Seltene Erden: China bedroht Europas Industrie

Peking hält Europas Rüstungsindustrie fest im Griff – über die Kontrolle seltener Erden. Ohne diese kritischen Rohstoffe läuft weder Sensor noch Rakete, weder Panzer noch Präzisionssystem. Wer über Elemente wie Dysprosium, Neodym oder Yttrium verfügt, kontrolliert mehr als nur Metalle – er beherrscht die Leitbahnen der modernen Industrie, zivil wie militärisch.

Von der Elektromotorachse im Auto bis zum Zielsystem eines Kampfjets: Europas industrielle Stärke hängt an den Rohstoffventilen Chinas. Und in Peking ist man sich dieser Abhängigkeit sehr bewusst.

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Seltene Erden: Über 90 Prozent stammen inzwischen aus der Volksrepublik. Mitte der 1970er Jahre waren die USA noch Marktführer.

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Seltene Erden: Warum sie mehr als nur ein Rohstoff sind

Seltene Erden sind kein Rohstoff wie jeder andere. Sie stecken in Motoren, Bildschirmen und modernsten Waffensystemen. Sie sind ein Machtinstrument – und fast alle kommen aus China.

Das war nicht immer so. In den 1970er-Jahren war Mountain Pass in Kalifornien das Zentrum der weltweiten Produktion. Die USA deckten über zwei Drittel des globalen Bedarfs. Auch Europa förderte in Schweden und Frankreich – ausreichend für die bescheidene Nachfrage der Vor-Digital-Ära.

Doch der Abbau war teuer, schmutzig und wenig lukrativ. Mit strengeren Umweltauflagen wurde das Geschäft endgültig unattraktiv.

China erkannte die Chance – und nutzte sie. Ab den 1980er-Jahren investierte Peking massiv in den eigenen Bergbau: mit Subventionen, laxen Umweltregeln und Preisen, die westliche Konkurrenten gezielt aus dem Markt drängten. 1989, im Jahr des Mauerfalls und der globalen Marktöffnung, galt es im Westen als Fortschritt, dass die umweltschädliche Mine in Mountain Pass schließen musste.

Heute kontrolliert China rund 60 Prozent der weltweiten Förderung – und über 90 Prozent der Verarbeitungs­kapazitäten. Ein strategisches Monopol, das Peking nun gezielt einsetzt: mit Exportbeschränkungen, Lizenzpflichten und umfassender Datenerfassung.

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Geopolitik mit Seltenen Erden: China zieht die Schrauben an

Seit dem Frühjahr 2025 zieht China die Zügel an – offiziell als Antwort auf den US-Handelskrieg, inoffiziell als Machtdemonstration. Die Maßnahmen richten sich jedoch nicht nur gegen Washington. Laut dem chinesischen Handelsministerium sollen sie verhindern, dass seltene Erden über Drittländer in die USA gelangen – de facto betreffen sie den gesamten Weltmarkt.

Plötzlich standen sieben Elemente unter Exportkontrolle: Dysprosium, Terbium, Neodym – unscheinbare Namen, die jedoch Elektroautos antreiben, Windräder drehen und Lautsprecher zum Vibrieren bringen. Seither müssen langjährige Industriekunden Genehmigungen beantragen, ihre Endabnehmer offenlegen und Lieferketten dokumentieren. Was früher reiner Handel war, ist heute ein geopolitischer Akt.

Im Oktober 2025 folgte der zweite, deutlich härtere Schlag: Weitere fünf Metalle – Holmium, Erbium, Thulium, Europium und Ytterbium – wurden auf die Liste gesetzt. Die Auswahl ist strategisch: Diese Stoffe sind essenziell für militärische Hightech-Systeme.

  • Holmium und Thulium: Laserzielgeräte und Entfernungsmesser
  • Erbium: optische Verstärker für Kommunikationssysteme
  • Europium: Leuchtstoffe in Nachtsichtgeräten
  • Ytterbium: Hochleistungslaser und Präzisionswaffen

Doch die neuen Beschränkungen treffen nicht mehr nur die Rohstoffe selbst. Nun gelten Lizenzpflichten auch für Verarbeitungstechnologien, Maschinen und Magnetlegierungen – also für die gesamte Wertschöpfungskette.

Viele Länder – darunter die USA, Japan, Kanada, Australien und die EU – versuchen derzeit, eigene Kapazitäten zur Förderung und Weiterverarbeitung seltener Erden aufzubauen. Mit den neuen Regeln will China genau das erschweren – und seinen technologischen Vorsprung sichern.

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Der Leopard 2, ohne Seltene Erden kann kaum ein modernes Waffensystem produziert werden.

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Bürokratie statt Materialfluss: Exportlizenzen für Seltene Erden verzögern Lieferungen

Seit April 2025 sind in China über 140 Lizenzanträge für den Export seltener Erden eingereicht worden – doch laut der European Chamber of Commerce in China wurde bis September nur etwa ein Viertel überhaupt bearbeitet.

