Defence Drohnen Gamification : Militärforscher Rapp über Gamifizierung im Gefecht: "Ein Panzer gibt mehr Punkte als ein einzelner Soldat"
"Wer effektiv arbeitet, bekommt schneller Nachschub."
Andreas Rapp, Militärwissenschaftler am German Institute for Defence and Strategic Studies
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INDUSTRIEMAGAZIN DEFENCE: Herr Rapp, wenn man aktuell die Schlagzeilen über Drohnenvorfälle an europäischen Flughäfen liest – ist das Grund zur Sorge?
Andreas Rapp: Das sind ernst zu nehmende Vorfälle; auf diese Art der Bedrohung müssen wir uns einstellen. Wir erleben gerade eine Phase, in der sich Kriegsführung durch Drohnen fundamental verändert. Diese Entwicklung ist nicht nur Folge des Ukrainekriegs, sondern Ausdruck einer umfassenden technologischen Evolution. Drohnen werden zur omnipräsenten Waffe. Sowohl in staatlichen als auch in asymmetrischen Konflikten. Wenn das Maschinengewehr und der Stacheldraht die Waffen des Industriezeitalters waren, dann ist die Drohne die Waffe des Digitalzeitalters: klein, kostengünstig, vernetzt, und in der Lage, Sensor und Effektor in einem System zu vereinen.
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Sie kann beobachten, zielen und wirken und das ohne große Infrastruktur, ohne ausgebildete Piloten, mit Komponenten, die weltweit millionenfach verfügbar sind.
Das erklärt ihre militärische Attraktivität – aber auch ihr Risiko. Welche Dimension hat diese Bedrohung in Europa?
Rapp: Wir sehen derzeit eine Eskalation hybrider Aktivitäten Russlands. Es gab mehrere Vorfälle, bei denen Drohnen aus Belarus oder Russland in den Luftraum der NATO-Staaten eingedrungen sind, etwa inüber Polen. Das war klar attributierbar. Andere Ereignisse – etwa Störungen an Flughäfen in Kopenhagen oder Schleswig-Holstein – sind schwieriger zuzuordnen. Aber wenn mehrere Drohnen gleichzeitig auftauchen, ist das selten Zufall. Das sind koordinierte Aktionen, oft mit psychologischer Absicht: Man will Unsicherheit erzeugen, die Funktionsfähigkeit westlicher Verteidigung testen, Zweifel an der Abschreckungsfähigkeit der NATO säen. Russland spielt hier ein kalkuliertes Spiel mit überschaubarem Risiko, aber hoher Wirkung.
Wie reagieren westliche Streitkräfte und Regierungen darauf?
Rapp: Deutschland und andere europäische Staaten investieren derzeit massiv in eine mehrschichtige Luftverteidigung aus weitreichenden Flugabwehrsystemen wie Arrow oder Patriot, mobilen Systemen zum Nahbereichsschutz wie Skyranger, aber auch Low-cost-Systemen wie Abfangdrohnen.Dieser Verbund ermöglicht die lückenlose Bekämpfung unterschiedlichster Ziele – ob es sich nun um Marschflugkörper, taktische ballistische Raketen, Flugzeuge oder aber Drohnen handelt. Die Ukraine hat darin die meiste Erfahrung, weil sie täglich hunderte solcher Angriffe abwehrt. Sie zeigt, dass es auf eine kluge Kombination aus Sensorik, elektronischer Kampfführung und effizienten Abwehrmitteln ankommt, nicht nur auf teure High-End-Technik allein.
Wie ist die Zuständigkeit in Deutschland geregelt, wenn Drohnen zivile Ziele oder Flughäfen bedrohen?
Rapp: Grundsätzlich ist die Bundeswehr für den Schutz militärischer Liegenschaften und bei militärischen Bedrohungen im Luftraum zuständig, die Polizeien des Bundes und der Länder für die allgemeine Gefahrenabwehr. Aber die technische Aufklärung und Abwehr erfordern ein gemeinsames Lagebild für ganz Deutschland. Es wird also nötig sein, die Vernetzung und Koordination zwischen Bundeswehr, Polizeien und Betreibern kritischer Infrastruktur auszubauen. Und man wird sich fragen müssen, ob man zivilen Betreibern etwa anvon Flughäfen im Rahmen des Hausrechts eigene Abwehrbefugnisse einräumt. Denn es bringt nichts, mit einem Flugabwehrpanzer auf eine Drohne über dem Terminal zu schießen. Da braucht es technische Mittel wie Mikrowellen, Laser oder Netzwerfer, die präzise und risikoarm wirken.
Stichwort Mikrowellen- und Laserwaffen – sind das reale Optionen oder noch Zukunftsmusik?
Rapp: Beides existiert bereits als Prototyp. Hochenergetische Mikrowellenwaffen funktionieren in der Praxis erstaunlich gut, Laser ebenfalls. Entscheidend wird die Kostenfrage sein und wer die Waffen einsetzen darf. Diese Systeme können mehrere Ziele gleichzeitig bekämpfen, aber ihr Einsatz erfordert rechtliche Klarheit.
Sie ziehen Parallelen zu 9/11. Sehen Sie auch diesmal eine Phase des Lernens und Anpassens?
