INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Mueller, was ist der Schwerpunkt der Beratungstätigkeiten bei Bain & Company?
Florian Mueller: Wir unterstützen Unternehmen umfassend bei der Integration von KI. Das reicht von der Entwicklung von Strategien bis zur konkreten Implementierung von Lösungen, Wir helfen Unternehmen, die Technologie nicht nur einzuführen, sondern auch in den Arbeitsalltag zu integrieren – immer mit Blick auf ethische Aspekte und die Datenverantwortung. Wir unterstützen aber auch beim Entwickeln von KI-Anwendungen. Wir haben Data-Scientists und Machine Learning Engineers, die dann auch die Lösungen entwickeln und bis in die Produktion bringen .
Hat sich die Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Industrie verändert?
Mueller: Ja. Vor einigen Jahren herrschte noch viel Skepsis. Seit der Einführung von großen Sprachmodellen und ChatGPT hat sich das jedoch stark gewandelt. Die Technologie ist greifbarer geworden und findet auch im privaten Umfeld Anwendung. Das hat die Offenheit der Unternehmen erhöht – vor allem auch im deutschsprachigen Raum.
Trotzdem gibt es Bedenken, etwa bei der Nutzung von KI-Cloud-Lösungen. Wie sehen Sie das?
Mueller: Ich glaube, zum man muss unterscheiden zwischen KI-Lösungen, die in Standard-Software direkt integriert sind, und Lösungen, die ich mir als Unternehmen selbst bauen kann. Hier gibt es eine Vielzahl von Anwendungsfällen, die ganz großen Nutzen für die Unternehmen mit sich bringen und die in vielen Fällen nicht zwingend auf Standard-Lösungen aufsetzen. Eine Reihe von Unternehmen bieten hier bereits Baukastenlösungen für spezielle Problemfelder an. Im Industrieumfeld spannende Use Cases sind etwa Predictive Maintenance, Einkauf oder auch die Unterstützung der Field-Services-Mitarbeiter.
Nun ist das Thema Predictive Maintenance nicht unbedingt etwas Neues…
Mueller: Das ist richtig. Aber da bietet die neue Technologie nochmal sehr viele neue Möglichkeiten, etwa die Option unstrukturierte Daten und Bilder sehr viel besser zu verarbeiten. Auch die für Unterstützung der Mitarbeiter im Feld werden innovative KI-Lösungen entwickelt, von der Fehlererkennung über die Hilfe bei der Problembehandlung bis hin zur Dokumentation. In diesem Bereich haben wir viel Bewegung gesehen. Und weil Sie es angesprochen haben: Ja, manche Unternehmen sind skeptisch gegenüber der Cloud, sei es aus Sicherheitsbedenken oder regulatorischen Gründen. Aber es gibt auch KI-Lösungen, die vollständig On-Premise betrieben werden können. Gerade in regulierten Branchen wie dem Gesundheitswesen, wo Datenschutz eine zentrale Rolle spielt, bleibt dies ein wichtiges Thema.
Gibt es spezialisierte KI-Anbieter, die besonders innovativ sind?
Mueller: Ein interessantes Beispiel ist Synthesia, ein Unternehmen, das KI-basierte Avatare entwickelt. Diese können für personalisierte Videos in Marketing, Schulungen oder interner Kommunikation genutzt werden. Solche spezialisierten Anbieter erweitern die Möglichkeiten der KI erheblich und ergänzen die Angebote der großen Standardlösungsanbieter.
Welche Branchen sind besonders offen für KI?
Mueller: Im Prinzip alle, weil die Unternehmen erkannt haben, welche großen Chancen in der Technologie stecken. Vorreiter sind aber Industrien mit vorhandenen Datenstrukturen, etwa Banken, Versicherungen oder IT-Dienstleister. Im Produktionsumfeld ist der Einsatz von KI oft auf große Unternehmen beschränkt, die bereits in IoT-Technologien investiert haben. Kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) stehen hier noch vor Herausforderungen, da sie oft erst grundlegende Dateninfrastrukturen schaffen müssen.
Wo liegen die größten Hürden bei der Einführung von KI?
Mueller: Da gibt es drei wesentliche Herausforderungen. Erstens der Fachkräftemangel: Es fehlt an Data Scientists und Machine Learning Engineers, und der Wettbewerb um Talente ist hart. Zweitens die Dateninfrastruktur: Viele Unternehmen haben ihre Daten nicht in der nötigen Qualität und Verfügbarkeit, was eine Grundvoraussetzung für KI-Anwendungen ist. Drittens Governance und Regulierung: Viele Unternehmen sind unsicher, wie sie KI ethisch und rechtlich korrekt einsetzen können. Das betrifft vor allem Firmen, die noch wenig Erfahrung in diesem Bereich haben.
Kann es auch sein, dass Führungskräfte Angst vor einem Kontrollverlust haben?
Mueller: Solche Ängste gibt es durchaus, aber weniger auf der Vorstandsebene. Häufiger betreffen sie Mitarbeitende in den betroffenen Abteilungen, die befürchten, dass ihre Jobs durch KI überflüssig werden könnten. Auch die Angst vor dem Verlust von Expertenwissen spielt eine Rolle. Deshalb ist es wichtig, KI-Einführungen mit Change-Management-Prozessen zu begleiten. um solche Sorgen ernst zu nehmen.
Wie können KMUs von KI profitieren?
Mueller: Die Einstiegshürden sind deutlich gesunken. Wo vor einigen Jahren noch hochqualifizierte Experten und monatelange Entwicklungszeit nötig waren, lassen sich heute mit vorhandenen Modellen innerhalb weniger Wochen Anwendungen entwickeln. Wir raten KMUs, KI auszuprobieren, etwa durch Mitarbeiterschulungen oder Pilotprojekte in zentralen Geschäftsbereichen.
Was sollten Unternehmen beachten, wenn sie KI einsetzen wollen?
Mueller: Wichtig ist, die Technologie im richtigen Kontext zu nutzen und sie an die Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen. Der erste Schritt besteht darin, die richtigen Daten in ausreichender Qualität bereitzustellen. Anschließend müssen Prozesse geschaffen werden, um KI-Lösungen in den Arbeitsalltag zu integrieren. Außerdem sollten Unternehmen kontinuierlich dazulernen – durch eigene Experimente oder den Austausch auf Fachkonferenzen.