Organisationsentwicklung : Iris Brachmaier, GG Group, über nachhaltige Unternehmensführung: "ESG als Rückgrat"

Iris Brachmaier, Vice President Group Corporate Development & Group HR, Gebauer & Griller

Iris Brachmaier, Vice President Group Corporate Development & Group HR, Gebauer & Griller: "In vielen Organisationen musste die HR in den letzten 15 bis 20 Jahren hart um den sogenannten 'Platz am Tisch' kämpfen.

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INDUSTRIEMAGAZIN: Frau Brachmaier, 2018 legte GG Group (Gebauer & Griller) den Grundstein für eine globale Nachhaltigkeitspolitik, ein Jahr darauf wurde der erste Nachhaltigkeitsbericht in der Geschichte des Unternehmens publiziert. Fühlt sich das nur gut an oder rechnet es sich auch schon in betriebswirtschaftlichen Größen?

Iris Brachmaier:
Nachhaltigkeit und ESG wird in unseren Schlüsselmärkten immer entscheidender für den Erfolg. Unsere Kunden und Stakeholder wie Banken oder Finanzierungspartner legen ein immer größeres Augenmerk darauf, wie wir als Unternehmen Nachhaltigkeit in unsere Geschäftstätigkeit integrieren. Und natürlich: Es fühlt sich gut an.

Die Autobauer schauen mit Vorliebe besonders genau hin, oder?


Brachmaier:
Da wird mitunter nach der Höhe des Anteils recycelter Materialkomponenten in Kabellösungen gefragt. Anfragen, mit denen wir wiederum auch unsere Lieferanten nicht schonen.

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Wie automatisierbar sind solche Prozesse?


Brachmaier:
Dazu braucht es ein umfassendes Datenmanagement. Hier gilt es digitale Lösungen zu entwickeln, sodass alle gruppenweiten Kennzahlen auf Basis eines einheitlichen Reglements erstellt werden. Dann sind Daten gemäß der Reportinganforderungen berichtbar. Antworten auf Anfragen gibt es dann jederzeit auf Knopfdruck.

Mit EU-Taxonomie oder der CSR-Direktive gibt es Stoff zur Einarbeitung, mit dem produzierenden Unternehmen jetzt auch nicht gerade schnell langweilig wird. Wer hält im Unternehmen da die Fäden zusammen?


Brachmaier:
Um den Anforderungen gerecht zu werden, haben wir in meinem Bereich Corporate Development & HR per April eine eigene ESG-Funktion geschaffen. Diese Position besetzten wir intern mit einem Kollegen, für den das ein nächster logischer Schritt in seiner Entwicklung und Karriere bei GG ist.

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An ihm wird es also liegen, dass an vielen Schrauben im Konzern gedreht wird - und das möglichst koordiniert?

Brachmaier:
Vereinfacht gesagt ja. Unter dem Titel „Together4Tomorrow – T4T” haben wir ein interdisziplinäres, gruppenweites Programm aufgesetzt, das von dieser neuen Funktion geführt wird. Bis zum Herbst dieses Jahres soll unsere gruppenweite ESG-Roadmap aufgesetzt sein. ESG wird dann ein integrierter Teil unserer Unternehmensstrategie sein, das Rückgrat all unserer Geschäftsprozesse.

GG Group hat unlängst den Wandel von einer divisionalen zu einer funktionalen Organisationsstruktur vollzogen. Was ist man jetzt alles - schneller?


Brachmaier:
Schneller definitiv und mit einer noch höheren Kundenorientierung. Zugleich haben wir in der gesamten Organisation viel geringere Komplexitäten. Teils gab es bei zentralen Funktionen bisher doppelte Berichtslinien, diese wurden herausgenommen. Der erste Schritt war die Verschiebung der bestehenden Bereiche in die funktionalen Säulen unter der Leitung von CEO, COO sowie CSO/CTO. In der Folge wurde diese Veränderung durch alle weiteren Ebenen des Organigramms kaskadiert. Seit Ende 2020 ist unsere neue Organisationsstruktur im Kern live gesetzt. Wir haben im Laufe des letzten Jahres noch ein Finetuning der Organisation und Prozesse vorgenommen. Natürlich endet ein solcher Veränderungsprozess nicht von heute auf morgen.