Rapp: Ja, absolut. Nach 2001 haben wir auf eine neue Qualität der Bedrohung reagiert – mit geänderten Gesetzen, neuen Sicherheitskonzepten, besserem Schutz kritischer Infrastruktur. Ähnliches passiert jetzt. Drohnen sind gekommen, um zu bleiben. Jede moderne Streitkraft muss lernen, mit ihnen zu kämpfen und sich gegen sie zu verteidigen. Das bedeutet auch, dass sich Demokratien wieder an ihre größte Stärke erinnern müssen: die Fähigkeit zur schnellen Anpassung, wenn der Druck groß genug ist. Dann entstehen in offenen Systemen plötzlich ungeheure Innovationskräfte. Etwas, das autoritäre Systeme so nicht leisten können.
Die Ukraine wird oft als Labor neuer Kriegsführung bezeichnet.
Rapp: Ich nenne das ein „Gewächshaus“ militärischer Innovation. Der Krieg zwingt zur rasanten Weiterentwicklung, aus Notwendigkeit und unter realen Einsatzbedingungen. Was dort in zwei Jahren passiert ist, entspricht sonst einem Jahrzehnt militärischer Entwicklung. Zu Beginn des Krieges sahen wir klassische Panzerkolonnen. Heute dominiert der Drohnenkrieg. Große mechanisierte Vorstöße sind praktisch nicht mehr zu sehen. Russische Angriffe erfolgen meist in kleinen Gruppen zu Fuß oder mit Motorrädern, weil alles, was größer ist, von Drohnen aufgeklärt und vernichtet wird.
Welche Rolle spielen Drohnen konkret im ukrainischen Gefechtsbild?
Rapp: Eine entscheidende. Die Ukrainer haben sogenannte „Drohnenlinien“ aufgebaut – Einheiten unmittelbar hinter der Infanterie, die ständige Aufklärung und Feuerunterstützung leisten. Daraus ist eine ganze neue Truppengattung entstanden: die Unmanned Systems Forces mit derzeit zwölf Verbänden beziehungsweise Großverbänden. Ihre Logik ist klar: Vor der eigenen Linie eine fünf Kilometer breite Zone schaffen, in der kein russischer Soldat lange überleben sollt. Bis zu 15 Kilometer in die Tiefe soll kein Fahrzeug mehr sicher sein, und bis 50 Kilometer hinein werden Artilleriestellungen, Logistikeinrichtungen und Kommandoposten angegriffen. Das verändert die Kriegsführung fundamental, es vollzieht sich ein Wechsel von mechanisierter Bewegung hin zu digital gesteuerter Abnutzung.
"In offenen Systemen entstehen ungeheure Innovationskräfte. Das können autoritäre Systeme nicht leisten."Andreas Rapp
Und diese Einheiten arbeiten digitalisiert, bis hin zur Datenauswertung?
Rapp: Ja. Jeder Drohneneinsatz wird dokumentiert und ausgewertet – technisch, taktisch und hinsichtlich des Ergebnisses. Im ukrainischen Führungs- und InformationssystemDelta gibt es dafür eine eigene Abteilung. Bemerkenswert ist auch die „Gamifizierung“ und Ökonomisierung: Erfolge werden in Punkten gemessen, die gegen neue Drohnen eingetauscht werden können. Ein Panzer gibt mehr Punkte als ein einzelner Soldat, und wer effektiv arbeitet, bekommt schneller Nachschub. Das schafft ein Anreizsystem, das Effizienz belohnt und Ressourcen ökonomisch steuert. In dieser Radikalität ist das neu und folgt sehr stringent der Logik eines Abnutzungskriegs.
Was lernen westliche Armeen daraus?
Rapp: Dass technologische Überlegenheit heute mehr denn je von Innovationsgeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit zumeist digitalisierter Systeme abhängt. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass kleine, flexible Strukturen mit digitalem Rückgrat großen konventionellen Armeen ebenbürtig oder gar überlegen sein können. Europa muss daraus lernen und in die Umsetzung kommen. Um vorbereitet zu sein und abschrecken zu können. Der Drohnenkrieg wird bleiben, und er wird Teil jeder sicherheitspolitischen Planung werden müssen.
Wie verändert das unsere Gesellschaft – mehr Militär im öffentlichen Raum, mehr Technik im Alltag?
Rapp: Ich glaube nicht, dass wir Panzer auf den Boulevards sehen werden. Die Drohnenabwehr wird technisch und dezentral sein. Vielleicht mehr Antennen, Sensoren, unscheinbare Kuppeln auf Dächern, aber keine sichtbare Militarisierung des Alltags. Sicherheit gegen Drohnen entsteht nicht durch martialische Präsenz, sondern durch glaubhafte technische Schutzfähigkeit. Wenn wir zeigen können, dass Systeme funktionieren, entsteht Vertrauen. Und ich bin überzeugt: Demokratien können sich anpassen. Wenn es darauf ankommt, sehr schnell und mit enormer Innovationskraft.
ZUR PERSON
Oberstleutnant i.G. Andreas Rapp ist Militäranalyst des German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) in Hamburg, dem sicherheitspolitischen Thinktank der Bundeswehr. Der Stabsoffizier beschäftigt sich mit Fragen moderner Kriegsführung, hybrider Bedrohungen und der militärischen Nutzung neuer Technologien. Seine Analysen verbinden operative Erfahrung mit strategischer Forschung und finden Eingang in die Beratung militärischer Entscheidungsträger der deutschen Streitkräfte.