Zahlreiche Pilotprojekte und strategische Partnerschaften belegen die zunehmende Relevanz des Industrial Metaverse in der Praxis. So arbeitet Mobilfunkausrüster Nokia gemeinsam mit Business Finland an energieeffizienten und sicheren Metaverse-Anwendungen für industrielle Einsatzszenarien – unter Einsatz von 5G- und XR-Technologien. Siemens kooperiert mit Red Bull Racing im Bereich digitaler Zwillinge zur Optimierung von Formel-1-Fahrzeugen. Der Lebensmittelkonzern Danone erstellt gemeinsam mit AVEVA digitale Abbilder seiner Produktionsstätten auf Basis von 3D-Scans, um virtuelle Anlagenbegehungen zu ermöglichen. Kein Wunder also, dass auch viele Experten vom langfristigen Erfolg der Technologie überzeugt sind: „Das Metaverse ist mehr als nur ein Hype. Sicher ist: Es wird kommen – in welcher Form und welchem Umfang auch immer“, ist sich Dietmar Laß, Forschungskoordinator beim Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie sicher.
Digitale Zwillinge als Schlüsselfunktion
Das Industrial Metaverse lässt sich als Weiterentwicklung der Industrie-4.0-Initiative verstehen. Es baut im Kern auf dem Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) auf. Intelligente Sensoren erfassen kontinuierlich physikalische Daten wie Geschwindigkeiten, Drehmomente, Durchflussraten oder Vibrationen und übermitteln diese an zentrale Systeme. Die anfallende Datenmenge ist enorm – in hochautomatisierten Fertigungsumgebungen können monatlich bis zu 2.000 Terabyte entstehen. Zur Analyse dieser Daten werden Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) und des Maschinellen Lernens (ML) eingesetzt. Ziel ist die Identifikation von Mustern und die Ableitung betrieblicher Optimierungspotenziale. Für die Echtzeitfähigkeit solcher Systeme sind leistungsfähige Netzwerktechnologien mit niedriger Latenz erforderlich – beispielsweise 5G.
Die erfassten Daten fließen in sogenannte digitale Zwillinge ein – virtuelle Repräsentationen physischer Objekte, Produkte, Prozesse oder ganzer Systeme. Sie bilden eine zentrale Schnittstelle zwischen der realen und der virtuellen Welt und begleiten den gesamten Produktlebenszyklus – von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zur Wiederverwertung. Zentrale Merkmale digitaler Zwillinge sind Echtzeitfähigkeit, Simulationskompetenz, Datenbasiertheit und Lebenszyklusorientierung.
Industrial Metaverse steigert Resilienz
Ein Unternehmen, das als Vorreiter im Bereich des Industrial Metaverse gilt, ist Siemens. Bernd Steinbrenner, Industry Lead für Österreich und die Schweiz bei Siemens Digital Industries Software, verweist im Gespräch mit dem Industriemagazin auf das Werk in Erlangen als praktisches Beispiel für den erfolgreichen Einsatz des Metaversums. „Wir haben unsere Fabrik vollständig digitalisiert – mit einem durchgängigen digitalen Zwilling.“ Die Produktionsabläufe wurden mit 360-Grad-Kameras erfasst, analysiert und darauf basierend optimiert. Ziel des Projekts war die Schaffung einer übertragbaren Blaupause für die digitalisierte Fabrik – inklusive Simulation, automatisierten Förderwegen und ERP-Systemintegration.
Die Methode erlaubt es laut Steinbrenner, Produktionsstandorte weltweit flexibel zu replizieren und auf globale Veränderungen dynamisch zu reagieren. Vor diesem Hintergrund versteht Siemens das Industrial Metaverse auch als strategisches Instrument zur Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Unternehmen. „Das ist für mich ein Thema der Resilienz – gerade in Zeiten globaler Unsicherheiten.“
Das Industrial Metaverse ermöglicht die nahtlose Verbindung physischer und digitaler Dimensionen industrieller Prozesse. Wie es letztlich aussehen wird, ist aber noch nicht gewiss. Bernd Steinbrecher: „Das Industrial Metaverse ist kein Produkt, sondern eine Journey.“