Finanzmärkte : Brexit löst an den Börsen weltweit Schockwellen aus

Schwarzer Freitag an den Börsen: Mit Panikverkäufen reagierten Anleger rund um den Globus auf die Entscheidung der Briten für einen Ausstieg aus der EU. Aus Angst vor einer Wirtschaftskrise auf der Insel und einer Abkühlung der Weltkonjunktur rauschten die Aktienindizes zeitweise um mehr als zehn Prozent in die Tiefe. Das Pfund Sterling rutschte in der Spitze um elf Prozent.

"Allen voran wird das Vereinigte Königreich unter der Entscheidung leiden", sagte Björn Jesch, Leiter des Portfoliomanagements bei der Fondsgesellschaft Union Investment. "Für Kontinentaleuropa ist es ebenfalls ein Schock. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen droht ein institutioneller Dammbruch, denn auch in anderen Ländern dürfte die Austritts-Diskussion an Fahrt gewinnen."

Bis zum Nachmittag fiel der DAX um 6,7 Prozent auf 9.565 Punkte, der EuroStoxx50 verlor 8,5 Prozent. Vergleichsweise glimpflich kam die Londoner Börse davon: Der Londoner "Footsie" rutschte um 3,8 Prozent ab. In der Spitze war auch er um über acht Prozent eingebrochen. An der Wall Street fielen der Dow-Jones - und der S&P500 -Index um je drei Prozent.

Nach Schätzung von DZ Bank-Analyst Christian Kahler lösten sich durch den aktuellen Crash weltweit fünf Billionen Dollar an Börsenkapitalisierung in Luft auf. Das entspricht in etwa dem Doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung Großbritanniens.

Panische Investoren waren zu Handelsbeginn nicht nur aus den Aktien und dem Pfund, sondern auch aus dem Euro geflohen, der zeitweise um vier Prozent abstürzte - so stark wie noch nie in seiner Geschichte. Die Kursturbulenzen riefen die Notenbanken auf den Plan, allen voran die Schweizer, die mit Interventionen den Euro zum Franken stützte. Der Euro fiel um bis zu fünf US-Cent auf ein Dreieinhalb-Monats-Tief von 1,0914 Dollar, erholte sich am Nachmittag aber etwas und lag bei etwa 1,1050 Dollar.

Für viele Börsianer war der Schock über den Ausgang der Volksabstimmung so groß, da sie zuletzt eher auf einen EU-Verbleib gesetzt hatten. In der Nacht war das Pfund noch auf ein Jahreshoch von über 1,50 Dollar gestiegen, ehe entsetzte Anleger die Flucht ergriffen und den Wechselkurs bis auf 1,3232 Dollar drückten - und damit auf das Niveau von 1985. Der britischen Wahlbehörde zufolge stimmten schließlich 52 Prozent der Wähler für einen Brexit.

Besonders nervös waren die Anleger in Südeuropa, wo die EU und die Euro-Zone ebenfalls nicht hoch im Kurs stehen: Die Börsen in Mailand und Madrid steuerten mit einem Minus von jeweils mehr als zehn Prozent auf die größten Tagesverluste ihrer Geschichte zu. Bei den Parlamentswahlen in Spanien am Sonntag könnte das EU-kritische Linksbündnis Podemos Zulauf bekommen und damit Spekulationen auf den Austritt weiterer Länder auslösen, fürchten Börsianer. In Italien war zuletzt bei Kommunalwahlen die Protestpartei Fünf Sterne im Aufwind. Im Oktober stimmen die Italiener über eine Verfassungsreform ab.

Gefragt waren an den Finanzmärkten vermeintlich sichere Anlagen wie Gold und Staatsanleihen. Das Edelmetall verbuchte mit einem Aufschlag von bis zu 8,2 Prozent auf ein Zwei-Jahres-Hoch von 1.358,20 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) den größten Kurssprung seit 2008. Der Run auf Staatsanleihen drückte die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe auf ein Rekordtief von minus 0,17 Prozent.

Am Aktienmarkt warfen die Anleger vor allem Finanzwerte aus ihren Depots. Es sei unklar, wie die Geldhäuser mittelfristig von dem Brexit betroffen würden, sagten Analysten. Firmen aus der Finanzbranche hängen besonders von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Die Aktien der italienischen Großbanken Intesa SanPaolo und Unicredit, der spanischen Santander, der britischen Royal Bank of Scotland (RBS) sowie von Lloyds stürzten um je mehr als 20 Prozent ab. Deutsche Bank und Commerzbank büßten gut zehn Prozent ein.

Spekulationen auf einen Rückgang des Tourismus drückten die Aktien von TUI und Thomas Cook um zehn und 16 Prozent. Auf Sinkflug gingen auch die Aktien britischer Fluggesellschaften, die besonders vom freien Zugang in der EU profitiert hatten. So kassierte die British-Airways-Mutter IAG die Gewinnprognose für dieses Jahr ein und schickte damit die Aktien um über 20 Prozent ins Minus. (reuters/apa/red)