booxit Polytec Haidlmair : Wie Booxit zum strategischen Logistikpartner für Europas Streitkräfte aufrücken will
Haidlmair-Produktion: Der weltweit anerkannte Werkzeugbauer liefert das Präzisions-Know-how, um Hochleistungskunststoffe wie Polyamid PA6 GF30 in komplexen Formen verarbeiten zu können – ein Prozess, den nur wenige Anbieter weltweit beherrschen.
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Als sich im Frühjahr 2022 die Logistikdoktrin auf europäischen Schlachtfeldern grundlegend veränderte, begann in Oberösterreich eine andere Art von Bewegung. Nicht in den Rüstungsfabriken, sondern in den Entwicklungsbüros eines Start-ups, das bis dahin kaum jemand kannte: Booxit. Das junge Unternehmen rund um die Gründer Peter Entenfellner und Andreas Holzleithner arbeitet an einem Mehrweg-Boxensystem, das die Paketlogistik und seit zwei Jahren auch militärische Versorgung neu denken soll – vernetzt, modular, digital und aus Hochleistungskunststoff gefertigt.
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Was auf den ersten Blick wie eine logistische Randnotiz klingt, ist im Begriff, zur industriellen Klammer zwischen Österreichs Kunststoff-, Werkzeug- und Maschinenbauern zu werden. Entenfellner spricht von einer „Fähigkeit“, nicht von einem Produkt. In der modernen Militärlogistik gehe es nicht mehr darum, einzelne Komponenten zu liefern, sondern gesamte Systeme bereitzustellen – vom physischen Behälter über die Sensorik bis zur digitalen Nachverfolgung. „Das Militär sucht keine Einzelprodukte, sondern Fähigkeiten. Wir liefern eine komplette Supply-Chain-Fähigkeit“, sagt er. Genau diese Denkweise hat das kleine oberösterreichische Unternehmen in eine Liga katapultiert, in der üblicherweise Konzerne wie Rheinmetall, Airbus oder Leonardo agieren.
Industrielles Herzland
Das Besondere: Booxit hat in den vergangenen zwei Jahren eine Wertschöpfungskette aufgebaut, die tief in die oberösterreichische Industrielandschaft reicht. Der Automobilzulieferer Polytec fertigt die robusten Boxenkörper aus glasfaserverstärktem Polyamid – einem Werkstoff, der in Europa nur von wenigen Unternehmen auf diesem Niveau verarbeitet werden kann. Haidlmair liefert die hochpräzisen Spritzgusswerkzeuge, Moldsonic sorgt mit deren Sensorik für die Qualitätsüberwachung. Hinzu kommen Elektronikpartner wie Ginzinger sowie Entwicklungskooperationen mit der Johannes Kepler Universität und anderen Forschungsinstituten. „Wir haben im Umkreis von 100 Kilometern praktisch die gesamte Kompetenz, die man für eine Hightech-Logistiklösung braucht“, sagt Entenfellner. In Summe sind es sechs Unternehmen, die sich zu einer industriellen Allianz zusammengeschlossen haben – keine große Rüstungsgruppe, sondern ein Cluster aus Kunststoff- und Maschinenbau, das sich nun auch mit Defense beschäftigt.
Angetrieben wird diese neue Dynamik von einer tektonischen Verschiebung: Europa hat zwar Milliarden für Verteidigung angekündigt, doch es fehlt an Produktionskapazitäten, an Mittelstand, an Technologiezulieferern. „Die Europäer haben nie genug Geld in Defense investiert. Jetzt ist Geld da, aber es fehlt die industrielle Basis, um es umzusetzen“, beschreibt Entenfellner. Das trifft vor allem auf die Logistik zu – jenes Feld, das im Ukrainekrieg zur Achillesferse ganzer Armeen wurde. Lange Versorgungsrouten, starre Lagerstrukturen, ungeschützte Transporte: Die klassischen Prinzipien der Nachschuborganisation haben sich als verwundbar erwiesen. Booxit will genau hier ansetzen – mit einem System, das in sich geschlossen, modular und automatisiert funktioniert.
