Blog : AtomExpo 2018: Neulich bei den Elementarteilchen-Verstehern

Montag, 14. Mai 10:00 Uhr: From Sotchi with Love

Warum bin ich hier? Diese elementare Frage stellen sich nicht nur Philosophen - und Gymnasiasten bei der Deutschschularbeit. Warum bin ich gerade hier? Diese Frage stellt sich auch mir. Vielleicht bin ich hier weil ich den "beliebtesten Bade- und Kurort Russlands", wie Wikipedia zu berichten weiß, "wo neben Sand- und Kiesstränden, subtropischen Vegetation, Heilquellen und eine extravagante stalinistische Architektur lockt" gesehen haben will. Obwohl: Viel zu sehen gibt es hier, im olympischen Städtchen in Sochi, nicht. Kein Strand, keine subtrobische Vegetation - und die Architektur ist später 2010er Putinbarock.

Eingeladen hierher hat mich RusAtom, die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands, die auch einen Teil der Kosten für diese Pressereise übernahm. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich RusAtom damit wohlwollende (oder überhaupt) Berichterstattung erkauft. Womit wir beim Hauptgrund wären, warum ich hier bin: Die AtomExpo 2018 - die nach eigenen Angaben weltweit größte Messe für Technologien zur friedlichen Nutzung von Kernenergie.

Kann man, nach Fukushima, Tschernobyl oder Mayak überhaupt gute Argumente für die Nutzung von Kernenergie finden? Kann man, angesichts der durchaus spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, diese völlig emissionslose Methode der Energiegewinnung komplett abschreiben? Ist es informierte Ablehnung gegenüber Kernenergie, die mich mein Leben lang begleitet hat? Denn um noch einmal zur elementaren Eingangsfrage zurückzukommen: Ich bin hier, weil ich ein Kind der Zwentendorf-Generation bin.

Meiner Volksschullehrerin habe ich in einer Gruppendiskussion im Herbst 1977 stolz erklärt, meine Mama stimme für mich mit "Nein", denn "wenn Zwentendorf irgendwann in die Luft fliegt, fliegt auch Wien in die Luft". Seit Jahrzehnten hat sich an dieser Einstellung nichts geändert. Zeit für einen Reality-Check. Ob ich überzeugt werde? Die Liste der Ansprechpartner ist vielversprechend - wie auch die Themen. Schon mal von "Accident tolerant Fuel" gehört? Ich auch nicht. Offenbar der neue heiße Scheiß im Atomkraftbusiness. Soll das Zeug haben, Fukushima zu verhindern. Sind zumindest die Macherinnen überzeugt, die hier gerade am Podium sitzen.

Montag, 14. Mai, 11.15 Uhr: "So genannte 'ökologisch Bewegte'"

Wer hätte das gedacht? „Das größte Problem für die Kernenergie-Branche weltweit ist das billig produzierte Schieferöl und Schiefergas aus den USA“ sagt Henri Proglio (4.v.l.), Chef des Internationalen Expertenkomitees von Rosatom. „In den USA investiert niemand Atomkraft – nicht nach den desaströsen Verlusten mit den Projekten, die noch immer in den Büchern der Banken sind“.

Osteuropa macht der Branche Freude: „Die öffentliche Meinung in Europa, vor allem in Osteuropa, hat sich in den letzten Jahren stark zu Gunsten der Kernenergie gedreht“ sagt Andrii Gritsevskyi (2.v.l.) Chef der Analysten-Abteilung der Internationalen Atomenergieagentur IAEA.

Was auffällt: Der wirkliche Hoffnungsmarkt der Atomindustrie scheint Afrika zu sein. Jede Menge Kollegen aus Afrika – und Besucher und sogar Aussteller, hier auf der Bühne Lubinda Haabazoka von der Universtität Sambia, der anlässlich einer Vertragsunterzeichnung gekommen ist.

