Auftakt der Metaller-Lohnrunde : Christian Knill sieht Situation dramatisch: "Wir können nicht die ganze Inflation abdecken"

ABD0019_20230907 - WIEN - ÖSTERREICH: Obmann Christian Knill anl. des Pressegesprächs der WKÖ - Fachverband Metalltechnische Industrie (FMTI) "Metalltechnische Industrie ? Branchenausblick zum Start der KV-Runde, aufgenommen am Donnerstag, 07. September 2023, in Wien. - FOTO: APA/EVA MANHART
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Chefverhandler Christian Knill hat in der Auftakt-Pressekonferenz auf die dramatisch Situation für die Metalltechnische Industrie hingewiesen, im Interview mit Industriemagazin-Chefredakteur Rudolf Loidl erklärt er seinen Standpunkt in Bezug auf eine möglichen, erneuten hohe Lohnabschluss.

Industriemagazin:
Wir haben es gerade gehört. Fast ein Drittel aller Metallunternehmen erwartet für heuer ein negatives EBIT. Das sind erschreckende Zahlen. Wie hoch ist der Druck auf Sie persönlich dieses Jahr bei den Kollektivvertragsverhandlungen?

Christian Knill:

So hoch wie noch nie. Weil eben die Aussichten von Seiten der Wirtschaft generell - aber speziell in unserer Branche - sehr betrübend sind, um nicht das Wort schlecht zu verwenden. Wir haben einen deutlichen Rückgang der Auftragseingänge in den letzten zwölf Monaten zu verzeichnen, aber ganz besonders gravierend in den letzten sechs Monaten, fast 20 %. Auch die Produktion, also der Umsatz der Produktionsleistungen geht zurück, real um fast 6 %. Und wir haben sehr viele Anrufe jetzt schon im Vorfeld der Herbst-Verhandlungen, die Angst haben, dass ein zu hoher Abschluss in ihrer Wettbewerbsfähigkeit aus dem Markt katapultiert.

Industriemagazin:

Können Sie uns das einordnen? Sie erwähnen einen Produktionsrückgang, einen Einbruch der Auftragseingänge. Ist das noch ein normaler Abschwung im Konjunkturzyklus oder ist das schon mehr?

Knill:

Das ist schon deutlich mehr. Es hat sich ja schon abgezeichnet bis letztes Jahr im Sommer, Herbst. Im August haben wir schon gemerkt, dass die Auftragseingänge deutlich zurückgehen. In den letzten zwölf Monaten ist es noch bei den Umsätzen der Produktionswerte nur leicht zurückgegangen, um die 2 %. Aber es hat sich jetzt in den letzten Monaten eben verstärkt. Die letzten sechs Monate waren also 5,5 %.
Und wir haben jetzt auch die Juli Daten gehört von der gesamten Industrie, wo man jetzt schon von minus 11 Prozent sprechen. Also es ist schon ein langsamer Aufbau und wir befürchten eben, dass der Höhepunkt eigentlich erst nächstes Jahr sein wird. Viele haben Gott sei Dank noch relativ gute Auftragsstände bis jetzt im Aufarbeiten oder Abarbeiten, speziell die Maschinenbauer, die ja längere Durchlaufzeiten haben. Da merkt, dass wenn jetzt nichts reinkommt, dann kommt irgendwann das Loch und sehen wir jetzt auch deutlich bei den Prognosen und bei den Umfragen, die wir ständig machen.


>>>> Christian Knill gibt Pressekonferenz zur Metaller-Lohnrunde



Industriemagazin:

Wir sehen jetzt schon fast zwölf Monate deutlich höhere Inflationsraten, selbst im Vergleich zum Kernwettbewerbsland Deutschland. Was bedeutet das eigentlich für Ihre Industrie?

