AIT Scientific Director Andreas Kugi über KI : Andreas Kugi, AIT: "Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben"

Andreas Kugi AIT

„Nur wer bereit ist, die Prozesse und Strukturen ganzheitlich und grundlegend neu zu denken, wird das volle Potenzial dieser Technologie ausschöpfen.“ Andreas Kugi, AIT

- © AIT / Peter Rigaud

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Kugi, welche Rolle spielt die Sensortechnik in der modernen Automatisierung, und wie beeinflusst sie die Entwicklung von KI-Lösungen in der Industrie? 

Andreas Kugi: Die Sensortechnik nimmt eine Schlüsselrolle in der modernen Automatisierung ein und treibt maßgeblich die Entwicklung von KI-Lösungen in der Industrie voran. Die Miniaturisierung und verbesserte MEMS-Technologien haben Sensoren kompakter und leistungsfähiger gemacht. Die Kombination von KI mit bildgebenden Verfahren revolutionierte die Geschwindigkeit und Genauigkeit und erweiterte die Einsatzmöglichkeiten maßgeblich. Diese Technologien bilden jetzt die Grundlage für intelligente Assistenzsysteme und autonome Systeme. 

Die Verknüpfung von modernen bildgebenden Verfahren mit generativen KI-Methoden, Segmentierung, Objektverfolgung sowie Bild- und Sprachverständnis eröffnet enormes Potenzial für zukünftige Innovationen. Durch die rasanten Fortschritte im Bildverständnis und der Segmentierung ist es mittlerweile auch in komplexen oder unstrukturierten Umgebungen möglich, eine präzisere Identifikation und Klassifikation von Objekten und Strukturen vorzunehmen. 

Die Integration von Objektverfolgung erlaubt es, dynamische Prozesse, wie etwa Bewegungsabläufe in der Fertigung, zu analysieren und besser zu verstehen. In Kombination mit Sprachverständnis ermöglichen diese Systeme Interaktionen, zum Beispiel in der Mensch-Maschine- Kommunikation. Sie unterstützen die automatisierte Erstellung von Berichten aus visuellen Daten oder die Steuerung und Überwachung komplexer Systeme. 

Wie können Unternehmen den Übergang zu einem KI-getriebenen Unternehmen erfolgreich gestalten, und welche Schlüsselstrategien empfehlen Sie dabei? 

Kugi: Künstliche Intelligenz ist kein vorübergehender Hype – sie ist gekommen, um zu bleiben. Der Einsatz von KI bringt tiefgreifende technologische, organisatorische und kulturelle Veränderungen mit sich. Nur wer bereit ist, die Prozesse und Strukturen ganzheitlich und grundlegend neu zu denken, wird das volle Potenzial dieser Technologie ausschöpfen. KI besitzt das Potenzial, in allen Unternehmensbereichen als treibende Kraft für Innovation zu wirken. Bestehende Abläufe einfach durch KI-Lösungen zu ersetzen, ist die falsche Strategie. Die mittel- bis langfristige Transformation bedarf einer klaren Vision mit messbaren Zielen und einer hochwertigen, skalierbaren und robusten Infrastruktur, die passgenau auf die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens abgestimmt ist. Gleichzeitig müssen Unternehmen sicherstellen, dass das Domänenwissen ihrer Mitarbeitenden sinnvoll mit den neuen KI-Methoden verknüpft wird. 

Besonders wichtig ist es, die Mitarbeitenden frühzeitig in diesen Wandel einzubinden. Schulungen, Weiterbildungsprogramme und eine offene und transparente Kommunikationskultur können dazu beitragen, Ängste abzubauen und ein besseres Verständnis für die Chancen von KI zu schaffen. Ebenso unerlässlich ist die Etablierung effizienter Governance-Strukturen, um einen verantwortungsvollen und transparenten Einsatz der Technologie sicherzustellen. Dieser Wandel kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn er durch eine unterstützende und zukunftsorientierte Unternehmenskultur getragen wird. 

Wie unterstützt das AIT Unternehmen konkret dabei, Künstliche Intelligenz und Automatisierung in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren? 

Kugi: Das AIT positioniert sich als Brücke zwischen universitärer Grundlagenforschung und industrieller Praxis. Mit rund 1500 Mitarbeitenden, darunter über 200 Expert:innen im Bereich Digitalisierung und KI, entwickeln wir maßgeschneiderte Lösungen für die Industrie und dienen Unternehmen als erste Anlaufstelle im Bereich Künstliche Intelligenz. Unsere Schwerpunkte reichen von KI-basierter Fertigungsautomatisierung über intelligente Assistenzsysteme und autonome Arbeitsmaschinen bis hin zur automatisierten Analyse von Verkehrssituationen, innovativen Mensch-Maschine-Interaktionskonzepten mit XR-Technologie, Cybersecurity sowie nachhaltigen Energielösungen. Eine weitere Kernkompetenz ist die generative KI für Wissensmanagement, Produktdesign und Prozessoptimierung. 

Dieses Wissen transferieren wir in gemeinsamen Forschungs- und Umsetzungsprojekten direkt in die Industrie und schaffen so eine sofortige Anwendbarkeit der Ergebnisse. Zusätzlich agiert das AIT als zentraler Netzwerkpartner im europäischen Forschungsumfeld und ist ein starker Impulsgeber für die heimische Wirtschaft. Zur zielgerichteten Bündelung unserer Expertise wurde die AIT AITask Force ins Leben gerufen. Sie arbeitet an dem Aufbau einer umfassenden KI-Infrastruktur und an der Einrichtung einer unternehmensweiten Wissensaustauschplattform. Hier werden Bewertungen internationaler KI-Entwicklungen vorgenommen und Schulungs- und Weiterbildungskonzepte entwickelt.

