KI Gesetze Europa : Künstliche Intelligenz: Software-Giganten fordern Umbau europäischer KI-Gesetze

Roland Busch Siemens Christian Klein SAP

Roland Busch, Siemens, und Christian Klein, SAP, fordern den Umbau europäischer KI-Gesetze 

- © Wikipedia/SAP

Die Spitzen der deutschen Technologiekonzerne SAP und Siemens fordern eine grundlegende Überarbeitung der europäischen KI-Regulierung. In einem gemeinsamen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung äußerten sich Christian Klein, Vorstandsvorsitzender von SAP, und Roland Busch, CEO von Siemens, kritisch gegenüber dem EU AI Act – dem zentralen Gesetzesvorhaben zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz in Europa. Ihr zentrales Anliegen: Die derzeitige Regulierung behindere Innovation und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf dem globalen Markt.

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Während Tech-Giganten aus den USA und Start-ups aus China ihre KI-Systeme längst in Echtzeit optimieren, ringt Europa mit Paragrafen und Prüfverfahren. Statt agiler Entwicklung drohen langwierige Zertifizierungen. Für viele Industrievertreter ist klar: Wenn Europa bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz eine führende Rolle einnehmen will, braucht es mehr als nur Regularien – es braucht einen klaren politischen Willen, Innovation gezielt zu fördern. 

Der Begriff der „technologischen Souveränität“ wird dabei zunehmend zum Schlüsselthema. Ohne den Zugang zu wettbewerbsfähigen Datenmengen, schnelle Genehmigungsprozesse und rechtliche Klarheit könnten europäische Unternehmen auf Dauer gegenüber dynamischeren Märkten wie den USA oder China zurückfallen. Der AI Act sei laut Kritikern gut gemeint, aber in seiner jetzigen Form zu technokratisch – und damit ein Risiko für Europas digitale Wettbewerbsfähigkeit.

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EU AI Act: Innovationsbremse statt Zukunftsförderung?

Mit dem AI Act verfolgt die Europäische Union das Ziel, den Einsatz von KI-Technologien transparent und sicher zu gestalten. Der Rechtsrahmen klassifiziert KI-Systeme nach ihrem Risiko für Grundrechte, Sicherheit und gesellschaftliche Auswirkungen – und verpflichtet Anbieter je nach Risikoklasse zu spezifischen Anforderungen. Doch genau diese differenzierte Kategorisierung und die damit verbundenen Auflagen stoßen bei vielen Unternehmen auf Skepsis. Roland Busch formulierte es deutlich: Der AI Act sei „einer der Gründe, warum wir hier nicht Vollgas geben können“.

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Die beiden DAX-Konzerne monieren vor allem, dass die bestehenden und geplanten Regeln nicht nur zu bürokratisch, sondern teils widersprüchlich seien. So überschneide sich der AI Act mit anderen Gesetzen wie dem Digital Services Act oder dem Data Act. Letzterer wurde von Busch gar als „toxisch für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle“ bezeichnet. Solche Mehrfachregelungen führten zu rechtlicher Unsicherheit und erhöhten Kosten – insbesondere für mittelständische Unternehmen und Start-ups, die im globalen Wettbewerb ohnehin unter hohem Innovationsdruck stehen.

Datenpolitik im Fokus: Europas Datenschatz nutzen

Ein zentraler Kritikpunkt ist die europäische Datenpolitik. Roland Busch betonte, dass Europa über einen „Datenschatz“ verfüge, diesen aber bislang nicht hebe. Die Nutzung von Unternehmens- und Industriedaten werde durch komplizierte gesetzliche Vorgaben erschwert. Eine Reform der Datenregeln habe daher Priorität – noch vor dem Ausbau der Infrastruktur oder Investitionen in Rechenzentren. Denn der Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten sei entscheidend für die Entwicklung leistungsfähiger KI-Anwendungen.

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Auch SAP-Chef Christian Klein warnt davor, einfach dem US-amerikanischen Modell zu folgen, das primär auf massive Investitionen in Cloud-Infrastruktur und Rechenzentren setzt. Nach seiner Einschätzung sei bislang kein europäisches KI-Projekt an mangelnder Rechenleistung gescheitert – wohl aber an einem zu restriktiven oder unklaren regulatorischen Umfeld.