Knill:

Genau. 80 %, exportieren wir grundsätzlich, das heißt, wir müssen uns am Weltmarkt messen und da kriegt meistens nur der, der am besten ist, den Auftrag und der zweite, dritte, vierte, sondern meistens der beste. Und Deutschland ist mit 40 % unser mit Abstand größte Exportmarkt. Und wenn sich dort natürlich auch die Wirtschaft abschwächt und es hat sich leider schon ein bisschen vor uns in Österreich leider abgezeichnet, dort ist es schon seit dem vierten Quartal 2022 so, dass eine Rezession vorherrscht. Die kommt jetzt mit einer leichten Verspätung in Österreich an und hat schon eine große Auswirkung. Und dass bei uns die Inflation höher ist, nach wie vor die dritthöchste im ganzen Euroraum, verschärft die Situation. Denn die Inflation trifft ja nicht nur jeden Haushalt, jeden Österreicher, jede Österreicherin, sondern trifft natürlich auch uns Unternehmer. Uns das tut uns ja auch weh. Und wenn jetzt gesagt wird, wir müssen auf jeden Fall die Inflation abdecken oder diese Teuerung abdecken, dann haben wir das doppelt zu bezahlen. Auf der einen Seite eben selber mit den höheren Preisen, auf der anderen Seiten dann eventuell mit einem hohen Abschluss eben dann auch noch und das verkraften wir einfach nicht mehr.

Industriemagazin:

Egal wie gut Sie verhandeln, 2023 wird bei den Personalkosten ein Anteil von fast 25 % in Ihrer Branche jedenfalls eine Kostenlawine auf Sie zukommen. Sehen Sie da eine Renaissance des Themas Personalproduktivität im Sinne von stärkerer Automatisierung und Digitalisierung in der Branche?

Knill:

Ich glaube, das ist ein ständiger Prozess. Ich glaube, dass wir ständig schauen müssen, was kann man verbessern. Ob das jetzt durch Automatisierung, durch Digitalisierung ist, ob das durch bessere Prozesse ist, da sind wir ständig gefordert, weil wir eben 8 von 10 Euro exportieren. Es ist einfach jetzt so eine Situation, dass wir auch im letzten Jahr eigentlich schon an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber unseren Nachbarländern, aber eigentlich auch im gesamten Euroraum verloren haben und jetzt gilt es einfach da auch mit Augenmaß vorzugehen, dass wir da nicht weiter an Boden verlieren, denn sonst sehe ich einfach, dass es für viele Unternehmen sehr, sehr schwierig wird.

Industriemagazin:

Ist also Personalproduktivität nicht so sehr eine Automatisierung, sondern eigentlich ein STANDARD Thema?

Knill:

Natürlich, bei einigen die es können kommt natürlich die Standortfrage schon hinzu. Wenn ich auch die Möglichkeit habe, in anderen Ländern zu produzieren oder in anderen Ländern zu arbeiten und dort die Standortbedingungen, sprich auch die Personalkosten deutlich billiger sind oder sich in eine bessere Richtung entwickeln, dann werden wir durchaus überlegen, ob es nicht gescheitert ist, Sachen in einem anderen Land zu machen. Das ist ein Standortthema, ganz, ganz klar.

Industriemagazin:

Sie sagen, für viele von Ihnen vertretene Unternehmen kann es keine wie bisher geübte Formel Inflation plus geben, weil sich das einfach nicht mehr ausgeht. Was könnten denn alternative Modelle sein?

Knill
:
Da möchte zunächst einmal sagen, dass seit 1985 war die Inflation nie höher als 4 %. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wir haben einfach in den letzten beiden Jahren eine exorbitant hohe Inflation, die uns allen weh tut. Die tut nicht nur den Österreichern und Österreicherinnen weh, sondern auch uns Unternehmern weh. Das Thema ist, dass die Regierung meiner Meinung nach schon einiges getan hat, gerade in den unteren Einkommensklassen, dass die Teuerung zum Großteil kompensiert wurde. Das heißt, das Einkommen ist eigentlich nicht geringer geworden, das ist ja in einigen Studien auch bewiesen worden. Aber die Teuerung ist halt nach wie vor hoch und wir sind einfach der Meinung, dass wir nicht die ganze Teuerung jetzt zusätzlich noch schultern sollen, wenn die Regierung ja auch schon einiges getan hat. Und da sicher als zweiten Schritt neben der Hilfe für die Einkommen, dass die Einkommen sozusagen nicht sinken, das haben sie gemacht, meiner Meinung nach. Aber sie haben es nicht geschafft, die Inflation zu senken. Und jetzt gilt es also mit Hochdruck die Inflation zu senken. Wobei ich auch ganz klar dezidiert sage: Preiseingriffe in einen freien Markt halte ich für tödlich und nicht gut. Aber es gibt sicher andere Möglichkeiten einzugreifen und es gehört schleunigst noch gemacht, was möglich ist. Aber wir können jetzt nicht die volle Inflation abdecken. Wir sind nicht für die Kaufkraft aller Österreicher zuständig. Wir sind zuständig, dass wir Jobs absichern, dass wir Aufträge kriegen und dass der Standort weiter für uns und für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen attraktiv bleibt.