Andreas Holzleithner: „Mit Booxit hat die Logistik nicht nur ein Produkt für die statische Logistik, sondern erfüllt alle zukünftigen Herausforderungen für eine resilente Logistik auf der "letzten Meile" und dies nicht nur für die Militärlogistik, sondern auch für die humanitäre Logistik.“ Darüber hinaus schafft Booxit den intermodalen Verkehr bis zur Demandseite – eine durchgehende Supplychain (Container - Schiene/LKW - Unmanned Ground Vehicle/ Unmanned Air Vehicle - Verbraucher) und ermöglicht den Einsatz moderner automatisierter Umschlagsysteme.
Mehrwegboxen
Das Grundprinzip ist einfach: Statt Einweg-Holzkisten oder Metallcontainern setzt Booxit auf hochfeste, digital vernetzte Mehrwegboxen aus recyclbarem Kunststoff, die sich per Sensorik und Software entlang der gesamten Lieferkette verfolgen und steuern lassen. Jede Box wird damit zum Datenträger und zum physischen Glied einer dezentralen, resilienten Supply Chain. In Kombination mit Drohnentransporten und autonomen Fahrzeugen entsteht ein logistisches Netz, das auch unter Gefechtsbedingungen funktionsfähig bleibt. „Wir lösen ein zentrales Problem, das in der Ukraine offenkundig geworden ist“, sagt Entenfellner. „Wenn Versorgung nicht mehr zentral gelagert werden kann, braucht es mobile, adaptive Systeme.“ Das Konzept nennt sich „Dynamic Clustering“ – eine mit der Universität Linz entwickelte Technologie, die logistische Datenströme in Echtzeit abbildet. Sie erlaubt es, Material, Ersatzteile oder medizinische Güter innerhalb von Sekunden zu lokalisieren. „Wir zeigen einem Kommandanten genau, wo sich sein Dieselfilter oder die Verpflegung seiner Truppe befindet“, erklärt Holzleithner. In der Praxis bedeutet das: Der Nachschub wird nicht mehr über statische Depots, sondern über ein verteiltes Netz gesteuert – eine Art digitales Nervensystem der militärischen Logistik.
In Nische vorgewagt
Dass sich gerade österreichische Unternehmen in diese Nische vorwagen, hat auch strukturelle Gründe. Der Automobilsektor steckt in einer Transformation, Kapazitäten werden frei, Know-how sucht neue Anwendungsfelder. POLYTEC ist bislang stark auf automotive Kunststofflösungen spezialisiert, hat aber die letzten Jahre bereits mehr als 100 Mio wiederverwendbare Logistikboxen produziert. Mit Booxit setzt POLYTEC auch zukünftig auf das Wachstum nachhaltiger Mehrwegsysteme für weitere Branchen. Haidlmair, weltweit anerkannter Werkzeugbauer, liefert das Präzisions-Know-how, um Hochleistungskunststoffe wie PA6 GF30 in komplexen Formen verarbeiten zu können – ein Prozess, den nur wenige Anbieter weltweit beherrschen. So entsteht eine Wertschöpfungskette, die auf Autarkie zielt – jedes beteiligte EU-Land könnte die Werkzeuge, Maschinen und Boxen selbst produzieren und damit unabhängig werden.
Die militärische Relevanz dieses Ansatzes liegt auf der Hand. Moderne Armeen sind von funktionierenden Versorgungslinien abhängig – wer seine Truppen nicht versorgen kann, verliert. Das hat in der Ukraine neue Deutlichkeit gewonnen. Mit weitreichender Artillerie und Drohnenschwärmen sind große Lager oder starre Logistikzentren leicht verwundbar. Dezentralisierung, Automatisierung und Digitalisierung werden daher zu Kernanforderungen. Die Boxen sind dabei mehr als Verpackung: Sie sind Teil einer vernetzten Infrastruktur, die in Zukunft auch autonome Last-Mile-Systeme versorgen könnte – unbemannte Fahrzeuge, die Material direkt an die Frontlinie bringen.
