Interview : Wittmann-Battenfeld-Chef Werner Wittmann: "Eine einzigartige Situation"

Wittmann-Produktionslinie
© Bosch Rexroth / Rolf Nachbar

Herr Wittmann, 2019 hagelte es aus der Automobilindustrie Auftragsstornos, 60 Stellen im Produktionswerk Kottingbrunn mussten abgebaut werden. Als man Anfang 2020 aus dem gröbsten heraus schien, kam der Ausbruch der Pandemie. Das muss man mal verdauen, oder?

Michael Wittmann Die vergangenen 36 Monate waren in der Tat eine Achterbahnfahrt. Im zweiten Halbjahr 2018 trübte sich der konjunkturelle Ausblick ein, die Investitionsvorhaben gingen zurück. Unser Umsatz hängt zu 50, 60 Prozent an der Automobilindustrie und durch die massiven Investitionen in die Elektromobilität war der normale Produktzyklus sehr abrupt unterbrochen. Wir reden nicht von der Zahl verkaufter Fahrzeuge, die für uns als Maschinenbauer eher nebensächlich ist. Es geht vielmehr um die Neueinführung von Fahrzeugmodellen, die für uns relativ überraschend und unerwartet, gewaltig ins Stocken geriet. Die Folge war ein Absatzeinbruch bei Spritzgießmaschinen und automatisierten Arbeitszellen gleichermaßen. Rückblickend stellte das Jahr 2019 beim Auftragseingang unseren Tiefpunkt dar.

Die konjunkturelle Erholung folgte dann inmitten des Pandemiejahrs. Wie erklären Sie sich diesen Effekt?

Wittmann Schon im ersten Quartal 2020 zeichnete sich ab, dass es zu einer Normalisierung kommen wird. Natürlich bremste uns der nahezu global verordnete und umgesetzte Lockdown, da Investitionsgüter nun einmal nicht vom Homeoffice aus bestellt werden. Im dritten Quartal und sehr zügig nach Aufnahme der gewohnten Geschäftstätigkeit in der Industrie, trat die Kehrtwende ein. Die Investitionsvorhaben zogen an und der Aufwärtstrend hält bis heute unvermindert an. Eine Steigerung, bei der uns schon fast angst und bange wird. Eine derartige Hochphase im Auftragseingang hatten wir in unserer Unternehmensgeschichte noch nicht.

Allesamt Nachholeffekte?

Wittmann Das wüsste im Detail auch gerne das Management unserer jeweiligen Niederlassungen. Sicher handelt es sich dabei zu einem großen Teil sind es um Nachholeffekte. Auch die jeweiligen Investitionsunterstützungen in den Ländern tragen ihren Teil dazu bei. Klar Jedenfalls ist im 3. Quartal 2020 dass eine Branche nach der anderen angesprungen, ist. die Medizintechnik, die Verpackungsindustrie, der Freizeitbereich, die Weißware und so weiter.

Viele Personen verpassten ihrem Haushalt im Lockdown oder Home-Office ein Upgrade, was die privaten Investitionsausgaben entsprechend anhob. Und gegen Ende 2020 hat auch die Automobilindustrie zuvor ausgelassene Investitionen nachgeholt. Wobei wir da nicht bei jedem unserer Kunden nachbohren, wo der produzierte Teil letztendlich verbaut wird.

Herr Weingraber, wie planbar ist Ihr Geschäft angesichts urplötzlicher Nachfragespitzen und Einbrüche aktuell überhaupt?

Weingraber Es ist nicht so, dass wir die Nachfragedelle 2019 nicht kommen sahen. Ein überhitzter Markt ließ Überkapazitäten entstehen. Jedem war klar, dass die Konjunktur nicht ewig so weiterläuft.

Wie sehr schlägt der Wandel in der Antriebstechnik bei Elektrofahrzeugen auf Maschinenbauer durch?

