Kommen jetzt die Inder? : Thyssenkrupp und Křetínský: Das Ende einer Stahlromanze

Thyssenkrupp und Investor Kretinsky geben Stahl-Joint-Venture auf: Kretinskys EPG gibt 20-Prozent-Beteiligung zurück und die Zukunft der Stahlsparte bleibt weiter ungewiss
Die geplante „Stahlhochzeit“ zwischen Thyssenkrupp und Daniel Křetínskýs EP Group ist abgesagt – und zwar im Guten. Beide Seiten haben die Gespräche beendet, offiziell einvernehmlich. Die Tschechen geben ihren 20-Prozent-Anteil zurück, samt Rückerstattung des Kaufpreises. Eine Art „Stahl-Nullrunde“. Das ist, flapsig formuliert, das Ergebnis längerer Gespräche zwischen Thyssenkrupp und der EP Group des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský.
Für Thyssenkrupp wäre der Einstieg von Křetínský ein strategischen Hebel für die Umstrukturierung der Stahlsparte gewesen – insbesondere, um finanzielle Mittel, Expertise und Investitionen zur Dekarbonisierung zu mobilisieren. Die Zukunft von Thyssenkrupps Stahlsparte ist seit Jahren unsicher: Überkapazitäten drücken, bis zu 11.000 der 27.000 Jobs stehen vor Streichung oder Auslagerung.
Für den reichsten Mann Tschechiens, der rund um Handelsunternehmen wie Metro sowie Energieunternehmen ein Milliardenimperium erschaffen hat, wäre Thyssenkrupp Steel eine Chance gewesen, in eine größere Transformationsbranche einzusteigen – mit Einfluss auf die Energie- und Stahlwende in Europa – und eine Beteiligung mit Wachstumsperspektive.
Zudem, so hiess es, versprach der Deal für Křetínský eine starke Positionierung auf dem deutschen und europäischen Stahlmarkt und die Möglichkeit, ein 50:50 Joint Venture mit dem klassischen deutschen Industriekonglomerat aufzubauen.

Längst Spekulationen, dass Křetínský aus dem Deal aussteigen will
Das Joint Venture mit Křetínský wurde im April 2024 eingefädelt, als Thyssenkrupp bekannt gab, 20 Prozent seiner Stahlsparte an dessen EP Corporate Group (EPCG) zu verkaufen und über weitere 30 Prozent für eine 50:50-Gemeinschaftsgesellschaft zu verhandeln. Im Juli 2024 wurde der Verkauf der 20 prozentigen Beteiligung vollzogen.
Doch zuletzt gab es immer wieder Spekulationen, dass Křetínský aussteigen wolle, weil die Verhandlungen über das vollständige Joint Venture stockten, Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften seiner Beteiligung mangelnde Transparenz vorwarfen und Thyssenkrupp – laut CEO Miguel López – bereits vertragliche Rückabwicklungsmechanismen für den Fall eines Scheiterns eingeräumt hatte.
Jetzt wird klar, die Spekulationen waren nicht ganz aus der Luft gegriffen: Die EPG respektiert den Wunsch von Thyssenkrupp sich auf die Gespräche mit dem indischen Konzern Jindal Steel über dessen indikatives Angebot für Thyssenkrupp Steel Europe zu konzentrieren, heisst es aus Prag. Die EPG werde ihren 20-prozentigen Anteil an Thyssenkrupp Steel Europe zurückgeben und eine Rückerstattung des Kaufpreises erhalten.

Jindal Steel - in Europa eher unbekannt
Ob das Angebot aus Indien nur ein komfortables Absprungbrett für die Tschechen ist, ist unklar: Tatsache ist, der indische Unternehmer Naveen Jindal will mit seinem Familienkonzern Jindal Steel Europas zweitgrößten Stahlhersteller übernehmen – zunächst mit 60 Prozent, später wohl auch den 20-Prozent-Anteil von Investor Daniel Křetínský.
In den nächsten Wochen prüfen die Inder die Bücher, ein Deal könnte schon im Januar stehen.
Der Name Jindal ist in Europa kaum ein Begriff – in Indien dagegen ein Synonym für Stahl. Das Familienimperium zählt zu den größten privaten Produzenten des Landes und ruht auf zwei Säulen: Jindal Steel & Power (JSPL), spezialisiert auf Kohle- und Baustahl, sowie Jindal Stainless (JSL), Indiens führender Hersteller von Edelstahl. Zusammen bringen es die Werke auf rund 18 bis 20 Millionen Tonnen Rohstahl pro Jahr – fast doppelt so viel wie Thyssenkrupp Steel Europe zuletzt erzeugte.

