Automatisierung : ZKW: Maschin´ ärger dich nicht

Ein Flohmarkt wäre vielleicht angebracht gewesen. Welcher Schnäppchenjäger wird bei einer gebrauchten automatischen Schraubstation nicht schwach – oder einem vollautomatisierten Transferband? Doch zu spät – der Wieselburger Automobilzulieferer ZKW ließ die einstigen Automatisierungshilfen aus seiner Produktion verschrotten. Ohne schlechtes Gewissen – und aus gutem Grund: Im Sauseschritt montieren die Niederösterreicher heute Hauptscheinwerfer. Zwölf Mitarbeiterinnen bauen an einer Linie Frontlichter für den Mercedes SL und SLK zusammen – hochprofessionell im sauberen Zweitschichtbetrieb. Und fast ganz ohne Hilfe von Automatisierungstechnik. Ein Tabubruch in der Fertigungswelt, wo es für fast jeden Handgriff Maschinen gibt, die schneller arbeiten als der Mensch. Doch Produktionsvorstand Wolfgang Vlasaty, alles andere als ein eingefleischter Automatisierungsgegner, übernimmt Dogmen in der Industrie nicht ungefragt. 2008 rechnete er einfach nach – und kam zu einem verblüffenden Resultat. Selbst bei großen Serien bis 100.000 Fahrzeuge fahre der Betrieb mit einer „konsequenten Deautomatisierungsstrategie um bis zu einem Drittel günstiger als wenn wir weitermachen wie bisher“, so Vlasaty.AufbruchstimmungMan kann sich die Gesichter bei ZKW lebhaft vorstellen, als Wolfgang Vlasaty eines schönen Morgens sein Konzept für eine personalintensivere Montage auf den Tisch knallte. Denn Industrieautomation kennt bei Automobilbauern und Zulieferern nur einen Status: Übermacht. Noch immer sind im Automatisierungsgeschäft die Wachstumsraten enorm: Der internationale Roboterverband IFR geht davon aus, dass sich die Roboterverkäufe 2011 auf einen neuen Spitzenwert von rund 150.000 Stück erhöht haben. Wie schon 2010 war auch im Vorjahr die Automobilindustrie „der Motor für das starke Wachstum“. Die Automobilbranche sei wieder in Aufbruchsstimmung, heißt es auch beim steirischen Industrieautomatisierer M&R Automation. Der Betrieb zog „nach Inbetriebnahme einer großen Produktionslinie für BMW“ wenig später auch bei VW „einen Großauftrag im Getriebebereich“ an Land, heißt es bei M&R. Ähnlicher Optimismus beim Sensorhersteller Sick: Das Segment Fabrikautomation habe sich 2011 speziell „in der Automobilindustrie wachstumsstark gezeigt“, heißt es bei den Deutschen. Wie eine Ohrfeige für die Branche mutet dagegen die Strategie bei ZKW an. „An bisher acht Linien haben wir deautomatisiert“, sagt Vlasaty. INDUSTRIEMAGAZIN sah sich die neuen Montagelinien an – und erfuhr mehr über die Motive der Prozessumstellung. Eine Chronik der Ereignisse. Hier gehts weiter
Historisch kommt ZKW aus der Fertigung von Nebelscheinwerfern. Da standen drei, vier Mitarbeiter an der Montagelinie, die Zyklen waren extrem kurz“, erzählt Wolfgang Vlasaty. Mit der Ausrichtung aufs Hauptscheinwerfergeschäft stieg die Komplexität im Betrieb – ein Voll-LED-Scheinwerfer „besteht heute aus rund 300 Teilen“, erklärt der Produktionsvorstand. Zugleich stieg die Variantenanzahl: Ob BMW, Mercedes oder Porsche: „Es kamen unheimlich viele Derivate dazu, alle mit ihrem eigenen Scheinwerfer ausgestattet“, sagt Vlasaty. Ursprünglich lieferte die Automation dafür die passenden Antworten – enorme Effizienzsteigerungen wurden erzielt. Doch immer fühlten sich die Wieselburger in ein starres Zeremoniell gedrängt – speziell bei der Ersatzteilproduktion. Denn mit Serien, die im Schnitt zwischen drei und vier Jahren laufen, ist es noch nicht getan. Die Niederösterreicher stellen für den Kunden noch zehn bis fünfzehn Jahre die Ersatzteilproduktion sicher. „Ein extremer Spagat“, weiß