Künstliche Intelligenz: Appell für ein innovationsfreundliches Rahmenwerk

Der Ruf nach einer Reform kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt: Das EU-Parlament hat den AI Act bereits im Jahr 2024 verabschiedet, doch die konkrete Umsetzung auf nationaler und betrieblicher Ebene steht noch aus. Unternehmen fordern nun mehr Klarheit, insbesondere in Form eines praktikablen Verhaltenskodex, der als Auslegungshilfe dienen soll. Doch dieser Kodex verzögert sich laut EU-Kommission voraussichtlich bis Ende 2025.

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Während sich die EU-Kommission offen für branchenspezifisches Feedback zeigt, lehnt sie eine grundsätzliche Verschiebung des Inkrafttretens des Gesetzes ab. Eine formelle Stellungnahme zu den Forderungen von SAP und Siemens liegt derzeit nicht vor.

Busch erklärte in diesem Zusammenhang, dass er einen offenen Brief von Industrievertretern, in dem ein Moratorium der Regeln gefordert wird, bewusst nicht unterzeichnet habe – „weil er mir nicht weit genug ging“. Ein bloßes Aussetzen der Vorschriften reiche nicht aus. Vielmehr müsse der AI Act „substanziell verändert“ werden, so der Siemens-Chef.

Künstliche Intelligenz in der Industrie: Vom Menschen zum Roboter?

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Internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährdet?

Die Kritik von SAP und Siemens ist Teil einer breiter werdenden Diskussion über die Zukunft der europäischen Digitalwirtschaft. Während Unternehmen aus den USA und China mit flexiblen Rahmenbedingungen, umfangreichen Datenpools und hoher Kapitalverfügbarkeit operieren, sehen sich europäische Firmen mit wachsender Regulierungsdichte konfrontiert. Die Gefahr: Europa könnte im Rennen um technologische Vorherrschaft ins Hintertreffen geraten.

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Zwar ist der Schutz von Grundrechten, Transparenz und Ethik ein berechtigtes Anliegen – doch wenn regulatorische Hürden zu groß werden, könnten Forschung und Innovation ins Ausland abwandern. Bereits jetzt haben auch US-Tech-Giganten wie Alphabet (Google) und Meta sowie europäische Firmen wie Mistral oder ASML Bedenken geäußert und eine Verschiebung oder zumindest eine präzisere Ausgestaltung der Umsetzung verlangt.

Verhindern Europas KI-Gesetze Innovationen?

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Europas KI-Gesetze: Chancen und Risiken im Überblick

✅ Chancen:

  • Vertrauensaufbau in KI-Systeme
    Der AI Act schafft klare Regeln für Sicherheit, Transparenz und Verantwortlichkeit. Das stärkt das Vertrauen von Bürger:innen und Unternehmen in den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
     
  • Grundrechtsschutz und ethische Standards
    Anwendungen mit hohem Risiko werden besonders streng reguliert, z. B. im Gesundheits- oder Justizbereich. So werden Grundrechte gewahrt und diskriminierende KI-Anwendungen verhindert.
     
  • Rechtssicherheit für Unternehmen
    Durch einheitliche Vorgaben innerhalb der EU entsteht ein klarer Rechtsrahmen, der grenzüberschreitende Geschäftsmodelle erleichtern kann.
     
  • Positionierung als globaler Standardsetter
    Die EU kann mit dem AI Act international Maßstäbe setzen und als Vorreiterin für verantwortungsvolle KI-Nutzung auftreten.

⚠️ Risiken:

  • Innovationshemmnisse durch Überregulierung
    Komplexe und umfangreiche Vorgaben könnten die Entwicklung neuer KI-Produkte verlangsamen – insbesondere bei Start-ups und mittelständischen Unternehmen.
     
  • Rechtsunsicherheit durch unklare Definitionen
    Kritiker bemängeln schwammige Begriffe und unklare Abgrenzungen zwischen Risikoklassen. Das erschwert die Umsetzung in der Praxis.
     
  • Kostenintensive Compliance-Anforderungen
    Für Unternehmen entstehen hohe Aufwände für Nachweise, Audits und Dokumentationen – was gerade kleine Anbieter benachteiligt.
     
  • Wettbewerbsnachteil gegenüber USA und China
    Länder mit flexibleren oder noch nicht vorhandenen KI-Gesetzen könnten technologisch schneller voranschreiten und europäische Anbieter abhängen.