichen Althofen. Unzählige Elektronikkomponenten, darunter acht bis zehn Millionen GPS/GSM-Module, stellt das Kärntner Flextronics-Produktionswerk im Jahr her. Auf Rohprintplatten bringen Maschinen die Leitpasta auf, ein paar Meter weiter werden die Komponenten gesetzt. In Heller-Öfen verschmelzen die Teile dann bei Temperaturen von 260 Grad – ehe Tester die Qualität prüfen. Ein wenig ähnelt das einer Rutschbahn – automatisch gelangen die Teile von Station zu Station. Produktionschef Siegfried Baumann weiß: Für Außenstehende ein ziemliches Faszinosum. Aber auch selber ertappte er sich zuletzt immer öfter bei stillen Momenten der Bewunderung. Denn die Ausschläge an den Beschaffungsmärkten sind für die Fertigung der Kärntner kein Problem – dank eingeführter Wertstromanalysen. „Sie spüren es sofort“, so Baumann verheißungsvoll: „Es herrscht eine unglaubliche Ruhe in der Produktion.“Blütezeit. Und das, obwohl der Kärntner 800-Personen-Betrieb – im EMS (Electronic Manufacturing Service Provider)-Bereich führend – zuletzt die Gangart verschärfte. In den letzten acht Jahren, rechnet Produktionschef Baumann vor, habe sich das Volumen im Bereich der GPS/GSM-Module für Handy-Ortungssysteme und Breitband-Datenübertragung „verfünfzigfacht“. Hier gehts weiter

Selbst im Krisenjahr 2009 hatte der Betrieb im Automotivbereich trotz konjunktureller Turbulenzen keine Rückgänge zu verkraften. Die Module fanden in fast allen Branchen reißenden Absatz. Die Zukunft? Sieht in manchen Segmenten offenbar sehr rosig aus. „Wir rechnen mit Wachstumsraten bis zu zwanzig Prozent“, so Siegfried Baumann. Doch wie es auch kommt: Die Kärntner müssen mit den Aufs und Abs auf den Märkten zurechtkommen. Die sind zur Normalität geworden. Zwar kommen die GPS/GSM-Module in über hundert verschiedenen Produkten zum Einsatz – „so federn wir wirtschaftliche Risiken ab“, weiß Baumann. Doch die planerische Unsicherheit bleibt. Was die Situation erschwert: Der Kunde gibt heute den Takt vor. Kurzfristige Änderungen sollen sofort in die Produktionssteuerung einfließen, auch das Lager muss jederzeit hochschalten können. Was der Kunde nämlich nicht hören will: „Dass wir 60 Lieferanten mit teils Lieferzeiten bis zu 26 Wochen haben“, so Baumann. Ausnahmen als RegelVor zwei Jahren krempelte der Betrieb deshalb die Ärmel hoch. „Der Schmerz war damals am Höhepunkt“, sagt Produktionschef Siegfried Baumann. Er bietet alle Kräfte auf, die Flextronics-Lieferkette seit 14 Jahren straff zu halten. Und ließ sich einiges fürs Werk einfallen. Die erste Lektion: Der Kunde ist König. Flexibilitätsvereinbarungen werden nun viel lockerer gesehen. „Wir erfüllen weit mehr als eigentlich unsere vertragliche Verpflichtung ist“, erklärt Wertstrom-Manager Martin Schlintl. Sein Beispiel ist gut: Will der Kunde kurzfristig deutliche Liefermengenänderungen durchsetzen, drücken die Kärntner heute ein Auge zu. „Wir ziehen uns nicht mehr aufs Vertragliche zurück“, so Schlintl. Die Erfahrung des Wertstrom-Managers lehrt, dass sich ein höheres Maß an Großzügigkeit bezahlt macht. Seit der Betrieb solche Ausnahmen großherziger handhabt, „sei die Zusammenarbeit viel harmonischer“, beobachtet er. Siegried Baumann nickt. Zugleich stellte der Betrieb mit viel Esprit ein Wertstromsystem auf die Beine. Nimmt der Kunde 30.000 Stück ab, werden sie nicht mehr