Forschung : 5 Thesen zum Forschungsstandort Österreich

Nein, er wolle bestimmt nicht schwarzmalen. Es gebe mit Blick auf den Forschungsstandort Österreich auch einiges sehr Positives zu vermelden, sagt der Uniforscher. Die Zeiten für Auftragsforscher sind gut: Der Zustrom an neuen Projekten hält an, auch befeuert durch die gute Auftragslage und Innovationslust der Industrie. Härter aber, so empfindet er es, werde der Kampf ums Forschungspersonal. Und für Grundlagenforschung gebe es immer noch zu wenig Geld. „Der FWF ist schlichtweg unterdotiert“, sagt der Wiener Forscher. Die Ansichten und Meinungen zu Stärke- und Schwächefeldern des Standorts gehen bekanntlich auseinander. Tendenzen lassen sich aber aus Gesprächen ableiten. Fünf Thesen zum Forschungsstandort Österreich.

These 1: Digitalisierung lässt die Ideen sprudeln

Österreichs Unternehmen gehen die Ideen nicht aus. Statt der sanften Produktoptimierung denkt man heute aber radikaler – der Digitalisierung sei Dank. Österreichs Betriebe sind nicht immer nur Nischenkaiser mit engem Fokus. Auch bei den großen Themen wie dem autonomen Fahren forschen sie fleißig mit. Ein solches Projekt mit letztlich sogar gesellschaftspolitischer Tragweite hat die steirische Wollsdorf Leder. Sie arbeitet mit Joanneum Research und steirischen Hochschulen an der Materialzukunft autonom fahrender Autos und Elektro-Fahrzeuge. Durch die Arbeit am Projekt Smart Leather Services wollen die Steirer mittels sensorisierter Produkte – etwa einem Lederlenkrad oder -sitz – die Möglichkeiten der Fahrererkennung um eine Dimension erweitern. Auch Schaltelemente sollen, so Wollsdorf Leder-Chef Andreas Kindermann, künftig direkt im Leder zu finden sein: Die nur etwa fünf hundertstel Millimeter starken Schalter könnten in der obersten Lederschicht verbaut sein. Echte Feintechnologie. Kindermann aber weiß: Auch hinter dem Lenkrad könnte künftig kein Stein auf dem anderen bleiben – Stichwort Sharing-Ökonomie.

Chips für autonomes Fahren

Mit disruptiven Technologien befasst sich auch der Villacher Halbleiterhersteller Infineon. Die Österreicher sind im Konzernverbund das Kompetenzzentrum für neue Halbleitermaterialien. Erforscht, entwickelt und produziert werden Siliziumkarbid- und Galliumnitrid-Halbleiter, die Basis für Systemlösungen. „Sie machen Wechselrichter für Solaranlagen oder Ladestationen für E-Autos effizienter und schneller“, gibt Thomas Reisinger, Vorstand für Operations bei Infineon Austria, zu Protokoll. Und auch beim Thema Fahrautonomie forscht man kräftig: Die Lidar-Technologie, eine Radar-Technologie auf Licht-Basis, soll das teil- und vollautomatisierte Fahren weiterbringen.

These 2: FHs holen sich ihren Anteil am F&E-Kuchen

Der Ausbau des Fachhochschulsektors gilt als fix. Die FH-Forschung soll dabei besonderes Gewicht erhalten, hoffen die FH-Träger.

Der die FHs betreffende Passus im Regierungsprogramm hat Raimund Ribitsch frohgemut gestimmt: Das Angebot der Fachhochschulen soll ausgebaut werden, konnte der Präsident der Österreichischen Fachhochschul-Konferenz diesem entnehmen. Ein echter Ausbau der Studienplätze sei allerdings nur dann gegeben, wenn auch „die Forschung an den Fachhochschulen gestärkt“ werde, sagt Ribitsch. Und legte ein Sechs-Punkte-Paket vor. Neben der Beibehaltung der Fördersätze für die Studienplatzfinanzierung werden darin Ausbau und Stärkung der FH-Forschung, akkreditierte Doktoratsprogramme und bundesfinanzierte Masterstudien im Bereich der Gesundheitsberufe gefordert. Ein Uniforscher sieht die Zukunft des zuletzt intensiver geführten Wettbewerbs unter den Forschungsdienstleistern nicht unbedingt rosig. „Natürlich steigt durch außeruniversitäre Institute und FHs der Druck“, sagt er. „Mehr Vieh zur Tränke zu treiben ist der Qualität von Forschungsleistungen nicht unbedingt zuträglich“, meint er.

Neue Josef Ressel Zentren

Andere sehen den Wettbewerb als förderlich. Zuletzt eröffneten drei neue Josef Ressel Zentren an der FH Oberösterreich. Deren Forschungsgegenstände: Die thermografische zerstörungsfreie Prüfung von Verbundwerkstoffen (Campus Wels), innovative Mehrkörperdynamik (eben- so) sowie Symbolische Regression (Hagenberg).

These 3: Pilotfabriken werden zur betrieblichen Spielwiese

Pilotfabriken für das Internet der Dinge bleiben dank voller Fördertöpfe und Industrieprominenz, die die Projekte anschieben, hoch im Kurs.