Tests laufen
Dass sich ausgerechnet ein österreichisches Start-up in diesem Umfeld etabliert, liegt auch an der Offenheit des Bundesheeres. Entenfellner und Holzleithner nennen den ehemaligen Leiter der Heereslogistikschule, Brigadier Stefan Lampl, als Schlüsselfigur. Dessen Denken habe in der EU Maßstäbe gesetzt. Österreich habe, so Entenfellner, „zivil und militärisch die innovativsten Logistiker Europas“. Die Kooperation mit dem Heer begann früh, Projekte wurden auf nationalen Veranstaltungen wie dem Tag der Logistik oder dem Nationalfeiertag demonstriert. Auch auf europäischer Ebene ist Booxit längst sichtbar: Das Unternehmen war bei den European Defence Innovation Days vertreten, im Austausch mit Armeen aus dem EU- und NATO-Raum.
Die Technologie und die Märkte entwickeln sich erfreulich, wie Entenfellner andeutet. Offiziell sprechen darf er darüber nicht. Sicher ist: Die Fertigungsvorbereitung läuft, Polytec steht als Produktionspartner bereit. „In ein paar Monaten werden wir so weit sein“, sagt er. Die Investitionen liegen bereits im Millionenbereich, die Entwicklung dauerte sechs Jahre, ein Teil davon als privat finanziertes Forschungsprojekt. Das Ziel: die Box als Standard der nächsten Generation. „Der Seekontainer wurde 1956 erfunden, sein Durchbruch kam im Vietnamkrieg. Wir wollen jetzt das werden, was der Container damals war – nur in klein.“
Unterschiedliche Geschwindigkeiten
Dass Defense als Innovationsmotor wirkt, ist historisch nichts Neues. Viele Technologien, die heute als zivil gelten – vom Jettriebwerk bis zum GPS – haben militärische Wurzeln. Auch bei Booxit dürfte sich diese Dynamik wiederholen. Das Unternehmen positioniert sich klar als Dual-Use-Anbieter: zivile Anwendungen in Pharma- und Laborlogistik sind vorgesehen, der Markteintritt erfolgt aber über Defense. Denn dort, so Entenfellner, sei die Bereitschaft, in disruptive Technologien zu investieren, deutlich größer. Zudem hat sich der politische Rahmen geändert: Seit März 2025 gelten Defense-Start-ups in der EU bei der Finanzierung in vieler Hinsicht als gleichgestellt mit Green-Tech-Unternehmen. Damit fällt ein wichtiges Hemmnis weg, das junge Firmen bisher von militärischen Themen fernhielt. Die große Herausforderung bleibt dennoch die Beschaffung. Militärische Vergabeverfahren sind komplex, dauern Jahre, oft Jahrzehnte. Für Start-ups ist das kaum überlebbar.
„In Europa dauerte ein Beschaffungszyklus in der Regel zehn bis fünfzehn Jahre. In der Ukraine entwickeln sie eine neue Technologie, und zwei Wochen später wird sie eingesetzt“, sagt Entenfellner. Er fordert kürzere Innovationszyklen, experimentellere Strukturen – und mehr Vertrauen in heimische Technologie. Denn während große Industrienationen Milliarden investieren, könnten kleine Länder wie Österreich durch Agilität punkten. Was sich in Oberösterreich derzeit formiert, ist ein Beispiel dafür, wie industrielle Anpassung und strategische Sicherheitspolitik zusammenfallen. Ein Kunststoffcluster, der durch den Umbruch in der Automotive-Industrie unter Druck geraten ist, findet eine neue Aufgabe – und zwar in einem Bereich, der bislang als politisch heikel galt. Die Partnerfirmen haben ihre interne Compliance überarbeitet, Hochschulen, Universitäten und Forschungsinstitute haben Defence als legitimes Forschungsfeld akzeptiert. „Da hat sich seit 2022 viel verändert“, sagt Entenfellner.