Manipulations-Skandal : "Wer soll es sonst richten?"

Der neue Mann an der VW-Spitze, Matthias Müller, darf bei etlichen Mitarbeitern auf einen Vertrauensvorschuss hoffen. "Ich denke, dass Herr Müller das hinkriegt. Ich habe auch noch Vertrauen in VW und in die Marke", sagt ein Angestellter aus der Produktion. "Ich denke, er ist der Aufgabe gewachsen. Jeder, der da oben sitzt, gibt sein Bestes", ergänzt ein Kollege.

Angesprochen auf die konkreten Erwartungen an Müller, klingen die Antworten den Äußerungen von Aktionären, Juristen und Politikern aber teils wieder sehr ähnlich. "Ich erwarte von ihm, dass alle Sachen auf den Tisch kommen", betont ein Frühpensionist, der sich "Sorgen um seinen Laden" macht. Es sei schwer zu sagen, ob Müller der Aufgabe gewachsen sei: "Ich weiß nicht, was er weiß und was wir wissen." Der Job sei schwierig - "aber wer soll es sonst richten?"

Angst um den Arbeitsplatz

Unter den 600.000 Mitarbeitern geht naturgemäß die Angst um den Arbeitsplatz um. In Wolfsburg gibt Betriebsratschef Bernd Osterloh allerdings zunächst Entwarnung. "Derzeit, das ist die gute Nachricht, gibt es noch keine Konsequenzen für Arbeitsplätze", sagte er bei der ersten Betriebsversammlung nach dem Bekanntwerden des Skandals vor mehr als 22.000 Beschäftigten.

Dies gelte sowohl für die Stammbelegschaft als auch für Leiharbeiter. "Und es gibt den festen Willen, dass wir alles tun werden, um die Beschäftigung zu sichern", versprach Osterloh. Der Betriebsratschef betonte in seiner knapp einstündigen Rede aber auch, dass das Ausmaß der Krise und die Folgen für den Weltkonzern insgesamt noch nicht abzusehen seien. Niemand könne derzeit sagen, wie die VW-Kunden auf den Skandal reagieren.

Genervte Mitarbeiter

Schon vor der Betriebsversammlung war neben der Wut der Belegschaft auch die Angst zu spüren, so die deutsche Presseagentur, die mit einigen Mitarbeitern sprach. "Ich finde das alles übertrieben", gibt sich ein Mitarbeiter beim Gang aufs Werksgelände trotzig. Seinen Namen will er nicht nennen. "Wenn viele Menschen sterben, wird da einmal drüber gesprochen. Jetzt pusten wir ein bisschen Dreck raus - und da wird so ein Wirbel gemacht."

Aus den Männern und Frauen, die an diesem Vormittag durch die Werkstore strömen, spricht aber auch große Hilflosigkeit. Sie befürchten, die Suppe auslöffeln zu müssen, die ihnen "von oben" eingebrockt wurde. Und so wird es teilweise auch sein, laut Osterloh wird der Skandal Auswirkungen auf die Boni haben.

Boni in Gefahr

Von den weltweit sind rund 600.000 Menschen Beschäftigten arbeiten etwa 72.500 in der Wolfsburger Konzernzentrale. Mehr als 830.000 Fahrzeuge laufen hier pro Jahr vom Band. "Volkswagen hat die Kraft, diese Krise gestärkt hinter sich zu lassen. Das geht nur gemeinsam, (mit) Management und Belegschaft", sagte Osterloh. Doch der Skandal habe auch Auswirkungen auf das Ergebnis der Marke VW und damit auf den Bonus, betonte er: "Die November-Vorauszahlung gibt es in jedem Fall. Wir werden genau hinschauen, wie der Bonus für den Vorstand aussehen soll. Klar ist: Wir zahlen nicht die Zeche für das Fehlverhalten einer Gruppe von Managern."

Die Basis interessiere niemanden

Eine Mitarbeiterin kritisierte, dass zwar in den vergangenen zweieinhalb Wochen "von den Oberen und der Politik" viel über die Probleme gesprochen worden sei. Doch was an der Basis los ist, bei denjenigen, die täglich am Band stehen und Autos zusammenbauen oder in der Verwaltung arbeiten - das habe bisher niemanden interessiert. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein. Dies weiß auch der neue VW-Chef Matthias Müller. Der Nachfolger des über die Abgasaffäre gestürzten Martin Winterkorn hat keinen leichten Stand.