Wenn Forschung und Planung ein Indikator dafür ist, wie es einer Branche geht, dann scheint Atomenergie „alive and kicking“. Die große Zukunftshoffnung der Branche: So genannte kleine und mittlere, mobile Atomkraftwerke. Derzeit wird gerade eines nach Murmansk verschifft: Nicht stationär gebunden, gibt es Energie für 55.000 Haushalte mit Brennstäben, die wohl 12 Jahre halten. Was danach passiert? "Dann muss das aufgearbeitet werden" so die Antwort von der Bühne. Eigentlich eine Steilvorlage für Atomkraftgegner oder „so genannte ökologisch Bewegte“ wie sie Andrii Gritsevskyi gerade nannte.

Montag, 14. Mai, 14.56: "Keep calm and build nuclear Reactors".

Sagen Sie Hallo zu Christian Vega. Er ist Aktivist einer südamerikanischen Umwelt-NGO namens "Argentinian Youth Nuclear Generation". Zugegeben, Varga und der Claim seiner "Organisation" mutet selbst im Setting der AtomExpo 2018 etwas schräg an. Aber er sagt auch Sachen, wie diese: "Reiche Länder können wählen, ob sie Atomkraft wollen. Arme Länder können das nicht. China bringt mit jedem Atomkraftwerk eine Million Menschen aus der Armut. Ist es nicht ziemlich arrogant von euch, eure Standards an Entwicklungsländer anzulegen?"

Montag, 14. Mai, 15:30: Dunaszentbenedek wil eine Brücke

Attila Aszodi ist Staatssekretär für die Entwicklung des Atomkraftwerks Paks in Ungarn. Von Ängsten der Bevölkerung weiß er nicht zu berichten. Von den Einwohnern von Paks ohnehin nicht, die würden sich über Arbeitsplätze und Infrastruktur freuen. Und auch von den Nachbargemeinden nicht. MIt Ausnahme der Bürger von Dunaszentbenedek. Deren Anliegen: Sie wünschen sich eine Brücke - damit auch sie eine Chance haben, am Wohlstand der Pacser teilzuhaben. Ohne diese müssten die Dunaszentbenedeker - am anderen Flussbett der Donau - rund 40 Kilometer einpendeln. Ähnliches weiss Kirill Komarov, Vizedirektor von Rosatom zu berichten: In Russland ist die Aktzeptanzrate von Kernenergie im Durchschnitt bei rund 70 Prozent, in den Gegenden wo sich Atomkraftwerke befinden, sehen jedoch mehr als 90 Prozent der Bürger "die Entwicklung der Nuklearindustrie positiv".

Montag, 14. Mai, 16:10: Der Fukushima-Run

Eine Lektion in Message-Control findet gerade im blauen Saal statt: Die Diskussion "Harmony in Public Acceptance" leitet der Moderator wie folgt ein: "In der öffentlichen Debatte sollten wir nicht mehr über Sicherheit reden. Denn das impliziert Unsicherheit. Wir sollten über die Vorteile der Kernenergie reden. Wir sollten die öffentliche Meinung mit positiven Bildern besetzen" sagt Ben Heard, Gründer und CEO der australischen Umwelt-NGO Bright New World (Bildmitte). Bilder, die er gerne öfter gesehen hätte, wie er später verrät: Jene vom Charity-Marathon, der zuletzt am Kraftwerk Fukushima vorbeigeführt hat. Da haben offenbar Top-Sportler aus Japan teilgenommen - und gar nicht wenige.

Montag, 14. Mai, 16:10: „Wir werden nie wieder unvorhersehbares in Reaktoren erleben“