Wer ist Naveen Jindal?
Wer ist eigentlich Naveen Jindal, jener Mann, der in Zukunft die Geschicke der Hütte in Duisburg bestimmen könnte? Diese Frage stellten sich zuletzt wohl auch etliche Aufsichtsräte, Gewerkschafter und Mitarbeiter von Thyssenkrupp.
Der Sohn des Firmengründers O.P. Jindal leitet die Stahl-Sparte eines Energie- und Baustoffimperiums, das seine Familie zur drittreichsten Indiens gemacht hat – mit rund 40 Milliarden Euro Vermögen, also in der Größenordnung des Bruttoinlandsprodukts von Kroatien.
Das Zurschau-Stellen ihres enormen Reichtums ist den Jindals fremd. Seinen Stahlkonzern hat der Mann der schon mal mit kleinem Auto vorfährt in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem der größten Produzenten des Landes geschmiedet.
Wirklich berühmt wurde er in Indien aber weniger am Hochofen als vor dem Höchstgericht: Mehr als zehn Jahre lang stritt Jindal darum, die Nationalflagge nicht nur an Feiertagen hissen zu dürfen. 2004 gab der Supreme Court ihm recht – seither gilt er als Ikone für Patriotismus und Bürgerrechte.
Auch politisch hat Jindal Flagge gezeigt: Zehn Jahre lang saß er für die traditionsreiche Kongresspartei der Gandhi-Dynastie im Parlament. 2024 wechselte er dann die Farben zur BJP von Premierminister Modi – und schaffte prompt sein Comeback im Parlament. Derzeit tritt Jindal vor allem als Unternehmer mit großen Expansionsplänen auf: In indischen Medien wird das Übernahme-Offert für Thyssenkrupp Steel als sein persönliches Herzensprojekt gehandelt.
Was verspricht sich Jindal von Thyssenkrupp?
Im Gegensatz zum deutschen Traditionskonzern hat Jindal bisher kaum Erfahrung im Premiumsegment. Hochfeste Spezialstähle für die Auto- oder Luftfahrtindustrie fehlen im Portfolio. Die Stärke der Inder liegt im Volumengeschäft: Im unteren Segment, mit Baustahl für Straßen und Brücken oder im mittleren Segment mit Edelstahl für Konsumgüter – oder Schienenstahl.
Doch Jindal will höher hinaus: Ins Premiumgeschäft und in den Markt für grünen Stahl. Im indischen Hisar läuft bereits eine Pilotanlage für Wasserstoffstahl - und im Oman soll bis 2028 eine Direktreduktionsanlage entstehen, die Vormaterialien für Grünen Stahl – und, so die Phantasie: möglicherweise gleich direkt für Duisburg – produziert.
Insgesamt beschäftigt Jindal rund 20.000 Mitarbeiter und produziert rund 20 Mio. Tonnen Rohstahl pro Jahr. Das ist fast doppelt so viel wie Thyssenkrupp Steel Europe mit seinen 27.000 Mitarbeitern.
Vom Umsatz her läge das Schwergewicht bei einer Übernahme allerdings in Zukunft eindeutig in Europa. Jindal erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz von rund 6 Milliarden Euro – Thyssenkrupp Steel Europe liegt bei fast 11 Milliarden.
Was verspricht sich Thyssenkrupp vom Einstieg Jindals?
Formal, zumindest wenn es um den Umsatz geht, wäre eine Übernahme durch die Inder ein klarer Fall von „klein kauft groß“ – doch bei der Rentabilität kippt das Bild: Nach zwei Milliarden Verlust im Jahr 2023 schrieb die Stahlsparte von Thyssenkrupp im letzten Jahr 1,5 Milliarden Verlust. Die Stahlsparte gilt für den Thyssenkrupp-Konzern als Unsanierbar.
Jindal schrieb im Vorjahr einen Gewinn – auch wenn er laut indischen Medien nur 30 Millionen Euro nach Steuern betrug.
Aber viel Geld muss Jindal für den Kauf von Thyssenkrupp ohnehin nicht in die Hand nehmen: Thyssenkrupp müsste jeden Verkauf mit Kapital abpolstern – für milliardenschwere Pensionslasten und zumindest große Teile des überfälligen Maschinenparks.
Im Gegenzug sollen, so heißt es, die Inder ein Zukunftskonzept in Aussicht stellen: Investitionen in grünen Stahl, Beschäftigungsgarantien und Standorttreue.
Thyssenkrupp öffnet in den nächsten Wochen die Bücher für Jindal – bis Januar könnte er auf Basis der Zahlen ein verbindliches Angebot vorlegen.
Ganz fremd sind ihm die Kostenstrukturen der Duisburger allerdings nicht: Schon vor zwei Jahren war er als Käufer im Gespräch. Damals reiste Jindal persönlich nach Duisburg – und winkte anschließend ab, wie das Handelsblatt damals berichtete.
Vom Fahnenstreit zum Stahl-Deal – Naveen Jindal hat bewiesen, dass er hartnäckig an Herzensprojekten festhält. Ob ihm mit Thyssenkrupp der Sprung vom indischen Volumenanbieter zum europäischen Premiumproduzenten gelingt, entscheiden am Ende Aufsichtsrat, Gewerkschaften – und womöglich auch die Politik.
Denn für Deutschland und Europa stellt sich die Frage, ob man ein Herzstück einer strategischen Schlüsselindustrie einem Player aus Übersee überlässt. In Zeiten von Handelskonflikten und wachsenden geopolitischen Rivalitäten ist das längst nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine strategische Entscheidung.