Wittmann Vielleicht gehen wir aus der Antriebswende sogar als Gewinner hervor, jedenfalls sehen wir als Maschinenhersteller dem Ganzen sehr entspannt entgegen. Das limitierende Element bei der Elektromobilität wird anfangs noch die Lebensdauer der Speichertechnologie sein. Es ist also davon auszugehen, dass sich die kürzere Lebensdauer fürs erste in rascheren Fahrzeuglebenszyklen niederschlagen wird und somit die Investitionsvorhaben der Automobilfirmen steigert.

Weingraber Der Unterschied zwischen Elektrofahrzeug und Verbrenner ist, was die verbauten Kunststoffteile betrifft, nicht immens groß. Wesentliche Interieur- und Exterieurteile, die anteilsmäßig extrem viel ausmachen, sind unverändert. Dann kann man sich über ein paar Teile unterhalten, die es dann vielleicht nicht mehr gibt wie eine Geräuschabdeckung des Motors. Dafür gibt es in der Batterie selbst sehr viel mehr Stecker und Halterungen. Also ja: Der Einfluss auf uns als Maschinenhersteller ist gering.

Unabhängig von der Antriebsform spannend ist die Tendenz hin zu Touch-Bedienelementen statt klassischen Schaltern und Lichtelementen wie etwa der Ambientebeleuchtung für Premiumanmutung. Da liegt auch für uns zusätzliches Geschäft. Wobei wir zum Beispiel mit der Technologie etwa des Folienhinterspritzens langjährige Erfahrung haben.

Biobasierte Kunststoffe gelten als Hoffnungsträger einer stärker kreislaufbasierenden Wirtschaft. Was fehlt da zum ganz großen Durchbruch?

Wittmann Es gibt hier einiges an Bewegung, sowohl in der Forschung, als auch in Kundenprojekten. Mit einem Schlag agiert man auf einem neuen Feld mit Riesenpotenzial und selbstverständlich neuartigen Herausforderungen. Eine besteht darin, dass biobasierte Polymere auf nachwachsender Rohstoffbasis bei der Verarbeitung größere Prozessschwankungen mit sich bringen und typischerweise entsprechend schwieriger zu verarbeiten sind als erdölbasierte Polymere.

Außerdem braucht es einen nachwachsenden Rohstoff, der aus ethischen Gesichtspunkten im großen Stil eingesetzt werden kann und nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht. Wie weit sich Abfälle - etwa bei der Zuckerrohr- oder Reisverarbeitung -, aber auch Stärke und Cellulose als dafür geeignetes Massenprodukt eignen, wird untersucht.

Wie ein geschlossener Recycling-Kreislauf funktionieren kann, sieht man bei PET. Gut eingeführt, könnte das Image des Prozesses jedoch besser sein.

Wittmann Die schlechte Reputation von PET ist weder fair noch gerechtfertigt, solange das Material, zum Beispiel in Form einer PET-Flasche im Kreislauf verbleibt. In Deutschland werden mit Hilfe eines Pfandsystems Rückführquoten von 97 Prozent erreicht, der Rest wird größtenteils der thermischen Verwertung zugeführt. Im Sinne von Umweltschutz und geringerem Energieeintrag bei der Produktion wäre das auch für andere Kunststoffmaterialien wünschenswert.

Weingraber Und wenn man Kunststoffe ohne vernünftiger Grundlage wegdenkt, müssten wir wohl auf vieles, das uns lieb ist, verzichten. Im Moment sind wir nicht in der Lage, ihn zu substituieren.

Wie beherrschbar sind die aktuellen Auslastungsspitzen im Werk Kottingbrunn - und verweisen diese auf einen nachhaltigen Aufschwung?

Wittmann Wir sind in unserer Branche definitiv in der Post-Corona-Zeit angekommen und liegen in fast allen Bereichen an der Kapazitätsgrenze. Eine einzigartige Situation. Gebremst werden wir nur durch Probleme und Lieferverzögerungen bei der Beschaffung von unterschiedlichsten elektronischen Komponenten. Die sind weltweit zur knappen Ware geworden. Bei der Vergabe von neuen Rahmenverträgen liegt man sehr rasch bei 60 Wochen Lieferzeit und teilweise sogar darüber. Im geringeren Ausmaß sind auch Motoren, Platinen für die Blechverarbeitung oder Aluminiumprofile von Verknappung oder extremer Preissteigerung betroffen.

