Militärtechnik Wien : Beyond Gravity wagt Umbruch: Satellitentechnik aus Wien für militärische Bodensysteme
Vom Space-Bereich zu Anwendungen am Boden? Das LEO-PNT-Projekt ist technologischer Treiber für die geplanten gefechtstauglichen Bodenempfänger von Beyond Gravity Austria
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Beyond Gravity Austria, bislang als verlässlicher Partner der europäischen und internationalen Raumfahrtindustrie bekannt, öffnet sich einem neuen Marktsegment: dem militärischen Bodenbereich. Das Wiener Unternehmen, Teil der Beyond Gravity-Gruppe (ehemals RUAG Space), entwickelt Navigationslösungen, die bislang vor allem auf Satelliten im Orbit zum Einsatz kommen. Nun sollen diese hochpräzisen Empfänger auch für landgestützte Anwendungen adaptiert werden – bis hin zur Nutzung in Gefechtsfahrzeugen. „Wir sind Spezialisten für Navigation. Unsere hochgenauen Empfänger für Satelliten können mit überschaubarem Aufwand so angepasst werden, dass sie auch am Boden eingesetzt werden können“, erklärt Geschäftsführer Kurt Kober.
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Damit rückt Beyond Gravity erstmals in den Bereich militärischer Bodenanwendungen vor – ein bewusster strategischer Schritt, wie Kober gegenüber INDUSTRIEMAGAZIN DEFENCE sagt: „Wir haben das auch dem österreichischen Bundesheer vorgestellt, inklusive der Möglichkeit, gefechtstaugliche Navigationsempfänger zu liefern. Die Signale waren durchaus positiv.“
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Raumfahrt-Know-how für Gefechtsfeldanwendungen: Beyond Gravity hebt ab in die Militärnavigation
Die Basis dieser Technologie liegt in der jahrzehntelangen Arbeit des Wiener Teams an präzisen Navigationssystemen für Raumfahrtmissionen. Fast alle europäischen ESA-Satelliten sind laut Kober "mit unseren Empfängern ausgestattet“. Beyond Gravity gilt als Haus- und Hoflieferant zahlreicher ESA-Programme sowie für mehrere NASA-Missionen – eine Position, die auf über 30 Jahre Erfahrung in der Navigationssignalerzeugung und -verarbeitung zurückgeht. Diese Expertise bildet nun die Grundlage für den Einstieg in den militärischen Bereich.
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Die Wiener Systeme sind in der Lage, GPS- und Galileo-Signale nicht nur zur Positionsbestimmung, sondern auch zur Zeitbestimmung für kritische Infrastrukturen zu nutzen. Damit lassen sie sich prinzipiell auch in militärischen Anwendungen einsetzen – etwa in gepanzerten Fahrzeugen, mobilen Radarstationen oder Drohnensystemen. „Wir könnten ein solches System morgen verkaufen, wenn es Bedarf gibt“, sagt Kober nüchtern. Die Hardware sei vorhanden, lediglich die Anpassung an militärische Anforderungen stehe noch aus.
Hightech aus Wien: Beyond Gravity baut Fertigungs-Hub für militärische Navigation auf
Die Entwicklung und Fertigung der Navigationssysteme erfolgt vollständig am Standort Wien. Beyond Gravity verfügt über eine eigene Elektronikfertigung, Montage, Testeinrichtungen und Entwicklungsabteilungen. Sollte das Unternehmen künftig in den bodengebundenen Defence-Bereich einsteigen, ist laut Kober jedoch auch Lohnfertigung in Österreich vorgesehen, um größere Stückzahlen effizient abwickeln zu können. Gespräche mit möglichen Elektronikauftragsfertigern laufen bereits. „Ich würde mir wünschen, dass wir die Fertigung in Österreich halten. Die gesamte Navigationsexpertise liegt hier im Land“, betont Kober. Auch in der europäischen Konzernstruktur habe der Standort Wien eine Sonderrolle: „Das einzige Kompetenzzentrum für Navigation im Konzern befindet sich hier.“
Neue Absatzmärkte und geringe Hürden: Militärtechnik wird für Beyond Gravity zum Wachstumstreiber
In Sachen Zertifizierungen ist der Übergang von der Raumfahrttechnologie zur militärischen Anwendung laut Kober vergleichsweise unkompliziert. Im Gegensatz zur zivilen Luftfahrt, wo umfassende Zertifizierungen erforderlich sind, seien die regulatorischen Hürden im militärischen Bereich deutlich niedriger. „Zertifizierungen können kleine Firmen umbringen“, sagt Kober mit Blick auf die Luftfahrt. „Im militärischen Bereich ist der Aufwand um ein, zwei Stufen geringer.“ Erfahrungen mit Exportkontrollen hat das Unternehmen bereits – die Exportfreigaben für Raumfahrtsysteme liegen in Österreich vorrangig beim Wirtschaftsministerium . Grundsätzlich sieht Kober derzeit keine großen Einschränkungen, weist aber auf die Notwendigkeit klarer Regeln für militärische Ausfuhren hin: „Man braucht wirtschaftliche Sicherheit, gerade was die Ausfuhrgenehmigungen betrifft.“
Im Vergleich zum Raumfahrtgeschäft eröffnet der militärische Bodenbereich ein Vielfaches an Absatzpotenzial. Während im Satellitensektor meist nur geringe Stückzahlen gefertigt werden – oft nur wenige Einheiten pro Jahr –, sprechen militärische Anwendungen von völlig anderen Größenordnungen. „Wenn man Fahrzeuge, Radarstationen oder andere Bodensysteme mit Navigationselektronik ausstattet, kann der Umsatz durchaus verdoppelt werden“, so Kober. Zwar sei der Einzelpreis pro Gerät niedriger, aber die Masse mache den Unterschied. Der Markt sei zudem offener für Anbieter aus Europa: „Es ist gar nicht so leicht, gute, verlässliche Hersteller zu finden – auch nicht in den USA. Das habe ich schon früher untersucht.“ Beyond Gravity sieht hier eine Marktlücke, die mit der bestehenden Technologie schnell geschlossen werden könnte.