An so genanntem „Accident Tolerant Fuel“, also Brennstäben, die in Atomunfälle unmöglich (oder zumindest ziemlich unwahrscheinlich) machen sollen, forscht Alexander Ugryumov (im Bild links). Der Mann ist R&D Chef von TVEL, einem russischen Unternehmen. Erste Versionen dieser Brennstäbe seien in Probereaktoren, noch heuer soll einer der neuen Brennstäbe in einen regulären Reaktor in Russland eingebaut werden. Fertige Produkte für Atomkraftwerke in Westeuropa will man ab 2022 anbieten können. Bei den technischen Details verstehen Nicht-Materialforscher völlig Bahnhof: Zirkonium, ein Chrom-Nickel-Molybdän-Kompositum und ein Uranium-Molibdän-Komposit-Interieur soll im Falle eines schweren Vorfalls die Hydrogen-Emission dramatisch reduzieren damit die gefürchteten Kettenreaktionen vermeiden, die in Fukushima oder Tschernobyl zur Katastophe führten. „Wir werden nie wieder unvorhersehbares in Reaktoren erleben" verspricht Ugryumov.

Dienstag, 15. Mai, 11:10: Unterschriften im Minutentakt

Dienstag, 15. Mai, 13:45: Was kostet Atomkraft wirklich?

Wer die Castor-Transporte von deutschen Atomkraftwerken zu den Zwischenlagerstätten in Frankreich im Kopf hat oder an die endlosen Diskussionen über Endlagerstätten in Europa denkt, kann sich vorstellen, wie hoch die Gesamtkosten für Nuklearenergie wirklich sind. Die Kosten über die gesamte Lebensdauer (Total Cost of Ownership) sind einer jener Punkte, über die Informationen hier auf der AtomExpo Mangelware sind.

Darüber, wie teuer die reinen Infrastrukturprojekte sind, referieren jedoch Experten, wie zum Beispiel Oscar Mignone, Mitarbeiter der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, mit Sitz in WIen. Er sagt, was allgemein bekannt ist: Große Infrastrukturprojekte aller Art sind heute schwerer umzusetzen als noch vor Jahrzehnten, weil Umweltverträglichkeitsprüfungen, Anrainermitsprache und behördliche Abnahmen mit immer höheren Standards die Umsetzung verzögern. Noch größer muss man sich die Hürde jedoch beim Bau von Atomkraftwerken vorstellen, sagt Oscar Mignone, Experte der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. „Internationale Lizensierung und die Abnahme der Anlagen durch staatliche Stellen machen Kostenüberschreitungen zur Normalität. Kraftwerksprojekte überschreiten fast immer die Kosten der Konstruktion, trotz umfassender Planung oftmals zwischen 100 und 200 Prozent“ so Mignone.

Dienstag, 15. Mai, 15:45: Fett gedruckt und rot markiert

Großer Auftritt: In unserem Tagesprogramm ist dieser Event fett gedruckt und rot markiert – und wer sich gerade im Pressebereich befunden hat, konnte gar nicht anders, als sofort in die große „Briefing Hall“ zu marschieren: Denn hier findet jetzt die Pressekonferenz des stellvertretenden Rosatom-Vorstandschefs Kirill Komarov statt. Es geht um Rosatoms Geschäftsmodell, die weltweiten Marktanteile und die Zukunft der Branche.

Dienstag, 15. Mai, 16:25: Kommt 2050 ein Viertel des globalen Stroms aus Atomkraftwerken?

Jede Menge Häme kommt von Komarov für die deutsche Atomwende. „Lächerlich“ sei die Entscheidung, auf Kernkraft zu verzichten – angesichts der engen Verflechtung der westeuropäischen Netze; „teuer“ sei sie für Kosumenten und Industrie. Und, dass der CO2-Ausstoß steigt, wenn man Atomkraftwerke ab- und Kohlekraftwerke aufdreht, verstehe sich von selbst, sagt der stellvertretende Rosatom-Vorstandschef Kirill Komarov.

Für die globale Zukunft des Atomstroms ist Komarov optimistisch: Bis 2050 soll von der Branche Kraftwerke mit Kapazitäten von 1000 Gigawatt neu gebaut werden, vor allem in Asien, Südamerika und Afrika. Das wären dann 25 Prozent der gesamten, weltweiten Energiekapazität. Fun Fact: 2050 ist von heute so weit entfernt wie das Jahr 1986. Jenes Jahr, in dem der Reaktor von Tschernobyl explodierte.