Industriemagazin:

Sie haben es gerade angesprochen: gerade für Niedrigverdiener sind durch die Einmalzahlungen der Regierung die Inflationseffekte vorerst abgegolten worden. Jetzt ist Ihre Branche alles andere als eine Niedriglohn-Branche. Bedeutet das nicht, dass gerade Ihre Mitarbeiter durch den Abschluss deutlich unter der Inflationsrate Kaufkraft verlieren?

Knill:

Erstens zahlen wir im Schnitt jedem Arbeiter mehr als €51.000 und jedem Angestellten ungefähr €72.000. Wie gesagt, auch diese Mitarbeiter haben an Einkommen wenig verloren, weil sie eben auch profitiert haben von Maßnahmen, die der Staat gemacht hat. Ich erinnere nur an die Abschaffung der kalten Progression. Da kommt immerhin einiges an Geld oder letztendlich bleibt netto einiges über. Das Thema ist, dass die Inflation nicht ständig so hoch bleibt, sondern die ist jetzt sehr hoch und sie ist ja jetzt auch schon etwas zurückgegangen. Die Prognosen oder die Wirtschaftsexperten sagen ja, dass sie nächstes Jahr auch um einiges zurückgehen soll aus diversen Gründen. Aber wenn wir jetzt nachhaltig zu hoch erhöhen, dann bleibt uns das ewig hängen und das geht nicht. Und deswegen sagen wir, wir können nicht bei so einer hohen Inflation einfach Formeln heranziehen, die die seit 40 Jahren immer herangezogen wurden, sozusagen. Wir können nicht immer nach hinten schauen, wir müssen auch nach vorne schauen. Wir zahlen ab 1. November die höheren Löhne und da braucht es diesmal Zurückhaltung und auch Vernunft und einen vernünftigen Abschluss.

Industriemagazin:

Glauben Sie, dass die Gewerkschaft etwa durch Angebote im Bereich Arbeitszeitflexibilisierung Kompromisse im Lohnbereich machen könnte?

Knill:

Das werden wir sehen. Aber es gibt da einige Pakete, die wir mit den Gewerkschaften verhandelt werden, einige Vorschläge, einige Lösungen. Wir hoffen oder sind zuversichtlich, dass wir da auch Lösungen finden werden. Aber wie gesagt, wir können unmöglich so hohe Teuerungen alleine schultern. Das geht nicht

Industriemagazin:

Eine Abschlussfrage: Sie sind bei den Metaller-Verhandlungen ja eigentlich so etwas wie ein alter Hase und seit zwölf Jahren dabei. Zum allerersten Mal sitzt Ihnen heuer ein neuer gegenüber, nämlich Reinhold Binder als neuer Chef der Produktionsgewerkschaft. Was erwarten Sie von ihm?

Knill:

Also ich möchte persönlich nicht in der Rolle von Herrn Binder stecken, abgesehen davon, dass ich mit der Gewerkschaft nichts zu tun haben will. Aber er hat natürlich einen schweren Stand, weil er das erste Mal jetzt heuer verhandelt und die Erwartungen seiner Mitglieder dementsprechend hoch sind und vielleicht seine eigenen auch. Aber ich glaube, man muss einfach auch an die Vernunft appellieren und sagen egal, es geht jetzt nicht um die Person Binder, sondern es geht um die Zukunft unserer Wirtschaft und unserer Industrie. Und da gilt es einen gemeinsamen guten Kompromiss zu finden. Da müssen die Persönlichkeiten oder die persönlichen Ziele oder persönlichen Dinge einfach hintangestellt werden. Da geht es ums große Ganze und da denke ich schon, dass der Herr Binder auch an das denken wird.

Neue Sendung: die Industriemagazin-News vom 13.09.2023