Für die europäische Industrie ist das ein bürokratischer Albtraum. Jede Lizenz gilt lediglich sechs Monate, danach beginnt das Verfahren von vorn. Und jede Genehmigung bedeutet einen tiefen Einblick in das Herz der Unternehmen: Die Behörden verlangen Produktfotos, Konstruktionspläne, Kundendaten, Produktionszahlen der vergangenen Jahre – und sogar Prognosen für die Zukunft.

Das Resultat: monatelange Verzögerungen und blockierte Lieferketten. Magnete, die im Frühjahr bestellt wurden, liegen noch immer in chinesischen Häfen. Manche Firmen sprechen offen von „Willkür der Behörden“ – Anträge blieben monatelang unbearbeitet oder würden plötzlich mit neuen Auflagen versehen.

Im Juni 2025 schlugen sowohl der Verband der Automobilindustrie (VDA) als auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) Alarm. Der VDA warnte, dass die schleppende Vergabe chinesischer Exportlizenzen die Produktion deutscher Autowerke gefährde. Der VDMA berichtete von zunehmenden Engpässen bei Hochleistungsmagneten und Präzisionskomponenten – zentrale Bauteile für die Industrie 4.0.

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Kontrolle durch Transparenz: Wie China bei Seltenen Erden Einsicht in ganze Industrien erhält

Peking hat ein neues Online-Tracking-System eingeführt, das Produzenten verpflichtet, regelmäßig ihre Handelsvolumen, Abnehmer und Kundenlisten zu melden. Damit erhält China tiefen Einblick in gesamte Wertschöpfungs- und Lieferketten – bis hin zu strategisch sensiblen Informationen über Produktionsstandorte, Absatzmärkte und Abhängigkeiten westlicher Unternehmen.

Mit den neuen Exportbeschränkungen verschiebt China die Grenzen seiner wirtschaftlichen Kontrolle.
Wer Seltene Erden oder Magnetmaterialien aus China bezieht, muss heute sensibelste Details seiner Lieferkette offenlegen. Der Preis für den Zugang zu lebenswichtigen Rohstoffen ist Transparenz gegenüber Peking – und damit ein beispielloser Einblick in die industrielle DNA Europas.

Was einst streng gehütete Unternehmensgeheimnisse waren, wird nun Teil chinesischer Datenbanken und Kontrollsysteme. Die Volksrepublik kann so die Abhängigkeiten westlicher Industrien präzise kartieren – und sie im Ernstfall gezielt politisch einsetzen.

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Exportregeln im Vergleich: Was China bei Seltenen Erden von den USA unterscheidet

Das Instrument der Exportkontrolle ist keine chinesische Erfindung – der Westen kennt es seit Jahrzehnten.

Die USA etwa nutzen ähnliche Mechanismen schon lange. Ein prominentes Beispiel ist die „Foreign Direct Product Rule“ aus dem Jahr 1959. Sie erlaubt Washington, den Export von Produkten zu untersagen, wenn diese mit US-Technologie hergestellt wurden – selbst dann, wenn die Produktion im Ausland erfolgt.

Zuletzt traf diese Regel den chinesischen Telekomriesen Huawei – mit begrenztem Erfolg. Das Ziel: verhindern, dass amerikanische Technologien militärisch oder sicherheitspolitisch gegen die USA eingesetzt werden.

Über das Handelsministerium und die Export Administration Regulations (EAR) überwacht Washington zudem den Handel mit sensiblen Gütern. Darunter fallen Hightech-Chips, Halbleiteranlagen und Materialien für Energietechnik – allesamt Produkte mit strategischer Relevanz.

Der entscheidende Unterschied:
Während die US-Regeln in erster Linie Sicherheitsrisiken und nationale Verteidigungsinteressen adressieren, nutzt China Exportkontrollen zunehmend als Instrument wirtschaftlicher Einflussnahme. Ziel ist weniger der Schutz vor Bedrohungen – sondern die systematische Kontrolle ganzer Lieferketten.

Zeitenwende in der Abhängigkeit: Ohne Seltene Erden keine Aufrüstung

Europa rüstet auf – so schnell, so laut und so teuer wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Panzer, Drohnen, Raketen: Alles, was Stahl hat und glänzt, wird bestellt. In Berlin nennt man das „Zeitenwende“. In Peking wohl eher: perfektes Timing.

Denn während Europas Regierungen Milliarden in neue Waffenprogramme stecken, zieht China den Stecker – bei den Materialien, aus denen moderne Armeen gebaut sind. Magnete für Raketensteuerungen, Legierungen für Jet-Turbinen, Sensoren für Panzer – fast alles hängt am Tropf chinesischer Lieferungen.

Die neuen Exportbeschränkungen treffen Europa in dem Moment, in dem seine Armeen auf Nachschub angewiesen sind wie nie zuvor.

Europa hat die Rechnung ohne China gemacht. Und Peking weiß genau, wie viel Macht in einer Tonne Seltener Erden steckt – und wer sie bekommt.

Während die USA längst strategische Reserven anlegen, in australische Minen investieren und die Pentagon-Depots füllen, diskutiert Europa noch über Arbeitskreise und Förderprogramme.

Und die Zeitenwende?
Sie könnte schneller enden, als sie begonnen hat.

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