Müller muss nicht nur nach außen Märkte, Politiker, Aktionäre und Medien beruhigen, sondern auch nach innen das Vertrauen der weltweit rund 600.000 Mitarbeiter in die Führung sicherstellen. Denn neben dem Betrugsvorwurf hat auch der Rücktritt des bei den Beschäftigten so geschätzten Auto-Freaks Winterkorn die Belegschaft schockiert.

Wie tickt Müller?

"Was ich von Herrn Müller halte, weiß ich noch nicht", sagt die 45-jährige Susanne. Doch die Erwartungen an den früheren Porsche-Chef könnten in diesen Tagen kaum größer sein. "Ich will wissen, wie er tickt", sagt ein Mitarbeiter der VW-Finanztochter in Braunschweig, der sich auch auf den Weg nach Wolfsburg gemacht hat, um Müllers erster Rede an die Belegschaft zuhören zu können. Wegen des immensen Andrangs wurde die Veranstaltung per Video auf Leinwände vor die Hallentore übertragen. Zudem verfolgten rund um den Erdball die Betriebsratsvorsitzenden in den anderen VW-Werken die Versammlung.

Damit wird eine weitere Aufgabe Müllers deutlich: Mit seiner Ansprache musste Müller nun die Kollegen nicht nur beruhigen, sondern auch die Reihen schließen. Interne Neiddebatten oder Missmut kann sich VW in diesen Tagen nicht leisten, heißt es aus Konzernkreisen.

Sparprogramm soll nachjustiert werden

"Wir stellen jetzt alle geplanten Investitionen nochmal auf den Prüfstand", sagte Müller vor der Belegschaft, da die geschäftlichen und finanziellen Folgen der Krise noch nicht absehbar seien. darauf müsse das Unternehmen schnell reagieren. "Was nicht zwingend nötig ist, wird gestrichen oder geschoben." Deshalb solle das von seinem Vorgänger Martin Winterkorn eingeleitete Sparprogramm "nachjustiert" werden, VW stehe "massiv unter Druck". Er warb um Verständnis, dass auch er auf viele Fragen noch keine Antwort habe: "Glauben Sie mir: Auch ich bin ungeduldig. Aber in dieser Situation, in der wir es mit vier Marken und vielen Modellvarianten zu tun haben, ist Sorgfalt noch wichtiger als Tempo."

Das Sparprogramm werde nicht ohne Schmerzen gehen, sagte Müller, auch den Abbau von Arbeitsplätzen schloss er nicht ausdrücklich aus. Das Unternehmen werde aber alles daran setzen, dass Volkswagen auch in Zukunft für gute und sichere Arbeitsplätze stehe. Er betonte auch, VW dürfe durch Einsparungen seine führende Position nicht in Gefahr bringen. Der Konzernchef stellte klar, dass alle von den Manipulationen betroffenen Fahrzeuge - laut VW weltweit rund elf Millionen - technisch sicher und fahrbereit seien: "Zu keinem Zeitpunkt war die Sicherheit unserer Kunden gefährdet."

Software-Update reicht nicht immer

Techniker müssten allerdings bei einigen Autos auch an den Motoren Hand anlegen. Teilweise werde eine Überarbeitung der Software zwar ausreichen, sagte der neue VW-Chef. "Bei einem Teil der Fahrzeuge werden dagegen auch zusätzliche Eingriffe an der Hardware notwendig sein." Alle Euro-6-Dieselfahrzeuge würden aber die gesetzlichen Bestimmungen und Umweltvorgaben erfüllen. "Für Wolfsburg heißt das: Die Produktion kann weiterlaufen."

Anders als im Mutterkonzern sind bei der Finanzsparte bereits konkrete Folgen der Krise spürbar. Bis zum Jahresende gibt es einen Einstellungsstopp, auslaufende Zeitverträge werden nicht verlängert. (apa/dpa/afp)