ZUR PERSON

Univ. Prof. DI Dr. Andreas Kugi prägt als wissenschaftlicher Leiter des AIT maßgeblich das Forschungsprofil und sorgt dafür, dass sich das Institut in den Schwerpunktbereichen Forschung und Technologieentwicklung erfolgreich auf internationalem Spitzenniveau positioniert. Er ist Universitätsprofessor für komplexe dynamische Systeme am Automation and Control Institute (ACIN) der TU Wien und baute von 2017 bis 2023 gemeinsam mit Andreas Vrabl das AIT Center for Vision, Automation & Control auf. Kugi ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech).

Wie können Unternehmen durch die Zusammenarbeit mit dem AIT ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit steigern? 

Kugi: Wir arbeiten zum Beispiel mit Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie zusammen und haben eine Vielzahl von Lösungen im Bereich Prozessautomatisierung und Inline-Qualitätsinspektion entwickelt. Ein Beispiel ist ein Inspektionssystem, das moderne bildgebende Verfahren mit KI kombiniert, um Oberflächen von Vorprodukten für Edelstahlerzeugnisse in Echtzeit zuverlässig auf Schlackeneinschlüsse oder Risse zu prüfen. In einem weiteren Beispiel konnten wir durch die Automatisierung von Hochtemperaturglühprozessen den Durchsatz um 12 % steigern und gleichzeitig den Energieverbrauch um 18 % senken. Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Forschungsarbeit ist die Elektrifizierung von Industrieprozessen. Durch die Optimierung des Wärmebedarfs – etwa bei Trocknungsprozessen – und die optimierte Nutzung von Wärmepumpen ist es möglich, Energieeinsparungen von bis zu 80 % zu erzielen. 

Ein weiteres erfolgreiches Projekt ist die Entwicklung der Mobility Observation Box (MOB). Eine DSGVO-konforme, energieautarke, KIbasierte Kamera bewertet und klassifiziert kritische Verkehrssituationen über längere Zeiträume und schafft die Basis für zukünftige infrastrukturelle Maßnahmen. Die Daten werden genutzt, um Kennzahlen für Verkehrskonflikte abzuleiten und andere Verkehrsinformationen wie Verkehrsstärken, Geschwindigkeiten etc. zu ermitteln. Ein Beispiel aus einem anderen Bereich ist der vom AIT mitentwickelte KI-basierte Fake-Shop Detector. Ein Browser-Plug-in überprüft besuchte Websites automatisch und warnt Nutzer: innen in Echtzeit vor betrügerischen Online-Shops. 

Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung von KI und Automatisierung in der Industrie ein, und welche Trends sollten Unternehmen im Auge behalten? 

Kugi: In der Automatisierung wird bisher nur ein Bruchteil des Potenzials genutzt, das moderne KI-Methoden bieten. Die Kombination von KI-Methoden mit Robotik und intelligenten Maschinen hat das Potenzial, eine neue Ära der Automatisierung einzuläuten. Diese Synergie erweitert die Fähigkeiten von Maschinen über herkömmliche Automatisierung hinaus und könnte hochflexible, adaptive und einfach bedienbare Robotik zur Realität machen und neue Möglichkeiten für die Automatisierung von Low-Volume-High- Mix-Produktionen (LVHM) bis hin zur Losgröße eins eröffnen. Mit der wachsenden Verbreitung intelligenter Systeme wird eine effektive und intuitive Mensch- Maschine-Interaktion immer wichtiger. 

Welche Empfehlungen geben Sie Unternehmen, die jetzt beginnen, KITechnologien zu implementieren, um langfristig erfolgreich zu sein? Kugi: Es ist unverzichtbar, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und einen Transformationspfad zu wählen, der individuell zum eigenen Unternehmen passt. Insbesondere für KMUs empfehle ich, KI-getriebene Innovationen in kooperativen Ökosystemen und Datenräumen voranzutreiben. Dieser Ansatz erlaubt es, trotz begrenzter Ressourcen effizienter und schneller zu agieren, Investitionshürden zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken.

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"In der Automatisierung wird bisher nur ein Bruchteil des Potenzials genutzt, das moderne KI-Methoden bieten." Andreas Kugi, AIT - © AIT / Peter Rigaud

Das AIT Austrian Institute of Technology

Das AIT Austrian Institute of Technology ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungs- und Technologieeinrichtung und zählt zu den führenden europäischen Institutionen in zentralen Zukunftsbereichen. Schwerpunkte sind resiliente und nachhaltige Infrastrukturen (Energiesysteme, Transporttechnologien, Gesundheit und Mikrobiome) sowie die digitale Transformation von Industrie und Gesellschaft (Sicherheit, Cybersecurity, Automatisierung, Bildverarbeitung, User Experience). Ergänzt wird dies durch Expertise im Bereich Innovation Systems & Policy. Mit rund 1.500 Mitarbeitenden an 10 Standorten in Österreich entwickelt das AIT aus wissenschaftlichen Ideen die Innovationen von morgen für Industrie und Gesellschaft.