in einem Schwung geliefert. Es gibt jetzt einzelne kleinere Tranchen – „so erzeugen wir Ströme, die in der Fertigung und im Lager deutlich besser zu managen sind als große Brocken“, schildert Produktionschef Siegfried Baumann. Auch beim Kunden büßt man so nicht an Glaubwürdigkeit ein – im Gegenteil: Er muss mit kleineren Beständen arbeiten, „wenn wir tagesaktuelle Mengen liefern“, sagt Baumann. Ein Aspekt, den er unbedingt am heurigen Logistiktag in Linz ansprechen will. Vielsagender Vortragstitel: „Wettbewerbsdifferenzierung durch effektive Lean Supply Chain Collaboration“. Hier gehts weiter

Wie so oft werden bei Flextronics auch Mitte April gerade die Bereiche Produktion umgemodelt. Je nach Serie adaptiert der Betrieb die Layouts der Linien – so spart man wertvolle Meter ins Lager. Der Betrieb konnte so seine Durchlaufzeiten spektakulär von einer Woche auf einen Tag verkürzen. Dank eines Milkrun-Konzepts sind Werkzeuge und Vormaterialien nun schneller am Arbeitsplatz. Und auch 14-tägige Forecasts sind seit geraumer Zeit passé: „Wir verkürzten auf wöchentliche Prognosen, die auch den Mitarbeitern im Lager und in der Produktion „das Leben erleichtern“, schildert Wertstrom-Manager Martin Schlintl. Aktionen, die der Kunde natürlich begrüßt – wie auch Forecast-Feedback-Calls. „Der Kunde darf jederzeit in unser Planungstool schauen“, erklärt Schlintl. „Diese Transparenz schafft Vertrauen“, so Wertstrom-Manager Martin Schlintl. Nur ein Viertel arbeitet mit dem "Instrument Kooperation"„Viele reden über das Toyota-System und setzen Maßnahmen“, beobachtet Franz Staberhofer, Studiengangsleiter an der FH Steyr und Vorstand des Vereins Netzwerk Logistik. Dabei würden sie aber eins vergessen: „Offenheit“. Kooperationen sind eine Möglichkeit, Kosten einzusparen, weiß man auch bei der Wirtschaftskammer. „63 Prozent unserer Befragten sprechen von Einsparungen bis zu zehn Prozent“, schildert Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr. Nur ein Viertel arbeite allerdings „mit dem Instrument Kooperation“, so Klacska. Jürgen Hess, CEO der Miebach Consulting Gruppe, sekundiert: Vielen würde es schwerfallen, „Vertrauen aufzubauen“. WorkshopsDas Problem gibt es in Althofen nicht. Regelmäßige Workshops mit Kunden und Schlüssellieferanten – etwa dem Printplattenhersteller Multek – sind gut eingeführt. Lieferanten müssten jetzt zwar schneller liefern – aber sie werden mit kleineren Liefermengen und besserer Planbarkeit entschädigt. „Jeder gewinnt“, meint Produktionschef Siegfried Baumann. Franz Staberhofer, Vorstand des Vereins Netzwerk Logistik, gefällt dieses Denken. Betriebe müssten lernen, „nicht nur in Produkte, Märkte, Maschinen und IT zu investieren“, sagt er. Sondern auch „in Kooperationen“, so Staberhofer. Freilich: Wer nicht mitzieht, hat es bei den Kärntnern schwer. Der Elektronikbetrieb will seinen Lieferantenpool demnächst verkleinern – alles muss ja im Fluss bleiben. Wie Mitte April auch in der Medizintechnik-Produktion der Althofener zu sehen ist. Im Reinraum entstehen dort elektronische Injektionsgeräte im handlichen Handyformat. Patienten können sich so selber Medikamente verabreichen. Minimale Bestände und flexible Montagestationen sind auch hier längst umgesetzt. Und für hüben wie drüben gilt: Es herrscht eine unglaubliche Ruhe. Bilderflut inklusive. Daniel Pohselt