Von Galileo zu LEO PNT: Beyond Gravity drängt an die Spitze europäischer Navigationsprogramme
Die österreichische Beyond Gravity-Tochter ist seit Jahrzehnten eng mit europäischen Navigationsprogrammen verbunden. Das Unternehmen ist am europäischen Satellitennavigationssystem Galileo beteiligt, liefert etwa den Thermalschutz und teilweise Mechanismen. Über die Jahre habe das Wiener Team zudem Know-how in der Signalerzeugung und -verarbeitung aufgebaut, das nun im neuen Geschäftsfeld genutzt werden soll. „Wir sind in Europa federführend bei der Navigation“, sagt Kober selbstbewusst. Dieses Wissen soll künftig nicht nur im All, sondern auch auf der Erde genutzt werden.
Parallel zum Einstieg in den militärischen Bereich arbeitet Beyond Gravity an einem zukunftsweisenden europäischen Projekt: LEO PNT – kurz für Low Earth Orbit Positioning, Navigation and Timing. Dabei geht es um eine neue Generation von Navigationssatelliten, die in niedrigen Umlaufbahnen (etwa 500 Kilometer Höhe) operieren. Ihr Signal ist stärker, robuster und weniger störanfällig als das der bisherigen Galileo-Satelliten, die in rund 23.000 Kilometern kreisen. „Die Signale liegen unter dem Rauschpegel und lassen sich relativ leicht stören – wie man in Osteuropa sieht, wo GPS teils nicht mehr verfügbar ist“, erklärt Kober. LEO PNT soll diese Schwäche ausgleichen, indem zusätzliche Frequenzbänder und niedrigere Umlaufbahnen für höhere Resilienz sorgen. Beyond Gravity ist in der ersten Phase der Demonstration beteiligt – gemeinsam mit der deutschen OHB und der spanischen Firma GMV. Der erste Testsatellit soll Ende des Jahres starten, weitere folgen 2026.
Langfristig strebt Kober an, dass Beyond Gravity die Nutzlastverantwortung (Payload Prime) für das europäische System übernimmt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Österreich seine Beiträge zur ESA erhöht: „Wir brauchen von der Regierung mehr Mittel im ESA-Budget, sonst können wir an der Systementwicklung nicht mitbieten“, so Kober mit Blick auf die bevorstehende Ministerkonferenz im November. Mit einem Beitrag von rund 30 Millionen Euro könnte Österreich sich die Beteiligung an LEO-PNT sichern – ein Schritt, der über die Weltraumindustrie hinausreichende wirtschaftliche Effekte hätte.
Technologiesprung aus dem All: LEO PNT befeuert Entwicklung robuster Gefechtsnavigation
Das LEO-PNT-Projekt ist auch technologischer Treiber für die geplanten gefechtstauglichen Bodenempfänger. Diese Systeme könnten künftig als Teil einer europäischen Navigationsinfrastruktur sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden. Sie empfangen mehrere Frequenzbänder, sind robuster gegen Störungen und können in komplexen Umgebungen – etwa Städten oder unter dichter Vegetation – stabilere Ergebnisse liefern. „Diese Empfänger sind deutlich widerstandsfähiger, lassen sich nicht so leicht stören und wären daher für das Militär besonders interessant“, sagt Kober. Beyond Gravity ist eines der wenigen europäischen Unternehmen, das an solchen Systemen arbeitet – ein potenzieller Wettbewerbsvorteil.