Hybride Intelligenz : KI einmal anders gedacht

Eine IT-Expertin blickt auf den Bildschirm: Welche Rolle spielt hybride Intelligenz in der Zukunft der Arbeitswelt?
© Prompts Theresia Riedmann/Midjourney

Gerade aufgrund von KI, dem maschinellen Lernen und der Robotik sind Unternehmen gefordert, den Menschen verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken.

Es wird daher auch unabdingbar sein, bei der Diskussion über KI über den Tellerrand von Effizienz und Profitabilität hinwegzusehen und in Unternehmen auch darüber nachzudenken, was uns als Menschen eigentlich ausmacht, was wir mit unserem Körper grundsätzlich leisten können und wollen und welche Kompetenzen und Entscheidungen wir der KI anvertrauen.

Denn wirklich intelligentes Verhalten zeichnet sich nicht bloß durch die stringente Anwendung bestimmter Algorithmen aus, sondern beinhaltet Entscheidungen darüber, wann welche Lösungsstrategien verfolgt oder wann algorithmische Prozesse abgebrochen und die Entscheidungsträger sich selbst überlassen werden sollten.

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Technologische Sprünge, wie sie derzeit durch die KI ausgelöst werden, geben uns die Möglichkeit, nicht nur deren funktionale Aspekte und ihre verschiedenen Anwendungen zu betrachten, sondern auch uns selbst als menschliche Wesen neu zu definieren. So sind es Stimmungen, Einstellungen, Vorlieben und Abneigungen, die uns als Menschen ausmachen. Diese Eigenschaften gehören zur Sphäre des Affektiven und werden im Kontext von Unternehmensorganisationen und deren Anwendungen von KI kaum diskutiert. Hier geht es vor allem darum geht, dass wir als Menschen diese Programme bedienen können und uns dadurch auch selbst immer mehr dem maschinellen Umfeld anpassen.

Im Gegensatz dazu ist das Interesse an dem, was uns als Menschen ausmacht, in den Computerwissenschaften offenbar weitaus größer, weshalb Affective Computing inzwischen ein äußerst aktives Forschungs- und Entwicklungsgebiet ist und erste Ergebnisse bereits in Mensch-Computer-Interaktionssysteme einfließen.

Die Forscher gehen davon aus, dass echte Intelligenz und natürliche Interaktion nur dann möglich wären, wenn Computer in der Lage sind, unsere Gefühle zu erkennen und die Emotionen zu verstehen, mit denen unsere Affekte ausgedrückt werden. Während für uns Menschen die „Rationalisierung“ im Vordergrund steht, konzentriert sich die Informatik auf die Nutzung des affektiven Computings, um frustrierende Erfahrungen bei der Interaktion mit uns zu beseitigen, indem sie die zutiefst menschlichen Eigenschaften stärker berücksichtigt und die KI sogar in die Lage versetzt, Gefühle auszudrücken.

Der Grund dafür ist, dass der affektive Aspekt bisher übersehen wurde und zudem ein Faktor ist, der schwer zu quantifizieren ist. Sollte uns diese diametrale Entwicklung nicht auch im Hinblick auf eine Gesamtbetrachtung der Interaktionen und der Kommunikation innerhalb einer Organisation zu denken geben?

Forscher gehen davon aus, dass echte Intelligenz und natürliche Interaktion nur dann möglich wären, wenn Computer in der Lage sind, unsere Gefühle zu erkennen und Emotionen zu verstehen.

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AI als evolutionäre Entwicklung

Angesichts solcher Aspekte wird die Notwendigkeit einer neuen kulturellen Morphologie deutlich, die keinen zwingenden Gegensatz zwischen der organischen Welt und der technischen Sphäre sieht, sondern ein ko-evolutionäres Verhältnis.

In diesem Rahmen würde KI nicht als etwas kategorisch anderes als menschliches Denken oder als das Denken eines Wesens gesehen werden, das bewusst über seine eigene Existenz nachdenken kann und auch unbewusst von Emotionen gesteuert wird. Künstliche Intelligenz wäre in diesem Zusammenhang lediglich eine evolutionäre Entwicklung, die uns in die Lage versetzt, bestimmte Aufgaben mit Hilfe von Algorithmen zu lösen.

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Umgang mit AI: Lernen aus der Kunst

Wir sollten in einer Unternehmensorganisation zudem bedenken, dass die Kommunikationsbeziehungen nicht nur aus kommunizierenden Menschen bestehen, die irgendwo an einem Tisch oder am Ende einer Leitung sitzen. Zunehmend kommen nicht-menschliche Transformationsakteure ins Spiel. Gleichzeitig sind wir dabei, die Welt der Objekte in unsere Datenwelt zu integrieren. Eine Trennung unserer Umwelt in jene Bereiche des Seins und des Scheins erweist sich deshalb zunehmend als wenig sinnvoll.

