Digitalisierung : Wie sich BMW die Zukunft der Logistik vorstellt

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Es war immer wieder die gleiche Lieferung. Container mit sensiblen Bauteilen, die über eine bestimmte Route gingen, kamen auffallend häufig beschädigt an. Die BMW-Logistiker brauchten eine ganze Weile, um der Ursache auf die Spur zu kommen: Die Ladestelle im Hafen lag am Ende einer „Rennstrecke“, erzählt Marco Prüglmeier, Projektleiter in der Inbound-Logistik des bayerischen Autobauers. Die Folge: So mancher Lkw-Fahrer musste am Ende scharf abbremsen, was die Bauteile Fliehkräften von mehreren G aussetzte. Die Erkenntnis verdankt sich einer klassischen IoT-Anwendung: kommunikationsfähigen Sensoren in den Containern, die nicht nur die Lokalisation, sondern auch Informationen über Zustand und Umweltbedingungen liefern.

Mitte November präsentierte die BMW Group in München-Garching, wie sie sich die Zukunft der Logistik vorstellt. Manches Zukunftsmusik, vieles schon in der Umsetzung. Fünf Bereiche bilden den Schwerpunkt:

Totale Transparenz: Connected Supply Chain

Rund 30 Millionen Teile erreichen pro Tag die 31 Produktionsstandorte von BMW. Die übliche Taktzeit für die rund 9.000 täglich produzierten Fahrzeuge, sagt Jürgen Maidl, der Cheflogistiker im Produktionsnetzwerk, liegt bei einer Minute. BMW will es in den kommenden Jahren schaffen, für buchstäblich jeden Bauteil weltweit in Echtzeit feststellen zu können, wo und in welchem Zustand er sich befindet. Diese „Connected Supply Chain“ soll vor allem dort greifen, wo Störungen auftauchen. Wird etwa eine Lieferung behindert, weil ein Schiff in einen Sturm oder ein Lkw in einen Stau gerät, wird das System automatisch eine Handlungsoption errechnen und die entsprechenden Maßnahmen einleiten. Parallel dazu werden prozesskritische Teile via Sensoren überwacht – Beschädigungen somit nicht erst beim Ausladen erkannt, sondern schon beim Eintreten des Schadens.

Autonom unterwegs: Smart Transport Robots

Zehn von ihnen sind bereits im Werk in Wackersdorf unterwegs: Smart Transport Robots, die bis zu einer halben Tonne schwere Behälter durch die Logistikhalle transportieren und dabei ohne im Boden installierte Wegmarken auskommen. Die BMW-Techniker haben die STR gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut entwickelt. Die flachen Transportroboter bewegen sich dabei im gleichen Raum wie Menschen und andere Fahrzeuge – Funksender und Sensoren sorgen für problemlose Durchmischung. Nebeneffekt: In die STR sind gebrauchte Batterien aus der i3-Serie verbaut, die für die Autos zu schwach, für die STR aber noch zu gebrauchen sind.

Im Dingolfinger BMW-Werk sind es autonome Routenzüge, die zur Versorgung in der Montagelogistik eingesetzt werden. Lasersignale ermöglichen ihnen den Entwurf eines 2D-Raumprofils.

Sämtliche IT-Standards im Bereich der autonomen Fahrzeuge werden von BMW selbst entwickelt. Dass die proprietären Systeme der Hersteller prinzipiell nicht zum Einsatz kommen, hat einerseits damit zu tun, dass keiner von ihnen alle gewünschten Fahrzeuge herstellt. Vor allem aber damit, dass die BMW-Logistiker glaubhaft machen, offene Systeme schaffen zu wollen, die für alle Lieferanten nutzbar sind. Marco Prüglmeier bestätigt gegenüber INDUSTRIEMAGAZIN, dass man auch "im Gespräch" mit anderen OEM sei.

Hilfreich statt störend: Augmented Reality

Der schwarze Plastikbauteil hat drei Stellen, an denen manuell Steckverbindungen eingebaut werden müssen. Die drei Punkte sind in der Datenbrille pink umrandet eingeblendet – und trotz ziemlich rascher Drehung unter der Kamera folgen die Umrahmungen beinahe verzögerungsfrei. Augmented Reality ist einer der Schwerpunkte der aktuellen Forschung bei BMW, und die Demonstration veranschaulicht, was Logistik-Chef Jürgen Maidl gleich zu Beginn betont: Alles hier Vorgestellte soll der Unterstützung, nicht der Substitution von Mitarbeitern dienen. (Dass dies schon Industrie 3.0 erledigt, kann Industrie 4.0 ja tatsächlich nicht vorgeworfen werden.)

Wo ist die Lieferung? Connected Distribution

Eigentlich ist es eine Art Diebstahlsicherung: Die Geo-Lokalisation, die unter anderem dazu dient, entwendete Fahrzeuge zu tracken, wird von BMW auch im Zuge der Fahrzeug-Auslieferung eingesetzt. Das Auto übermittelt infolge frei definierbarer Auslösereize (etwa Zündung an/Zündung aus) seine Position und seinen Zustand an die Logistikzentrale. Die kann anhand der Daten Termintreue und Durchlaufzeiten optimieren. In einem zweiten Schritt soll das Fahrzeug-Display selbst für die Übermittlung von Nachrichten oder die Quittierung von Arbeitsschritten genutzt werden.

Schnell ist oft auch grüner

In Österreich wird gerne in volle Badewannen umgerechnet, in Bayern tun es auch Fußbälle: Würde man die 2015 gegenüber 2014 bei BMW eingesparte CO2-Menge in Fußbälle füllen, bekäme jeder Mensch auf der Welt einen davon. Dass Automobillogistik und -Produktion per se die Umwelt belastet, weiß man auch in Garching – doch die Bemühungen, den Footprint zu reduzieren, wirken ernsthaft. Neben „klassischen“ Maßnahmen wie dem Einsatz von Elektro-Lkw auf Kurzstrecken stehen auch die Industrie-4.0-Anwendungen unter einem ökologischen Aspekt: Das frühzeitige Erkennen von Transportschäden etwa ermöglicht ein ebenso frühzeitiges Reagieren durch einen Alternativ-Transport – womit dieser in vielen Fällen nicht über Luftfracht erfolgen muss.

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Richtlinien: Die Kosten für die Reise nach München wurden von BMW übernommen.