Wolfgang Vlasaty. Aus dem Grund wurden automatisierte Linien – Neupreis: mehrere Millionen Euro – bisher rückgebaut. Jede Redimensionierung verschlang noch einmal Unsummen. Der komplette Umlauf wird dabei aufgelöst, Prüfstationen abgebaut und auf manuelle Prüfung umgestellt. „Im Schnitt veranschlagten wir dafür noch einmal 20 bis 30 Prozent der ursprünglichen Investition“, rechnet Vlasaty vor. Die abgespeckten Linien – „Riesensaurier“ (Vlasaty) – standen dann nur mehr für Ersatzteillieferungen herum. Deshalb starteten die Niederösterreicher 2008 ihr Projekt, um durch stärkere manuelle Arbeiten mehr Flexibilität zu erreichen. Nicht jedem wurde bei der Vorstellung warm ums Herz, „absolut fehlerfrei arbeitende“ Automaten einfach auszuscheiden. Denn Automation war – und ist – im Wieselburger Werk allgegenwärtig. „Speziell die Qualitätsverantwortlichen zweifelten – bis sie merkten: Es funktioniert“, sagt Vlasaty.Voller KühlschrankBisher waren die vollautomatischen Linien bei ZKW klassisch in Karreeform angelegt. Über Bosch-Transportbänder gelangten die Scheinwerfer zum Mitarbeiter. Der bestückte die Maschinen. Schraubstationen – geliefert von Firmen wie DAM, Vescon, aber teils auch selber entwickelte Varianten – montierten die Scheinwerfer dann vollautomatisch (Taktzeiten um die 50 Sekunden). Diese Linien wurden ausgehend von 2008 durch solche mit Standardarbeitsplätzen ersetzt (interner Name: „Flexmontage“). Ihr Aufbau ist ein grundlegend anderer. Es gibt auswechselbare Werkstückträger, „auf denen Mitarbeiter den Scheinwerfer positionieren“, erklärt Produktionsvorstand Wolfgang Vlasaty. Das Einzige, was noch vollautomatisch läuft, ist die Endkontrolle. Die Mitarbeiterinnen im weißen Arbeitskittel lassen die Montageprozesse fast wie Laborarbeit aussehen. Wann Vlasaty – seit 2004 im Betrieb – sich erstmals mit der Idee flexibler Linien angefreundet hat? Es sei, speziell in Österreich, immer der klare Weg gewesen, die hohen Löhne durch Automatisierung zu kompensieren“, weiß er nur zu gut. Doch Vlasaty – zuvor 13 Jahre bei Steyr Daimler Puch und Magna Steyr am Werk – beobachtete von Anfang eins: „Die Strukturen waren immer ziemlich unflexibel.“ Die einzige Möglichkeit, bei vollautomatisierten Linien an der Flexibilitätsschraube zu drehen, „sei über die Laufzeit der Anlage“, fand Vlasaty heraus. Vlasatys Lieblingsbeispiel, das das Dilemma starrer Automation verdeutlicht: Sind die Mitarbeiter mit dem Los nach anderthalb Schichten fertig, „stelle ich sie für die restliche halbe Schicht nicht einfach in den Kühlschrank“. Hier gehts weiter
Damit ist es nun vorbei. Denn jetzt können sich bis zu zwölf Mitarbeiter den Arbeitsinhalt von vier Stationen – Taktzeit 60 Sekunden – aufteilen. Früher wäre das nicht nötig gewesen. In der weniger mannintensiven Fertigung von Nebelscheinwerfern waren Auslastungsprobleme halb so schlimm. Die drei, vier Mitarbeiter konnten „leicht in andere Bereiche wechseln“, so ZKW-Mann Wolfgang Vlasaty. Bei der Montage von Hauptscheinwerfern ist das nicht mehr so einfach – auch wegen stärker schwankender Abrufmengen. Der manuelle Arbeitsaufwand pro Linie stieg nun um ein Fünftel – die Mitarbeiterzahl pro Linie wurde im Schnitt um zwei Mann (auf maximal zwölf) erhöht. Auch neue Mitarbeiter werken nun an den flexiblen Linien. 