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Wie schlagen denn die Herausforderungen einer labilen Weltlage auf Ihre HR durch?

Brachmaier: Die HR befindet sich seit zwei Jahren in einem perfekten Sturm. Zuerst kam Covid, jetzt die Ukraine-Krise, Verwerfungen in der Supply Chain, Materialverfügbarkeit, Energiekosten und Inflation. In vielen Organisationen musste die HR in den letzten 15 bis 20 Jahren hart um den sogenannten „Platz am Tisch“ kämpfen. Darum, als Partner auf Augenhöhe mit tiefer Verwurzelung im Kerngeschäft des Unternehmens und als Sparring-Partner für die C-Level Ebene wahrgenommen zu werden. Seit zwei Jahren hat sich das organisationale Standing endgültig gefestigt.

Weil ohne HR alles steht?


Brachmaier:
Ohne eine starke Orientierung von Organisationen auf die Menschen sind die Umbrüche nicht zu bewältigen. Wir bewegen uns nicht mehr in einer komplizierten, nicht einer komplexen, sondern mittlerweile in einer chaotischen Welt. Wir haben deshalb ein aktives Management der emotionalen und psychischen Herausforderungen unserer Mitarbeiter betrieben und unsere Führungskräfte unterstützt, bestmöglich mit den Unsicherheiten umzugehen.

Die Talentesuche fordert Unternehmen. Wie sichern Sie sich die besten Köpfe?


Brachmaier:
Die betriebliche Fortbildung ist notwendiger Baustein in unserem allgemeinem Bildungssystem. Unser Bildungssystem „produziert“ leider nicht alle Kompetenzen, die man in der Wirtschaft benötigt. Immer noch werden die von uns nachgefragten Ausbildungen in den MINT Fächern zu wenig angenommen und es gibt leider nach wie vor die Rollen-Schere in der Ausbildung zwischen Frauen- und Männerberufen. Wir investieren viel in die Aus- und Weiterbildung. In diesem Jahr haben wir den “Expert Talent Hub” gestartet und den „Expert Career Track“ als Pilotprojekt in unserer Entwicklungsabteilung eingeführt. Im Fachkarriere-Pfad setzen wir dieselben Gehaltsbänder an wie für die entsprechende Führungskarriere.

Was schätzen Sie: Wo liegt in ein paar Jahren die Frauenquote bei GG Group?


Brachmaier:
2025 wollen wir 30 Prozent unserer Schlüssel-Führungspositionen über die gesamte Gruppe mit Frauen besetzt haben. Derzeit liegen wir bei 21 Prozent. Das ist machbar.

Wie klischeebehaftet sind die gängigen Bilder von Alterskohorten - oder anders: Werden Sie aus der Jugend schlau?


Brachmaier:
Dass die nachfolgenden Generationen anders ticken als diejenigen davor, erscheint mir nicht als grundlegend neu oder überraschend. Die heutige Jugend hat jedoch andere Ausdrucksmittel und bringt ihre Ansichten auch expliziter zu Gehör. Und der lange Gültigkeit besitzende Spruch „diamonds are made of pressure“ ist in der Arbeitswelt passé. Druck und Führung durch "demand & control" funktioniert in der Arbeitswelt nicht mehr. Und ist auch nicht notwendig, wenn man sich in einer Vertrauenskultur bewegt, in der sich Mitarbeiter wohl fühlen.

ZUR PERSON

Iris Brachmaier, 47,

ist Vice President Corporate Development & HR bei GG Group und hat über 15 Jahre Erfahrung in internationalen HR Funktionen in Technologie & Innovations orientierten Unternehmen. Seit 2017 ist sie in der Automotive Industrie. Sie verantwortet die Bereiche Unternehmensentwicklung, Strategie, ESG & Group HR.