Effizient wachsen : Erschöpfungsakt

Rudolf Vogl Produktionsleiter KBA-Mödling
© Helene Waldner

Lob in der Branche muss man sich erst einmal verdienen. Mitte April heimste der Reibbelagshersteller Miba Frictec gleich eine ganze Menge davon ein. Zahlreiche Produktionsexperten führte die Benchmarktour des Kaizen Institute Austria in die Produktionshallen der Oberösterreicher – ein intimer Besuch, der Begeisterung auslöste: „Die Konzepte zur Prozessverbesserung hier sind großartig“, staunte ein Teilnehmer, der sich auf Anhieb ins Miba-Konzept der „Produktkliniken“ verliebte. Die Produkte des Belägeherstellers werden dabei entlang der Wertschöpfungskette analysiert und Optimierungspotentiale übersichtlich in einem „morphologischen Kasten“ dargestellt. „Brillant“, befand ein anderer Teilnehmer. Doch es gab an diesem Apriltag nicht nur Beifall. Den Produktionsprofis fiel auch etwas anderes auf: Nach zähen Krisenmonaten, die auch an den Oberösterreichern nicht spurlos vorübergingen, brummt der Motor wieder. Durch die Übernahme des Off-Highway-Reibbelag-Geschäfts von Hoerbiger steigen die Kapazitäten zusätzlich, 80 Mann wurden zuletzt ins Unternehmen integriert. Das erleben die Besucher an diesem Tag hautnah. Zu hohe Bestände an der Linie, schlampig beschriftete Behälter, übervolle Schubladen entlarven die Experten sofort. Kaizen-Institute-Austria-Chef Manfred Pfeiffer sieht deutliches Potenzial: „Um die Effizienz im Werk noch weiter zu steigern, müssten jetzt wieder die Basics trainiert werden.“Abfuhr für On-off-BeziehungenDa spricht aus Pfeiffer, einem Mann mit markantem Walrossbart und umfangreichem Kursprogramm, nicht etwa seine Krämerseele. „Unser Eindruck, dass unser Wachstum etwas zulasten der klassischen 5SThemen ging, hat sich bestätigt“, räumt FIP-Koordinator Thomas Pesendorfer von Miba ein – und gelobt Besserung. 2011/12 war für Miba das beste Jahr der Geschichte. „Wir konnten unsere Position in technologisch anspruchsvollen Nischen sichern und ausbauen“, so Vorstand Peter Mitterbauer. In zwei Geschäftsjahren ist der Betrieb um 90 Prozent gewachsen. Der Konzernumsatz kletterte zuletzt um 35,6 Prozent auf 592,6 Millionen Euro.Hier gehts weiter

Auch andere Betriebe haben volle Auftragsbücher: Die Steyrer Gießerei-Gruppe SLR will heuer 60 Millionen Euro umsetzen. Im ersten Halbjahr produzierte der Betrieb 12.000 Tonnen Gussteile – „ein Plus von 15 Prozent“, so Firmenchef Alois Obermair. Doch sind Workshops und Optimierungsprogramme wie die 5S-Arbeitsplatzgestaltung in Zeiten höchster Maschinenauslastung plötzlich ein Auslaufmodell? Geraten Themen wie Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit ins Hintertreffen? Alfred Hutterer, Chef des Paschinger Biegemaschinenherstellers Trumpf Maschinen Austria, würde das nachdenklich stimmen. Seine Erfahrung lehrt ihn, dass die Ordnung bei hoher Auslastung „am größten sei“. „Notwendige Maßnahmen wegen voller Auftragsbücher in unbekannte Ferne zu schieben, ist gefährlich“, warnt auch Jürgen Minichmayr, Geschäftsbereich Produktions- und Logistikmanagement bei Fraunhofer Austria. INDUSTRIEMAGAZIN hörte sich bei Industriebtrieben über deren Erfahrungen im Aufschwung um – fast jeder sieht die kontinuierliche Verbesserung als Überlebensfaktor.Auszeit als UntugendProzessoptimierung nonstop – so ließe sich etwa die Strategie der Maria Enzersdorfer Maschinenfabrik KBA-Mödling umschreiben. Im Vorjahr krempelten die Niederösterreicher ihre komplette Montage um. Mit seiner getakteten Fließfertigung baut der Hersteller die Aggregate für Bogenoffsetdruckmaschinen im Mittelformat nunmehr „um ein gutes Fünftel schneller zusammen“, schildert der Technische Leiter Rudolf Vogl. Zugleich behalten die Niederösterreicher auch die sieben Arten der Verschwendung – Transport, Bestände, Bewegung, Warten, Überproduktion, falsche Prozesse, Defekte – im Auge. Und das Thema 5S. „Das Thema ist ein Dauerthema und gehört – unabhängig von den Kapazitäten – „zu den Basics in einem Produktionsunternehmen“, meint Vogl. Jetzt, wo sich im Segment Wertpapier „die Auftragsbücher füllen“, schalte man keinen Gang zurück – im Gegenteil: „Wir verschanzen uns nicht hinter der vielen Arbeit“, so der Produktionsleiter. Stattdessen gebe es eine Menge 5S-Aktivitäten. Kaizen-Institute-Austria-Chef Manfred Pfeiffer hält von einem mehrmonatigen Päuschen im Aufschwung ebenso wenig: „Extrem demotivierend für die Belegschaft“, sagt er. Mit demselben Motivationsprogramm komme man hinterher „nicht mehr hoch“, beobachtet er. Zizala-COO Wolfgang Vlasaty sekundiert: Man müsste dann das Programm „komplett neu verpacken“. Lieber forciert der Autozulieferer In Wieselburg wegen seiner Personalaufstockung und vieler neuer Serienanläufe (siehe auch Seite 50) seine Bemühungen beim Thema Produktionsoptimierung: „Wir haben einstündige Jourfixe-Meetings jede Woche eingeführt“, so Vlasaty.Gleitzeitkonten für 5S-AuditsEin Preisniveau, das nach Ende der Konjunkturkrise 2008 bleischwer im Keller blieb: Das verband den Bad Goiserner Automobilzulieferer Hoffmann zuletzt mit anderen aus der krisengebeutelten Autobranche. Deshalb optimierten die Oberösterreicher zuletzt die Produktion von jährlich rund 350 Millionen Kohlebürsten für Starter. Je beanspruchter die Organisation wegen hoher Auslastung, umso „organisierter muss sie arbeiten“, sagt Fertigungsleiter Rudolf Posch. Da meint er natürlich seinen eigenen Betrieb, wo die Auftragsbücher voll sind. 5S-Maßnahmen jetzt sanft einschlummern zu lassen, sei für Posch der falsche Weg. „Sie lassen sich nicht einfach ein- und ausschalten.“ Wie der Betrieb gleichzeitig auf hohem Niveau produziert und ausbildet? „Wir nehmen uns einfach die Zeit für KVP-Meetings und 5S-Audits“, stellt Posch klar. Und zwar rigoros: Überzeiten buche der Betrieb vorerst auf Gleitzeitkonten. Posch: Man nehme in Kauf, „das Guthaben bei anhaltender Vollauslastung später mit Überstundenzuschlag auszuzahlen“.Daniel Pohselt