300 Mitarbeiter heuerten zuletzt bei den Wieselburgern an – 50, 60 Facharbeiter und viele Anlernkräfte. „Unsere erfahrenen Mitarbeiter bilden sie an den flexiblen Linien aus“, freut sich Produktionsvorstand Wolfgang Vlasaty über ein gut angelaufenes – und auch gut angenommenes – Schulungsprogramm. Das nötig ist: Montagemitarbeiter legen jetzt nicht mehr nur die Teile auf, sondern führen auch Schrauboperationen durch. Die Sorge des Qualitätsmanagements, dass die Prozessstabilität leide, konnte jedenfalls zerstreut werden. „Es gibt ja nach wie vor Kontrollen“, sagt Vlasaty. Nur seien es jetzt eben keine Sensoren und Spindeln der Schraubstation mehr, sondern ein Prüfprozess am Arbeitsplatz. Sind die Schrauben elektrisch gesetzt, „gibt es grünes Licht“, erklärt Vlasaty. Was auch nicht schadete: Dass Vlasaty aus dem Gesamtfahrzeugbereich Erfahrung ins Unternehmen mitbrachte. So lag es an ihm, die Truppe augenzwinkernd anzustacheln: „Wir bauten seinerzeit Fahrzeuge mit 2500 Teilen zusammen, Herrschaften. Das muss auch bei Scheinwerfern möglich sein“, lautete die Parole.Höhere FlächenproduktivitätKlar ist aber auch: Es kommt mehr Werkerverantwortung in die Prozesse rein. Auch die Teilereinigung erfolgt in den neuen Linien nun manuell – „früher erfolgte das in der vollautomatischen Ausblasstation“, so Vorstand Wolfgang Vlasaty. Auch Vibrationsförderer für Schrauben haben ausgedient. Dafür gibt es Jobs. Und die Investitionen in neue Linien gingen runter (minus 30 Prozent). Ein weiteres Plus: Die Linien sind viel schneller ausgeliefert – bei einer Gesamtlieferzeit von 40 Wochen „stehen sie fünf bis zehn Wochen früher im Werk“, beobachtete Vlasaty. „Ein Riesenvorteil“, sagt er. Denn so wären Last-Minute-Änderungen bei Autobauern „leichter berücksichtigbar“. Selbst Jahre nach dem Produktanlauf seien Produktänderungen nicht mehr schlimm. Einen Schraubpunkt zu versetzen ist für den Menschen ja kein Problem. Bei der vollautomatisierten Linie sei es ein „Mordsaufwand“ gewesen, erinnert sich Vlasaty. Besonders erfreulich für die Wieselburger, die sich zuletzt über satte 14 Serienneuanläufe freuen durften: Die Flächenproduktivität. Sie sei enorm hinaufgegangen. Eine flexible Linie arbeitet sequentiell „bis zu fünf Scheinwerfervarianten ab“, heißt es bei ZKW. 2,5 Millionen Hauptscheinwerfer produzieren die Niederösterreicher im Jahr. „Wir schaffen das gleiche Volumen nun bei einem Fünftel weniger Fläche“, rechnet Wolfgang Vlasaty vor. Nur gut: „Wir brauchen jeden Millimeter.“ Freilich: Vlasaty spricht von Werten, die erst nach einem mehrmonatigen Experimentierstadium erreicht wurden. Denn die Umrüstprozesse waren anfangs nicht optimal getaktet. Auch die Materialzustellungen an den Montageplätzen waren nicht perfekt. Jetzt wird das Material auf Rollwägen vorbereitet und im richtigen Takt an die Linie gebracht. Umgerüstet wird „on the fly“ – also mit nur „zwei, drei Leertakten“, so ZKW-Produktionsvorstand Wolfgang Vlasaty.GegensätzeZur Hölle mit all der Automatisierungstechnik – so denkt Vlasaty trotz des ungewöhnlichen Schritts in seiner Montage nicht. Denn sowohl an Kleberobotern als auch vollautomatisierten Spritzgießanlagen mit anschließender Metallisierung in einer (vollautomatisierten) Sputteranlage hält der Produktionsprofi eisern fest. „Da gehen wir den gegensätzlichen Weg“, betont Vlasaty. Auch bei einer nagelneuen Montagelinie für Lose größer 150.000 Fahrzeuge wurde stark automatisiert. Bei Losen darunter werden die Niederösterreicher aber ihrer lieb gewonnenen Philosophie treu bleiben. Lieferanten von Automatisierungstechnik müssen das akzeptieren. „Von uns kommt das Lastenheft, und das war’s“, sagt Vlasaty trocken. Außerdem: Grundtische und Vorrichtungen würden ja nach wie vor bestellt. Dass die Niederösterreicher Transferbänder aber einfach so verschrotteten, muss Lieferanten hart getroffen haben. Ein Flohmarkt wäre da vielleicht wirklich nicht schlecht gewesen.Daniel Pohselt