Weingraber Nach einer derartigen Konjunkturdelle wäre ein homogenes Hochfahren der Wirtschaft von null auf hundert auch illusorisch. Aber wir glauben an uns, mit unseren Lieferzeiten sind wir voll konkurrenzfähig und wir haben innerhalb der Wittmann-Gruppe auch kräftig investiert. Das betrifft Vertriebsniederlassungen, deren Ausbau läuft, die erweiterte Software- und Mechatronikentwickung in Wien, ebenso wie unser Produktionwerk Ungarn und den Standort Kottingbrunn, an dem wir eine neue Logistikhalle und im Zuge dessen auch zusätzliche Montageflächen für einen Kapazitätsprung schaffen.

Ihr Vater, Werner Wittmann, Mitgesellschafter und Mitglied der Geschäftsführung, hat schon so manches konjunkturelle Auf und Ab erlebt. Gab es von ihm in den vergangenen Monaten Durchhalteparolen zu hören?

Wittmann Natürlich. Er ist die treibende Kraft hinter denr Investitionen. Und steht als solcher voll hinter den Erweiterungsschritten.

Wie sehen die Ziele für 2021 aus?

Weingraber Wir rechnen mit einem zweistelligen Plus. Im Auftragseingang des ersten Quartals sieht man, dass dieses Ziel auch erreichbar ist.

Welche Rolle spielt der chinesische Markt für Sie dabei?

Wittmann China ist derzeit für etwa ein Zehntel unseres Gruppenumsatzes gut. Das ist durchaus ausbaubar. In unserem chinesischen Produktionswerk in Kunshan fertigen wir Roboter für Kunststoffmaschinen und Peripheriegeräte wie etwa Temperiergeräte, Trockner oder Mühlen, aber auch Fördergeräte. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen wir auch in Kunshan die Maschinenproduktion aufnehmen.

Und unterschiedliche Qualitätsstandards durchsetzen?

Wittmann Das ist nicht Teil unserer Philosophie. Ob Europa, Asien oder Amerika: Wir fahren eine Linie.

Sie produzieren an der US-Ostküste, in Torrington im Bundesstaat Connecticut. Hat die Abwahl der US-Administration ein neues Klima geschaffen?

Wittmann Trump hat die lokale Produktion gestärkt, was unserem US-amerikanischen Produktionswerk entgegenkam. Es läuft auch weiterhin sehr gut. Ich erlebe große Pragmatik in der US-Wirtschaftspolitik, unabhängig davon, welche Partei die Administration stellt und die Agenden vorgibt.

Unter der Biden-Administration kommt uns der verstärkte Fokus auf Umweltschutz zugute, da wir als europäischer Hersteller schon bisher sehr viel Wert auf Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft legten. Da erkennen wir für uns am US-Markt einen gewissen Startvorteil gegenüber Marktbegleitern aus anderen Ländern.

Herr Weingraber, 2020 wurden rund 800 Maschinen von Wittmann Battenfeld ausgeliefert. Welche Steigerung ist da noch drin?

Weingraber Die Automatisierung des internen Materialflusses bringt einen Technologiesprung. Und der Ausbau schafft zusätzlichen Platz für Montageflächen. Eine Steigerung von bis zu 80 Prozent - sowohl in Mosonmagyaróvár als auch in Kottingbrunn - ist realistisch.

Über welchen Zeitraum?

Wittmann Ich beantworte das so: 2018 waren wir von unserem Ziel, die 500-Millionen-Euro-Umsatz-Marke zu knacken, nicht allzuweit entfernt (425 Mio. Euro, Anm.). Fünf Jahre sind für dieses Ziel zu viel, zwei Jahre wohl zu wenig.