Patricia Neumann im Interview : Zwischen Konzernlogik und Bauchgefühl: Der neue Führungsstil der Siemens-Chefin

"IBM und Siemens ähneln sich in ihrem Überlebenswillen." Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende Siemens AG Österreich
- © Thomas TopfHeller sollte es in ihrem Büro werden – so viel stand damals bereits fest. Dunkle Möbel wichen in den Wochen nach ihrem Amtsantritt helleren. Auch eine Tapete mit floralem Motiv fand ihren Platz in der ehemaligen Wirkstätte von Wolfgang Hesoun, die Patricia Neumann 2023 übernommen hatte. Doch sonst blieb im zwölften Stock der Siemens City in Wien-Floridsdorf zunächst vieles beim Alten – ein Umstand, der überraschte, aber zugleich viel über Neumanns Prioritäten verriet. Denn das Büro? Musste warten.
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Persönliche Gegenstände, wie eine Urkunde ihres früheren Arbeitgebers IBM, mit dem sie über 28 Jahre verbunden war, suchte man lange vergeblich an den Wänden. Statt Äußerlichkeiten lag der Fokus auf Inhaltlichem. Während Siemens einst den Ruf hatte, eine Bank mit angeschlossenem Elektroladen zu sein, hatte Konzernchef Roland Busch längst den Umbau zum Digitalkonzern eingeleitet. Wachstum durch Software lautete die Devise – ambitioniert und konsequent.
Patricia Neumann übernahm dabei eine Schlüsselrolle: Sie sollte die digitale Transformation im für Österreich zuständigen Länderbündel weiter vorantreiben. Mit einem klaren Auftrag: das Geschäft mit IoT-Services, dezentralem Energiemanagement und industrieller Digitalisierung auszubauen – und den gestiegenen Erwartungen innerhalb des Konzerns gerecht zu werden.
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Globale Verantwortung, lokale Stärke: Wie Neumann Österreichs Rolle im Konzern stärkt
Und der ist bekanntlich hoch. "Das Bohren harter Bretter ist sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik wichtig", sagte einmal Brigitte Ederer. Ein Umstand, der Neumann bekannt vorkommt - und dem sie mit 28 Jahren IT-Erfahrung bei IBM und einem glänzenden Netzwerk in die Politik, Wirtschaft und zur Wissenschaft begegnet. Und Entscheidungsfreude. "Ich stehe bei Bedarf in engem Kontakt mit der Konzernspitze, das gibt uns Tempo", sagt Neumann. Sie kriegt nach eigener Aussage jederzeit den Konzernchef an die Strippe. Oder Vorstand Cedrik Neike. Er streute Neumann Rosen. Sie sei die ideale Wahl, um die Transformation der Kunden und Partner weiter voranzutreiben.
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Spekuliert, wie weit die Konzernmutter ihre Länderorganisationen an die Kandare nimmt, wird bei Siemens übrigens schon lange. "Der Spielraum der Österreicher sei in letzter Zeit nicht kleiner geworden, "sondern die Zahl der nicht einfach zu verdauenden Entscheidungen des Stammhauses ist größer geworden", sagte Neumanns Vor-Vor-Vorgänger Albert Hochleitner schon 2006. "Wir werden nicht beschnitten", so Neumann heute.
Im Gegenteil, 2023 konnte mit Integrated Circuits and Electronics die Leitung eines von elf weltweiten Forschungsfeldern in Österreich angesiedelt werden. Ein Erfolg. Freilich: Ein hohes Maß an Leistungsorientiertheit werde man auch in Zukunft nicht vermissen lassen dürfen. Neumann: "In einem globalen Konzern ist die Aufgabe jedes Landes schon auch die, sich in punkto Wettbewerbsfähigkeit ins Zeug zu legen".