So wird sich unser Blick auf die Medien auch durch die Neukonfiguration der Beziehung zwischen dem Dinglich-körperlichen und dem Digitalen verändern. Die Kunst liefert gute Beispiele für diese Entwicklung. Es war der Wiener Aktionismus, der das Körperliche in der Welt der Kunst in einer Weise implementierte, die über die bloße Darstellung auf einem gezeichneten oder gemalten Bild hinausging. Indem er den menschlichen Körper als Leinwand nutzte, diffundierte die Kunst in die Wirklichkeit. Der Mensch selbst wurde zum Ausdrucksmittel einer neuen, auf den Körper fokussierten Kunstform, wie die Werke von Brus oder Schwarzkogler zeigen.

Die Manifestation des Körpers als neues Kunstmedium bedeutete aber nicht nur eine Abkehr von der traditionellen bildenden Kunst und ihrem Tafelbild als Medium. Peter Weibel machte darauf aufmerksam, dass es aufgrund des flüchtigen Charakters dieser Art von Kunstaktionen erst recht neue Medien wie damals Fotografie und Film bedurfte, um sie zu dokumentieren und zu bewahren. Daher kam es zu einer Verschiebung hin zu anderen Medien, zu solchen, die auf Technologie oder Apparaten basieren. Dies kann als frühe Vorwegnahme des Transhumanismus gesehen werden, der gegenwärtig danach strebt, unsere Vergänglichkeit mit Hilfe der Technik zu überwinden.

Und wir werden auch beim Einsatz von KI zunehmend erleben, das es zu einer Neukonfiguration zwischen den Sphären des Körperlichen und unserer technologischen Anwendungen kommen wird – und dies zuerst wohl in der Arbeitswelt.

Unser Blick auf die Medien wird sich auch durch die Neukonfiguration der Beziehung zwischen dem Dinglich-körperlichen und dem Digitalen verändern. Die Kunst liefert gute Beispiele für diese Entwicklung.

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Unternehmenskultur der Sensibilität

In unseren sozialen Praktiken können wir unserer Umwelt z. B. Geschmack, Textur, Geruch, Klang oder Form zuschreiben, zusätzlich zu dem, was auf übliche Weise kommuniziert wird. Solche modus-übergreifenden, erweiterten und sensorischen Metaphern werden von den Mitarbeitern als gelebte Erfahrung aufgegriffen und sind im Sinne eines größeren Werterahmens innerhalb einer Unternehmenskultur wesentlich.

Ein Unternehmen sollte daher nicht seine Aufmerksamkeit bloß darauf verwenden, Entscheidungen darüber zu treffen, in welche neuen KI-Anwendungen es investiert. Stattdessen sollte es sich gleichermaßen um die Sensibilität der Menschen innerhalb seiner Organisation kümmern. So wie wir die Effizienz messbar machen, sollten wir uns auch die Fähigkeit aneignen, den Sensibilitäts-Grad der Mitarbeiter einzuschätzen und uns auf qualitativer Ebene jener Faktoren bewusst werden, die sie ablenken, sie überfordern oder sogar zur Kündigung führen könnten.

Es ist ein besonderes Verdienst von Elaine Aron, dass sie sich – auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen – intensiv mit dem Thema „Hochsensibilität“ auseinandergesetzt hat. Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts prägte sie die Begriffe „Highly Sensitive Person (HSP)“ und „High Sensory-Processing-Sensitivity (HSPS)“. Sie fand heraus, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen zur Gruppe der HSP gehören.

Aron konnte auch nachweisen, dass HSPS an sich keine Krankheit ist. Allerdings haben hochsensible Menschen unter schwierigen, wenig förderlichen Bedingungen ein überproportional hohes Risiko, krank zu werden, Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen oder gar depressiv zu werden, während sie sich unter guten, förderlichen Bedingungen überproportional gut entwickeln. Für Unternehmen bedeutet dies, dass diese Menschen über ein hohes kreatives Potenzial verfügen, das durch die Unternehmenskultur gezielt gefördert werden kann.

Affektive und Künstliche Intelligenz

Die Beobachtung, dass wir stark vom Affektiven gesteuert werden und moralisierend handeln, ist nicht unbedeutend. Denn wir handeln also nicht nach bestem Wissen, sondern mehr und mehr nach unserem Gewissen.

Diesem Habitus fällt es auch extrem schwer, mit Ambivalenz umzugehen, und im Wettbewerb um die „beste Haltung" müssen wir immer darauf achten, eine möglichst klare Position einzunehmen. Gleichzeitig bewegen wir uns in einem Umfeld, das zunehmend von KI geprägt ist. Was aber bedeutet es, wenn unsere KI-Anwendungen nicht nur mit Vorurteilen gefüttert, sondern auch mit einer Weltsicht versehen werden, die zunehmend auf Affekten statt auf rationalen Überlegungen beruht?

Dieser Fragestellung geht der Autor Thomas Duschlbauer, der sich bereits 1994 in seiner Dissertation über Anwendungen wie Virtual Reality und Künstliche Intelligenz mit Digitalisierung befasste, in seiner jüngsten Buchveröffentlichung nach. Das im Nomos Verlag erschienene Buch in englischer Sprache widmet sich dem Phänomen KI von einer bislang ungewöhnlichen Perspektive.