Sie haben ein tadelloses Renommee, meist gute finanzielle (und damit technische) Basisausstattung und bekommen jetzt neuerlich Zuwachs: Österreichs Pilotfabriken für das Internet der Dinge bleiben ein Renner. Am Campus der Linzer Uni JKU wird bis 2020 ein Innovationszentrum mitsamt einer Pilotfabrik für digitalisierte Produktionsprozesse entstehen. Baubeginn ist heuer, die ersten Projekte wurden bereits festgezurrt: Mit dem Chemiekonzern Borealis und dem Spritzgießmaschinenbauer Engel tüftelt man an einem faserverstärkten Leichtbauteil für den Autoriesen Audi. „Wir denken aber auch an hochspezialisierte Medizinprodukte, bei denen ,Losgröße eins‘ eine Anforderung ist“, sagt Meinhard Lukas, Rektor der JKU. Einzug hält auch Start-up-Spirit: Das Zentrum wird neben der Maschinenhalle mit 3D-Druckern auch Co-Working- Arbeitsplätze für Firmen bereithalten. Geplante Inbetriebnahme ist 2021, mit mindestens 500 Tonnen jährlicher Produktionskapazität ist der Anspruch auch quantitativ hoch. Errichtung und Betrieb – von 2021 bis vorerst 2033 – sollen mit insgesamt 16 Millionen Euro zu Buche schlagen. Davon kommen zehn Millionen aus der Industrie und je zwei Millionen von Bund, Land und Stadt Linz.

Auch in Graz wurde schon im Vorjahr die erste Stufe gezündet. Am Gelände der TU Graz wird gerade eine Pilotfabrik für die Industrie 4.0 eingerichtet. Infrastrukturministerium, Industrie und TU Graz investieren rund 6,4 Millionen Euro. Der Fokus liegt auf Fertigungsmethoden, mit denen kleine Stückzahlen rentabel produziert werden können.

These 4: Die Kooperationslaune steigt

Die Bundesländer bauen ihre gemeinsamen F&E-Aktivitäten aus – bestes Beispiel sind die Stiftungsprofessuren. Die Achse Klagenfurt-Graz wird weiter gestärkt – und womöglich stand Silicon Alps dafür Modell: Im Elektronikcluster haben steirische und Kärntner Unternehmen sowie Forschungsdienstleister aus der Elektronik- und Mikroeelektronikbranche ihre Aktivitäten gebündelt. Nun ziehen die Uni Klagenfurt und die TU Graz mit Blick auf das Internet der Dinge nach: Sie errichten eine gemeinsame Stiftungsprofessur. Es soll um adaptive, vernetzte Produktionssysteme gehen, drei Millionen Euro, eingesammelt durch zehn Stifter, stehen für die kommenden fünf Jahre bereit. „Eine wunderbare Sache“, befand das Rektorat der beiden Unis. Geforscht wird in Graz ebenso wie in Klagenfurt, an beiden Standorten wird Forschungspersonal aufgebaut.

KI in der Produktion

Dekan Gerhard Friedrich zufolge sei Ziel der Professur, neue Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Produktion zu etablieren. Finanziert wird die Professur von acht Unternehmen, darunter der Halbleiterhersteller Infineon, der Dekorehersteller Fundermax und die Kärntner Sparkasse.

Insgesamt wurden vom bmvit im Bereich Produktion und Industrie 4.0 drei Stiftungsprofessuren vergeben. Die berufenen Professoren haben inzwischen ihre Tätigkeit an den Universitäten aufgenommen, heißt es im Ministerium: Prof. Tung Pham („Advanced Manufacturing – Smart Textiles“, Universität Innsbruck), Prof. Ronald Schnitzer („Hochleistungswerkstoffe – Stahldesign“, Montanuniversität Leoben) und Prof. Sebastian Schlund („Industrie 4.0 – Human Centered Cyber Physical Production and Assembly Systems“, TU Wien). Zudem wurden fünf weitere Stiftungsprofessuren mit der Zielgröße Digitalisierung der Österreichischen Industrie – darunter „Transportlogistik“ und „Data Science“ – an Unis vergeben. „Die Berufungen stehen noch aus bzw. wurden erst vor Kurzem durchgeführt“, heißt es im Ministerium.

These 5: Die Grundlagenforschung erreichen mehr Mittel

Die heimische Grundlagenforschung soll gestärkt werden. Noch wartet man auf die Details.

Das Regierungsprogramm lässt Klement Tockner „positiv wie erwartungsvoll“ in die Zukunft blicken. Der Präsident des Wissenschaftsfonds FWF stützt seinen Optimismus auf das darin artikulierte Ziel, die Alprenrepublik nicht irgendwo, sondern in der Gruppe der europäischen Innovation Leader positionieren zu wollen. Auch eine „freie, erkenntnisgeleitete Grundlagenforschung als wichtige Voraussetzung zur Zielerreichung“ ist ganz in Tockners Interesse. Was ihn freut: Dass der Pakt für Forschung und Zukunft – eine Kernforderung der Allianz der österreichischen Wissenschaftsorganisationen – so deutlich seinen Niederschlag im Regierungsprogramm gefunden habe. Dem ORF sagte Minister Heinz Faßmann zu Jahresbeginn, es sei noch „zu früh“, um konkret über die Dotierung der österreichischen Grundlagenforschung zu sprechen. Zu der immer wieder geforderten Verdoppelung der Mittel für den Wissenschaftsfonds FWF von 200 auf 400 Millionen Euro sagt er: „Eine Verdoppelung in kurzer Zeit ist sehr, sehr optimistisch.“ Er räumt aber ein: „Wir wissen, dass wir pro Kopf sehr viel weniger für die Grundlagenforschung ausgeben als Deutschland und natürlich noch viel weniger als die Schweiz, das ein Musterland der Grundlagenforschung ist.“

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