Führung bei Siemens: Warum Neumanns Strategie der Nähe jetzt entscheidend ist
Auf die Frage, wie schwer es sei, als externe Führungskraft im Unternehmen Fuß zu fassen, zeigt sich Neumann reflektiert, aber gelassen: „Ich würde es nicht Hausmacht nennen, die Begrifflichkeit ist mir zu dramatisch. Von einem anderen Unternehmen zu kommen ist aber ein Weg, der Ausdauer erfordert. Ich kann nicht nach wenigen Wochen alles gesehen und jeden kennengelernt haben.“ Diese Ausdauer demonstriert sie auch durch ihre Reisetätigkeit – nicht nur zu Kund:innen, sondern auch zu den eigenen Teams: „Die Hälfte der Zeit bin ich unterwegs in den Märkten und ebenso viel Zeit will ich intern aufbringen, um die Teams zu besuchen.“ Eine bewusste Entscheidung, wie sie sagt: „Ich nehme mir bewusst Zeit, um unsere Mitarbeitenden kennenzulernen.“
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Dabei setzt Neumann auf moderne Formate wie hybride Townhall-Meetings, um Kontakte zu knüpfen. Dabei geht es ihr nicht nur um Informationsweitergabe, sondern vor allem um gegenseitiges Verständnis und kulturelle Nähe – gerade in einem internationalen Umfeld, in dem Siemens Österreich unter ihrer Führung die Verantwortung für über 25 Länder trägt. Dass Siemens heute ein anderes Gesicht zeigt als noch vor Jahren, bestätigt sie aus eigener Erfahrung: „Nach 28 Jahren Zugehörigkeit zu einem amerikanischen Konzern erlebe ich Siemens sehr international aufgestellt und sehr divers. Klarerweise einen Tick europäischer als ein US-Unternehmen mit Fokus auf Europa. Was mich positiv überrascht: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit langer Unternehmenszugehörigkeit wir haben. Das spricht fürs Unternehmen.“
Strategiewechsel bei Siemens: Warum Neumann genau jetzt zur Tech-Vordenkerin wird
Ihr Wechsel zu Siemens fiel nicht zufällig mit der strategischen Neuausrichtung des Konzerns hin zum Digitalkonzern zusammen. Unter CEO Roland Busch verfolgt Siemens den Ausbau des Softwaregeschäfts – eine Richtung, die bei Neumann sofort auf Resonanz stieß: „Absolut. Die Basis der Entscheidung, die IBM zu verlassen und zu Siemens zu kommen, war eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Strategie von Siemens. Der starke Austausch mit dem deutschen Vorstand war sicherlich förderlich.“ Und ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht: „Das, was zu lesen war, in Analystenvorträgen zu hören war und mir geschildert wurde, deckt sich mit dem, was ich vorgefunden habe und ich nun erleben darf. Siemens ist ein extrem starkes Technologieunternehmen.“
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Trotz aller Unterschiede sieht Neumann auch Parallelen zwischen ihren früheren und jetzigen Arbeitgebern: „Sicherlich in ihrem Überlebenswillen. Beide sind große Player, und große Unternehmen überleben nur dann, wenn sie bereit sind, sich zu verändern. Dass sie dazu in der Lage sind, haben mein damaliger und mein jetziger Arbeitgeber bewiesen. Es ist einfach, sich einmal zu transformieren. Aber es mehrfach zu schaffen, dazu bedarf es besonderer Anstrengungen.“
Mit ihrer technologischen Expertise und einem etablierten Netzwerk in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erfüllt Neumann die Anforderungen an ihre neue Rolle: „Was ich mitbringe, sind sicher einmal 28 Jahre IT-Erfahrung. Wie funktioniert Technologie, was bedeutet es, Datenprojekte aufzusetzen und wie handhabt man KI, auch ethisch. Diese Themen habe ich verinnerlicht. Weiters war in den vier Jahren, in denen ich für IBM in Österreich gearbeitet habe, das Netzwerk in die Politik, in die Wirtschaft und zur Wissenschaft entscheidend.“ Die Entscheidung für den Wechsel sei in wenigen Wochen gefallen: „Das war ein Prozess von wenigen Wochen.“
Neumanns Ziel ist klar: die begonnene Transformation von Siemens weiterzutreiben. „Ich will die Transformation, die begonnen worden ist, fortführen. Siemens ist jetzt über 175 Jahre alt. Das zeigt, dass Veränderung funktionieren kann. Und bei der Kundenorientierung sind wir mit unseren vielen Geschäftsbereichen unschlagbar.“
Gerade für Siemens Österreich sieht sie enormes Potenzial: „Siemens Österreich hat eine extrem hohe Chance, an den Themen, die unsere Kunden bewegen, in stärkerem Ausmaß mitzupartizipieren. Unternehmen müssen laufend widerstands- und wettbewerbsfähiger werden, sie müssen sich in wenig stabile oder neue Märkte vorwagen und auf den Ausbau der industriellen Digitalisierung ihr Augenmerk legen.“ Die Diversität des Geschäfts ist dabei kein Widerspruch, sondern eine Stärke.
Patricia Neumann hat ihr Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien mit einem Master in Business Administration abgeschlossen. 1995 dockte sie in bei IBM an, wo sie in verschiedensten Positionen mehr als achtundzwanzig Jahre tätig war, zuletzt auch als Aufsichtsratsvorsitzende von IBM Österreich, eine Funktion, die an ihren Job als Vice President Data, AI & Automation Sales Leader IBM Europe, Middle East and Africa geknüpft ist. Als Präsidentin der Internetoffensive Österreich engagiert sie sich auch in der Interessensvertretung der heimischen IT-Wirtschaft. Die 54-jährige ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.
Siemens Österreich zählt im Siemens-Konzern zum viertstärksten Länderbündel der Welt. Neben dem heimischen Markt verantwortet Wien das Geschäft in 25 weiteren Ländern: Armenien, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Georgien, Israel, Kasachstan, Kirgisistan, Kosovo, Kroatien, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Polen, Rumänien, Serbien, Slowakei, Slowenien, Tadschikistan, Tschechische Republik, Turkmenistan, Ukraine, Ungarn und Usbekistan. In diesem Länderbündel verfügt der Konzern über fünfzehn Produktionsstandorte und 32.000 Mitarbeiter. Der Umsatz beläuft sich auf 6,4 Milliarden Euro ohne Siemens Energy.
Unter der Marke Siemens firmieren heute drei Unternehmen, die Siemens AG, inklusive der Sparte Siemens Mobility, sowie die inzwischen als eigene Unternehmen agierende Siemens Healthineers, die früherer Gesundheitssparte, und Siemens Energy, die frühere Energiesparte. Diese Struktur existiert in allen Ländern der Welt ab, in denen der Konzern tätig ist. Besonders stark investiert wird derzeit in IoT-Services, dezentrales Energiemanagement sowie den Ausbau der industriellen Digitalisierung.