Automatisierung : Europas unterschätzte Branche

Julian Feinauer, Gründer und Geschäftsführer von pragmatic industries
© Feinauer

Momentan herrscht Krisenstimmung in der Industrie – Lieferengpässe, Energieversorgung und Fachkräftemangel treffen auch die Automatisierer. Für viele dieser Themen hat die Branche aber auch passende Antworten. Die Firmen werden der große Gewinner der verstärkten Investitionen in erneuerbare Energien sein. Wie nachhaltig viele ihre Lösungen sind, haben sie den Kunden schon seit Jahren erklärt, doch die Investitionen scheuten manche dann doch noch. Mit den neuen Preisen am Energiemarkt ändert sich das jetzt schlagartig.

Die Themen sind vielfältig. Es fängt beim Thema Speicherlösungen, bidirektionales Laden, DC-Netze oder ungeregelte Motoren an und hört bei der Vernetzung von Maschinen beispielsweise mit PV-Anlagen auf dem Dach auf. Auch beim grünen Wasserstoff brauchen die Anwender die Kompetenz der Elektrotechniker.

In den Medien kursieren Horrorszenarien für die deutsche und europäische Industrie. Mir wird da nicht bange. Ich weiß um die Stärke der Automatisierer aus Europa. KEBA, Murr, Beckhoff, Phoenix Contact, Sick, Balluf und viele andere, die ich nicht aufzählen kann, weil mir sonst die Redaktion auf die Finger klopft. Die verdienen ihr Geld nicht nur in Europa, sondern auch in den vielen anderen Ländern auf der Welt, die ebenfalls Geld in die Hand nehmen für Energieeinsparungen, Windkraft, Wasserstoff und Automatisierung. Die österreichischen Kolleginnen und Kollegen von Bachmann electronic gehören zur Weltspitze, wenn es um Windkraftanlagen-Steuerungen geht - nicht nur in Europa.

Gute Autos bauen auch die Amerikaner, Japaner oder Chinesen. Aber gute Automatisierung der Produktionstechnik kommt in den meisten Fällen noch aus Europa. Und dabei geht es nicht nur um Steuerungstechnologie, sondern auch beispielsweise um die vielen Logistikzentren, die seit Jahren vor allem von großen europäischen Unternehmen weltweit automatisiert werden: WITRON, TGW oder SSI Schäfer sind nur drei Namen.

Aber machen wir uns nichts vor: Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir uns alle gegenseitig die Digitalisierung unserer Prozesse und Geschäftsmodelle versprochen. MS Teams können die meisten jetzt schon ganz gut. Ich habe Angst, dass wir mit dem Boom der nächsten Jahre das Thema IT ein stückweit wieder vergessen. Das darf nicht passieren. Wir werden in Zukunft nicht nur mehr über Machine2Machine-Kommunikation sprechen, sondern wir werden auch Energiedaten einbinden müssen, um Fabriken ökonomisch und ökologisch zu betreiben. Wer das als Unternehmer nicht tut, bei dem wird sich der Fachkräftemangel nochmal verschärfen.

Digital Automation ist ein neues Buzzword, aber es muss mit Leben gefüllt werden. Wir müssen Elektrotechnik und IT endlich zusammen denken. Wir haben als Branche eine riesige Chance, uns damit noch unverzichtbarer zu machen. Aber eine große Bitte: Lasst uns das ganze offen machen, offene Standards, echte Kooperation Implementierungen in Open Source. Lasst uns die Energie und Kapazität auf die Inhalte bündeln und nicht auf die Gestaltung von Working Groups, Konsortien oder Assoziationen, die sich dann überlegen, dass man sich mal überlegen müsste, sich mal was zu überlegen. Einfach machen.